Lunarer Crash im Dienst der Wissenschaft

Heute prallte Mondsonde SMART-1 auf den Mond - gezielt und lautlos

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Der erste europäische Mondorbiter SMART-1 zerschellte am Sonntagmorgen auf den Erdtrabanten. Der Aufprall selbst war keinesfalls so spektakulär, wie dies die ESA glauben machen wollte. Deutsche Hobbyastronomen etwa sahen von dem Einschlag nichts. Immerhin fällt die Bilanz der dreijährigen Mission sehr positiv aus. Nicht nur deswegen, weil die Raumsonde „Smart-1“ die bislang besten Bilder von der Mondoberfläche geliefert hat. Auch spätere Mondtouristen werden SMART-1 in guter Erinnerung behalten. Wie zuvor schon rund 20 andere Sonden, die wegen der fehlenden Atmosphäre auf dem Mond keiner Erosion ausgesetzt sind und so dauerhaft erhalten bleiben, wird auch SMART-1 als lunare Attraktion konserviert werden.

Kein schöner Anblick – aber so oder ähnlich könnte der Erdtrabant entstanden sein – oder auch nicht. Die Entstehung des Mondes wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Bild: ESA

Aus der Sicht unseres Planeten war es der Super-GAU schlechthin, die totale Apokalypse. Als vor zirka 4,5 Milliarden Jahren ein Himmelskörper in der Größe des heutigen Mars die Bahn der damals noch blutjungen Erde kreuzte, kam es zum finalen Crash, zu einer Kollision immensen Ausmaßes: Die Erde brach bis in den Kern auf, große Teile ihrer Oberfläche schmolzen und gewaltige Stücke ihres Felsmantels wurden mit Brachialgewalt ins All geschleudert.

Was unser Heimatplanet bis dahin über einen Zeitraum von 70 Millionen Jahren mühsam aufgebaut hatte, geriet zur kosmischen Sisyphusarbeit. Viele der im Zuge der irdischen Planetenbildung zusammengeballten Gesteinstrümmer und Meteoritenteile verdichteten sich außerhalb des Erdorbits zu einem neuen Objekt.

SMART-1-Aufnahme mit der AMIE-Kamera vom 19. August 2006. Auf dem Bild ist die Region zu sehen (siehe rote Markierung), auf die SMART auch aufprallte. Bild: ESA

So oder ähnlich könnte in der Frühzeit des Sonnensystems die Entstehung des Mondes ausgesehen haben – oder auch nicht. Zwar findet dieses Modell zurzeit bei vielen Wissenschaftlern Anklang, doch ob Mutter Erde den Mond auf diese Weise einst aus ihrem Schoß entließ, bezweifeln indes andere Forscher. Sicher ist nur, dass der Erdtrabant gestern um 7.41 Uhr MEZ selbst von einem Geschoß getroffen wurde. Und ausgerechnet von einem, das ihm 16 Monate lang als künstlicher Satellit die Treue gehalten hat.

Am Sonntag früh um 7:42:22 MEZ prallte SMART-1, der erste Mondorbiter der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA), mit einer Geschwindigkeit von zwei Kilometer pro Sekunde (7200 km/h) in der mittleren Südregion der der Erde zugewandten Seite des Mondes völlig lautlos auf. Die ESA schätzt den Ort des Aufschlags 46.2º West, 34.4º Süd.

Dieses Bild wurde von dem “Canada-France-Hawaii Telescope” unmittelbar nach dem Aufschlag von SMART-1 gemacht Bild: Canada-France-Hawaii Telescope 2006

“It was a big surprise – there was a beautiful, very intense flash”, so der ESA-Projektwissenschaftler und Leiter der SMART-1-Mission, Bernard Foing, vor wenigen Stunden im O-Ton. Ziemlich „spektakulär und am richtigen Ort“ schlug SMART-1 auf, bemerkte auch ein Sprecher des europäischen Raumfahrtkontrollzentrums ESOC in Darmstadt, das SMART-1 bis zu dem großen Finale gesteuert hatte. Nach dem pünktlichen Crash gab es Applaus im Kontrollzentrum. "Der Flash beim Einschlag war heller als erwartet", ergänzte Foing. Die aufschlagende Sonde sei zunächst vom Boden abgeprallt und habe so möglicherweise diese Art Feuerwerk inszeniert. In Darmstadt werden nun die von Großteleskopen einlaufenden Daten zum Aufprall gesammelt und ausgewertet. Bildmaterial hiervon wird erst in absehbarer Zeit vorliegen.

Zehn Meter Kraterdurchmesser

Es war eine selbstlose Tat ganz im Dienst der Wissenschaft. Denn den kontrollierten Absturz observierten nicht nur mehrere erdgebundene Großteleskope, sondern auch zahlreiche Amateurastronomen in einer koordinierten Aktion, wobei die deutschen Hobbyastronomen leer ausgingen, da es in Deutschland zum Zeitpunkt des Aufpralls schlichtweg zu hell war.

Als der Erdroboter auf die unter dem Namen Lake of Excellence bekannte Mondregion stürzte, hinterließ er schätzungsweise einen kleinen Krater von zehn Metern Durchmesser. „Dies entspricht in etwa dem Einschlagskrater eines ein Kilogramm schweren Meteoriten auf der bereits stark von natürlichen Einschlägen gezeichneten Mondoberfläche“, sagte Bernard Foing.

SMART-1 aus der Sicht eines Künstlers. Bild: ESA

Der Einschlag wird den Forschern dabei helfen, die Zusammensetzung der Mondoberfläche genauer zu analysieren. „Was uns interessiert, sind die physikalischen Auswirkungen, die bei dem Aufschlag zum Tragen kommen, sprich die Aufprallmasse, -dynamik und -energie. Wir untersuchen auch die chemische Zusammensetzung der Mondoberfläche, indem wir die Strahlung des abgesprengten Materials messen“, so Foing.

Die finalen Bits und Bytes, die SMART-1 vor seinem letzten Gang zur Erde funkte, verfolgten insbesondere die Flugingenieure des Europäischen Satellitenkontrollzentrums ESOC in Gegenwart zahlreicher geladener Journalisten in Darmstadt mit Argusaugen. Hier, wo die Fäden der Mission zusammenlaufen, dokumentierten die Verantwortlichen jeden Schritt, jeden geflogenen Meter des Raumfahrzeugs sorgfältig. Nur die Raumsonde, nicht aber die Information durfte verloren gehen. Schließlich geht es darum, dem Mond ein paar seiner Geheimnisse zu entlocken.

Unbekannter Mond

Auch wenn das erdnächste fremde Gestirn der am besten erkundete extraterrestrische Himmelskörper im Sonnensystem ist, bleibt er gleichwohl ein Buch mit sieben Siegeln. Viele Fragen verlangen nach Antworten: Wie entstand der Erdsatellit? Gibt es in den Kratern an den Polen des Mondes Wasser? Ist der Mond vulkanisch noch aktiv, wie ist sein Inneres beschaffen? Warum besaß er einst ein starkes Magnetfeld? "Unser Wissen über den Mond ist erstaunlich lückenhaft. Wir können noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie der Mond überhaupt entstanden ist", gestand SMART-1-Projektchef Foing noch im Sommer des Jahres 2003. Das war unmittelbar vor dem Start des ersten ESA-Mondroboters, der am 27. September 2003 vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana mit einer Ariane-5-Trägerrakete ins All abhob. Unmittelbar vor dem Ende der Mission, sah Foing immer noch lunare Wissenslücken: „Trotz SMART-1 ist unser Wissen über den Mond immer noch unvollständig. Dennoch war die Mission ein großer Erfolg.“

In der Tat – an Bits und Bytes, welche die sieben Bordinstrumente aus dem 300 bis 3.000 Kilometer hohen Orbit gen Erde funkten, mangelt es dem SMART-1-Team wahrlich nicht. Immerhin umrundete das kleine Raumschiff den Mond seit dem 28. Februar 2005 auf einer elliptischen Bahn um dessen Pole – sage und schreibe zweitausend Mal. „Bei jedem Umlauf um den Mond schoss SMART-1 zirka zehn Fotos, so dass wir zur Zeit mehr als 20.000 Bilder haben“, freut sich Bernard Foing.

SMART-Bild vom 1. September, 600 Kilometer über der Mondoberfläche. Bild: ESA

SMART-1 ("Small Missions for Advanced Research in Technology") steht für klein, kompakt und kostengünstig. Und genau diese Attribute vereinigte der 110 Millionen Euro teure und kühlschrankgroße High-Tech-Orbiter auf 376 Kilogramm. Ausgestattet mit völlig neuen Instrumenten, die bislang noch nicht in Mondnähe eingesetzt wurden, war der Erfolg der Mission programmiert. Ob SMART-1 in allen Phasen seiner Mission aber auch wirklich smart war, wird die Zeit zeigen. „Wir benötigen noch einige Monate bis ein Jahr, um alle Daten auszuwerten“, erklärt Foing.

Sonnenreicher Winter

Was jedoch an aktuellen Informationen vorliegt, kann sich durchaus sehen lassen. So konnten Forscher zum ersten Mal vom Orbit aus mit Röntgenaufnahmen Kalzium und Magnesium nachweisen und Veränderungen in der Zusammensetzung von Zentralbergen in Kratern, Vulkanebenen und riesigen Einschlagbecken messen. "Dank des effektiven Infrarot-Spektrometers SIR und des Röntgen-Spektrometers D-CIXS konnten wir die chemische Zusammensetzung der Mondoberfläche genau analysieren“, so Foing.

Zur Überraschung vieler Mondexperten entdeckte SMART-1 auch ein Gebiet in der Nähe des Nordpols, in dem die Sonne ständig scheint – auch im Winter. Da SMART-1 über den Mondpolen kreiste, gelang auch eine Kartierung des gesamten Mondes. Seinen Erwartungen voll gerecht wurde insbesondere die extrem kompakte Farbkamera AMIE, die dank verschiedener Filter die bislang besten hochauflösenden Bilder der Mondoberfläche aufnahm – sowohl im sichtbaren als auch im UV- und im nahen Infrarot-Bereich. „AMIE lieferte wertvolle Informationen über die Topographie und Struktur der Mondkruste“, so Foing. Anhand der multispektralen Daten könne man jetzt sehr präzise dreidimensionale Karten der Mondoberfläche erstellen.

SMARTs neues Ionentriebwerk

Im Rahmen der SMART-1-Mission fokussierte sich in der ersten Missionsphase das Interesse der Forscher und Ingenieure nicht auf den Mond, sondern ausschließlich auf den Testlauf eines neuartigen solar-elektrischen Antriebssystems, das die zukünftige interplanetare Raumfahrt beflügeln soll: der Ionenantrieb. Dieser arbeitet mit zehnmal höherer Effizienz als herkömmliche chemische Antriebe und erlaubt völlig neue Navigationsmöglichkeiten, die bei künftigen solaren und interplanetaren ESA-Missionen wie etwa dem Solar Orbiter (Start 2015) und BepiColombo zum Merkur (Start 2013) zum Einsatz kommen sollen. Der Ionenantrieb ist eine in der Raumfahrt bisher kaum genutzte Technologie. Beim Ionen-Rückstoß-Prinzip werden Atome des Edelgases Xenon ionisiert, also elektrisch positiv geladen, und dann mit hoher Geschwindigkeit – bis zu 40 Kilometer pro Sekunde – aus einem Triebwerk herausgeschleudert.

Ionentriebwerk von SMART-1. Bild: ESA

Dabei verbraucht ein Ionentriebwerk etwa zehnmal weniger Treibstoff als ein herkömmlicher chemischer Antrieb. Zugleich kann dieser über viel längere Zeiträume arbeiten und verbraucht nicht mehr Energie als ein Fön. Der Nachteil eines solchen Triebwerks: Es beschleunigt nur extrem langsam und benötigt Wochen oder Monate, um auf eine Geschwindigkeit zu kommen, die ein konventioneller Antrieb in Minuten oder Stunden erreicht. Schließlich entspricht der Schub, den der Ionengasstrahl generiert, lediglich dem Druck, das ein Blatt Papier ausübt, wenn es auf einer Handfläche liegt. Daher konnte SMART-1 den Weg zum Mond nicht direkt, sondern nur in Form einer Spirale zurücklegen. Binnen 14 Monaten legte der Raumflugkörper immerhin 100 Millionen km zurück. Trotz kleinerer Probleme verlief der Test des Ionentriebwerkes insgesamt erfolgreich: 289 Mal zündeten die Triebwerke, die etwa 3.700 Stunden lang in Betrieb waren. Ihr Ziel erreichte die Sonde sogar zwei Monate früher als erwartet.

Probleme gemeistert

Natürlich hatte das kleine Raumgefährt auf seiner kurzen Odyssee auch mit Problemen zu kämpfen. So geriet SMART-1 Ende Oktober 2003 in einen sehr starken Sonnensturm. Das Bombardement der energiereichen solaren Teilchen störte besonders die strahlungsempfindliche Elektronik. Zeitweilig fiel ein Sternensensor aus, der für die Lagesteuerung der Raumsonde unentbehrlich war.

Van Allen Belt. Bild: Nasa

Und als SMART-1 den die Erde umgebenden gefährlichen Van-Allen-Strahlungsgürtel passierte, schaltete sich ihr Ionentriebwerk mehrfach aus. Erfreulicherweise ist die Sonde noch einmal der größten Katastrophe entkommen, die im Zuge der künstlich generierten kleinen „Katastrophe“ hätte eintreten könnte. Wäre nämlich SMART-1 auf ihrer Flugbahn gen Mond mit der Spitze eines bisher nicht in den Verzeichnissen erfassten Hügels kollidiert, hätte der ESA-Roboter um einige Stunden früher das Zeitliche gesegnet. Aber dann wäre dies wenigstens in Ruhe und Frieden geschehen – ohne irdischen Beistand.

Sehenswerte Simulation von SMARTs Aufprall.