Lockdown macht süchtig nach Zocken und Daddeln

Langeweile bekämpfen, Sorgen vergessen, Stress abbauen: So kann schleichend eine Sucht beginnen. Symbolbild: 11333328 auf Pixabay (Public Domain)

Medien- und Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen steigt in der Pandemie deutlich an. Nach Einschätzung von Ärzten wird es schwer, davon wieder loszukommen

Die Lockdowns mit geschlossenen Schulen und Freizeiteinrichtungen haben während der Corona-Pandemie zu einem deutlichen Anstieg der Medien- und Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen geführt. Mehr als vier Prozent der Zehn- bis 17-Jährigen in Deutschland zeigt ein sogenanntes pathologisches Nutzungsverhalten.

Im Bereich Computerspiele stieg die Zahl der Betroffenen von rund 144.000 im Jahr 2019 auf 219.000 in diesem Jahr. Bei der Nutzung von sozialen Netzwerken wie TikTok, Snapchat, Whatsapp oder Instagram stieg die Zahl der Betroffenen im selben Zeitraum von 171.000 auf 246.000.

Dies ergab eine Untersuchung des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) im Auftrag der Krankenkasse DAK. Nach deren Angaben ist es eine "weltweit einzigartige Studie", für die bundesweit 1.200 Familien mehrfach nach der digitalen Mediennutzung von Kindern, Jugendlichen und Eltern befragt wurden.

Ab vier Stunden täglich wird es pathologisch

Laut dieser Studie hängt der Anstieg der Mediensucht eng mit den längeren Nutzungszeiten durch den Wegfall anderer Freizeitangebote zusammen. Ein pathologisches Verhalten stellten die Forscher immer dann fest, wenn Kinder und Jugendliche vier oder mehr Stunden am Tag mit Zocken verbrachten. Bei den sozialen Netzwerken beträgt dieser Wert 4,2 Stunden pro Tag.

Im bundesweiten Durchschnitt verbringen Kinder und Jugendliche an einem Werktag 109 Minuten mit Computerspielen. Das sind 31 Prozent mehr als vor der Pandemie. Im November 2019 verbrachten Jungen und Mädchen werktags im Schnitt 116 Minuten in den sozialen Netzwerken. Nun beträgt die tägliche Nutzungsdauer schon 139 Minuten.

Eine exzessive Mediennutzung führe oft zu einem Kontrollverlust mit weitreichenden Folgen, so die Experten. "Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst", sagte Rainer Thomasius, Studienleiter und Ärztlicher Leiter am DZSKJ. Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung sei die Folge.

Motivation: Langeweile bekämpfen, Stress abbauen, Sorgen vergessen

Digitale Medien seien für Kinder und Jugendliche ein relevantes Mittel zum Umgang mit herausfordernden Situationen, betont Thomasius. "Und dazu zählt auch die Corona-Pandemie mit ihren vielen einschränkenden Maßnahmen." Laut Studie gaben drei von vier Kindern und Jugendlichen (73 Prozent) an, durch soziale Netzwerke und Computerspiele ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten zu haben. 71 Prozent wollten demnach Langeweile bekämpfen - und ein Drittel wollte Stress abbauen oder Sorgen vergessen.

Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, konstatierte: "Gerade für Kinder und Jugendliche mit bereits davor riskanter Mediennutzung waren die Lockdowns ein erheblicher gesundheitlicher Gefährdungsfaktor, der den Übergang in eine pathologische Mediennutzung quasi katalysiert hat". Es sei zu befürchten, dass sich diese Fehlentwicklung auch nach Ende der Pandemie nicht einfach rückgängig machen lasse.

Einen Grund dafür sieht Fischbach bei den Eltern. Sie hätten ihren Einfluss über klare Medienregeln in der Familie nicht der Situation angepasst. Berufen kann sich Fischbach dabei auch auf die Ergebnisse der DAK-Studie: Rund die Hälfte der Eltern stellt demnach keinerlei Regeln zu Art und Dauer der Nutzung digitaler Medien auf. Der Wert habe sich auch im Laufe der Pandemie nicht verändert.

Angesichts der Studienergebnisse fordert der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm von der Politik eine "breite Präventionsoffensive, um die Medienkompetenz von Kindern und Eltern weiter zu stärken". Auch die geschäftsführende Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) warb für mehr Prävention zu Hause, in der Kita und in Schulen.

Für die Studie wurden Eltern und Kinder mehrmals durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt. Das erste Mal im Jahr 2019 vor der Pandemie, ein zweites Mal zur Zeit der ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020, danach im November 2020, bevor die Schulen erneut geschlossen wurden.

Die vierte und bislang letzte Befragung fand im Mai und Juni dieses Jahres statt, als Schulen nach monatelangen Schließungen und Wechselunterricht langsam wieder zu einem gewissen Normalbetrieb zurückkehrten.

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