Lokal verbrauchen statt abregeln

Die Energie- und Klimawochenschau: Von effizienterer Nutzung erneuerbaren Stroms, Spätfolgen des Kohleabbaus und einem neuen AKW aus der Vergangenheit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bis zum Jahr 2030 soll in Deutschland 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Netzbetreiber rechnen damit, dass diese Quote schon sehr viel früher erreicht wird.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder auf den notwendigen Ausbau der Übertragungsnetze hingewiesen. Aus Sicht der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE), des Netzbetreibers 50 Hertz und der ARGE Netz GmbH, die am Montag zu einer gemeinsamen Pressekonferenz einluden, ist dieser aber nur ein Teil der Lösung. Zur Netzintegration der Erneuerbaren gehörten auch eine effizientere Nutzung der bestehenden Netze und ein flexibles Verhalten aller Netznutzer, so die AEE. Außerdem "müssten fossile Überkapazitäten abgebaut werden".

Wie Kerstin Rippel, Leiterin des Bereichs Politik und Kommunikation von 50 Hertz darstellte, funktioniert die Integration großer Mengen erneuerbarer Energien bereits heute ziemlich gut und störungsfrei. Im Netzbereich von 50 Hertz - das sind die östlichen Bundesländer, Berlin und Hamburg - lag der Anteil der Erneuerbaren im Jahr 2018 bei 56,5 Prozent. 65 Prozent erwartet Rippel schon im Jahr 2021. Die Kosten für das Management von Engpässen im Stromnetz seien seit 2015, nach Eröffnung der Südwest-Kuppelleitung, deutlich gesunken.

Trotzdem besteht nach wie vor das Problem, dass erneuerbarer Strom abgeregelt werden muss, weil der Strom aus fossilen Kraftwerken und Atomkraftwerken die Leitungen verstopft. Nach Angaben der AEE konnten im Jahr 2017 5,5 Milliarden Kilowattstunden, entsprechend knapp einem Prozent des deutschen Stromverbrauchs, nicht ins Netz eingespeist werden. "Mit der abgeregelten Strommenge hätte der jährliche Stromverbrauch von 1,6 Millionen Durchschnittshaushalten abgedeckt werden können", so die Agentur. Zwar hat der erneuerbare Strom Vorrang in den Netzen, aber es ist nicht möglich, Kohlekraftwerke zeitweise komplett herunterzufahren, sie können immer nur bis zu einem gewissen Grad abgeregelt werden.

Björn Spiegel von der ARGE Netz GmbH, die in Schleswig-Holstein viele Erzeuger erneuerbarer Energie zusammenfasst, plädiert dafür, den Strom lokal zu nutzen, statt ihn abzuregeln. "Wir können vor Ort flexible Verbraucher suchen, die schnell mehr erneuerbaren Strom aufnehmen können", sagt Spiegel. Hierfür wurde eine eigene Plattform geschaffen.

Aber nicht nur die spontane Direktvermarktung, auch die Umwandlung in Wärme oder über Powert-to-X-Technologien kann eine Lösung sein. Denn im Verkehrs- wie im Wärmesektor herrschten beträchtliche Klimaschutzdefizite, die mit umgewandeltem erneuerbarem Strom verringert werden könnten. Allerdings bräuchte es hierfür eine CO2-Bepreisung statt einer Stromsteuer. Auch ein besserer Datenabgleich unter den Netznutzern könnte helfen, dieses effizienter zu nutzen.

Der "Netzausbauregion", im Norden von Deutschland, in der der Zubau von Windkraft stark gedeckelt ist, stehen sowohl Spiegel als auch Rippel kritisch gegenüber. Diese sollte sich laut Rippel auf kleinere Gebiete beschränken, wo tatsächlich hohe Mengen an Strom abgeregelt werden. Auf den gesamten Norden Deutschlands treffe dies nicht zu. "Wir müssen jede Kilowattstunde erneuerbaren Stroms für andere Sektoren nutzen, die im Klimaschutz meilenweit hinterher hängen. Ausbaublockaden brauchen wir nicht", erklärt Spiegel.

Entschädigungen und Langzeitschäden

Nachdem die Kohlekommission in ihrem Abschlussbericht empfiehlt, mit den Kraftwerksbetreibern über Entschädigungen für die Abschaltung zu verhandeln, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erneut informiert, "dass eine gesetzlich angeordnete Stilllegung von Kohlekraftwerken grundsätzlich auch ohne Entschädigungsleistung möglich ist". Zu dieser Einschätzung gelangte der Wissenschaftliche Dienst bereits in einer Ende Oktober 2018 veröffentlichten Ausarbeitung.

Demnach hat der Gesetzgeber durchaus das Recht, Veränderungen im Energiesystem vorzunehmen, selbst wenn die bestehenden Anlagen über eine immissionsrechtliche Genehmigung verfügen. Entschädigungen seien nur in Einzelfällen bei unzumutbarer wirtschaftlicher Belastung geboten. "Der Bericht der Kohlekommission gibt keine Hinweise auf das Bestehen unzumutbarer wirtschaftlicher Belastungen in Bezug auf einzelne Kraftwerke. Ob solche Belastungen vorliegen und daher ausnahmsweise eine Entschädigungspflicht besteht, kann sich nur aus einer Einzelfallprüfung ergeben", heißt es in der nun veröffentlichten Kurzinformation.

Man könnte auch die Frage stellen, ob nicht, statt die Kohlewirtschaft für den Kohleausstieg zu entschädigen, die Unternehmen, insbesondere die Betreiber von Tagebauen, besser für sogenannte Ewigkeitskosten haftbar zu machen wären.

Ein anschauliches Beispiel für Spätfolgen des Braunkohletagebaus liefert momentan Lauchhammer. Vier Familien mussten bereits ihre auf einer alten Bergbaukippe stehenden Häuser verlassen, weiteren Anwohner und eine Schule könnten noch evakuiert werden. Das Problem: Das nach dem Ende des Bergbaus wieder steigende Grundwasser destabilisiert den aufgeschütteten Boden, es könnte zu Erdrutschen kommen. Derweil gibt es niemanden mehr, der für die Schäden haftbar gemacht werden könnte. Denn bei den aktuell Betroffenen in Lauchhammer geht es um Folgen des Altbergbaus vor 1945. Es gibt schlichtweg keine Rechtsnachfolger für die damaligen Bergbaubetreiber.

Das aktuelle Beispiel aus Lauchhammer zeigt, welche Probleme auf die Lausitz auch zukünftig nach Ende des Kohleabbaus zukommen könnten, wenn es die Bergbauunternehmen vermutlich schon lange nicht mehr geben wird.

Veraltete Reaktortechnik

Ganz andere Geister der Vergangenheit sollen nun in der Slowakei zum Leben geweckt werden. Im Juli 2019 soll nach 34 Jahren Bauzeit laut einem Bericht von ausgestrahlt der Atomreaktor Mochovce-3 ans Netz gehen.

An dem Standort laufen seit 1998 und 2000 die Blöcke 1 und 2. Bei diesen handele es sich um "Generation-II-Reaktoren vom russischen Typ WWER-440/213 mit einer elektrischen Nettoleistung von jeweils rund 440 Megawatt. Dieser Reaktortyp kam in Deutschland am Standort Greifswald zum Einsatz und musste im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung 1990 aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden."

Mit dem Bau von Mochovce 1 und 2 war 1983 begonnen worden, mit dem von Block 3 und 4 im Jahr 1985. Letztere wurden aufgrund einer fehlenden Finanzierung zunächst nicht fertig gebaut, 2008 wurden die Arbeiten neu aufgenommen. Auch wenn sie vor langer Zeit begonnen wurden, müssen die beiden Blöcke als Neubauten gewertet werden und als solche entsprechen sie nicht den Sicherheitsstandards. Es fehlt eine zweite Sicherheitshülle, die die Umwelt im Fall eines Störfalls vor austretender Radioaktivität und gleichzeitig den Reaktor vor dem Aufprall eines größeren Flugzeugs schützen würde, informiert ausgestrahlt.

Zuletzt noch eine Meldung aus der Klimaforschung: Nach neuen Modellierungen könnte die Arktis im Sommer eisfrei sein, noch bevor in Deutschland das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen soll. Dass das Nordpolarmeer noch in diesem Jahrhundert eisfrei sein wird, ist wissenschaftlicher Konsens. Eisfreiheit würde in diesem Fall per definitionem eine Eisausdehnung von weniger als einer Million Quadratkilometer, das sind weniger als 15 Prozent der Fläche, bedeuten.

James Screen von der University of Exeter hält die arktischen Sommer ohne Meereis zwischen 2030 und 2050 mit Tendenz zum Anfang der 2030er Jahre für wahrscheinlich. Grund für diese Annahme ist, dass sich der Pazifische Ozean seit fünf Jahren in seiner Warmphase befindet. Die Wassertemperatur im Pazifik unterliegt Jahrzehnte andauernden Warm- und Kaltperioden, der Pazifischen Dekaden-Oszillation, deren genauere Ursachen bislang unbekannt sind. Dieses natürliche Phänomen würde den von Menschen verursachten Temperaturanstieg derzeit noch verstärken.