Luxus oder Überleben: Muss Klimaschutz uns wehtun?
Klimaschutz fordert Opfer, aber rettet Zukunft. Die große Frage ist: Wer trägt die Kosten und muss sich beschränken? Der Ethikrat hat eine Antwort.
Dass die Erderwärmung real ist, dass sie zu immer stärkeren Wetterextremen führt und die Grenze von 1,5 Grad durchschnittlicher Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit bald überschritten sein dürfte, daran gibt es – zumindest wenn man den Stand der Wissenschaft ernst nimmt – kaum Zweifel.
Kontroverse Fragen rund um Klimawandel und Klimaschutz
Wer aber wie viel zur Begrenzung des Klimawandels beitragen muss, ob dies mit Verzicht verbunden sein darf und wenn ja, wie viel, sind Fragen, die immer wieder zu heftigen Kontroversen führen. Am Mittwoch hat sich der Deutsche Ethikrat in einer Stellungnahme mit dem Titel "Klimagerechtigkeit" zu diesem Themenkomplex geäußert.
An den Folgen der Erderwärmung lässt das die Politik beratende Gremium keinen Zweifel: Extremwetterereignisse führen zur Zerstörung von Lebensgrundlagen, die physische und psychische Gesundheit ist durch Hitze und neue Krankheiten sowie insgesamt durch die Belastungen des Klimawandels gefährdet.
Die ungleiche Verteilung der Verantwortung und Auswirkungen des Klimawandels
Doch weder sind alle Menschen gleichermaßen betroffen, noch sind alle gleichermaßen verantwortlich, wie der Ethikrat in der Kurzfassung seiner Stellungnahme feststellt:
Sowohl die kausale Verantwortung für den Klimawandel als auch die durch ihn verursachten Gefahren, Schäden und Verluste sowie die Mittel zu deren Bewältigung sind ungleich verteilt. Solche Ungleichheiten werfen Fragen der Gerechtigkeit auf.
Gerechtigkeit im Kontext des Klimawandels
Dabei geht es um die Herstellung von Gerechtigkeit in verschiedenen Dimensionen und zwischen verschiedenen Gruppen: innergesellschaftlich (also in diesem Fall zwischen den Menschen in diesem Land), international zwischen Staaten mit unterschiedlicher Betroffenheit und Verantwortung und intergenerationell, was vielleicht die schwierigste Aufgabe ist, da zukünftige Generationen heute nicht mit am Verhandlungstisch sitzen können.
Das Konzept der Gerechtigkeit für ein gutes Leben
Der Ethikrat entwickelt nach eigenen Angaben ein "Gerechtigkeitskonzept, das darauf abzielt, die Verteilung von Lasten und Pflichten in allen drei Dimensionen so zu gestalten, dass die Mindestvoraussetzungen für ein gutes, gelingendes Leben jetzt und in Zukunft erfüllt sind".
Wer nun eine Definition erwartet, was zu einem guten und gelingenden Leben gehört, wird enttäuscht. Dazu gehörten wichtige Grundgüter wie Gesundheit, Ernährung, Sicherheit und Mobilität. Hier müssten Schwellenwerte definiert werden.
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Angesichts der notwendigen Transformationen zur Bewältigung des Klimawandels werden sich die Vorstellungen von einem guten und gelingenden Leben "in vielerlei Hinsicht nicht in Form aktueller westlicher Konsumpraktiken verwirklichen lassen", heißt es in der Stellungnahme.
Das gute, gelingende Leben soll drei verschiedenen ethischen Prinzipien folgen. Egalitär, d. h. das Recht darauf soll allen Menschen zustehen. Suffizientaristisch, d. h. bestimmte Grundvoraussetzungen dürfen nicht unterschritten werden. Und prioritär, d. h. es muss am meisten dafür getan werden, dass die vom Klimawandel am stärksten Betroffenen die Schwellenwerte für ein gutes, gelingendes Leben erreichen.
Politische Maßnahmen für Klimagerechtigkeit
In politische Maßnahmen übersetzt könnte dies bedeuten, dass die Armen durch eine pro-Kopf-Rückerstattung bei der CO2-Bepreisung entlastet werden. Auf globaler Ebene müssen die Länder des Südens bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt werden.
Die Rolle des Einzelnen und des Staates in der Klimakrise
Der Ethikrat kritisiert einen oft zu individualistischen Ansatz, wenn es um die Frage geht, wer die Verantwortung für den Ausstoß von Treibhausgasen trägt. "Die Verantwortung von Einzelnen steht häufig im Mittelpunkt der Klimadebatte", erklärt Armin Grunwald, stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe, anlässlich der Veröffentlichung der Stellungnahme.
"Aus unserer Sicht ist es allerdings unangemessen, die Bewältigung des Klimawandels allein von einzelnen Personen zu erwarten, etwa durch ihr Konsum- oder Mobilitätsverhalten."
Vielmehr sei es Aufgabe des Staates, die Verantwortung zu verteilen. Der Staat müsse auch die Rahmenbedingungen für einen emissionsärmeren Konsum schaffen und dürfe diesen nicht konterkarieren. Für den Einzelnen sieht der Ethikrat dennoch eine individuelle moralische Mitwirkungspflicht.
Die öffentliche und politische Debatte um die Klimakrise
Wie die Rahmenbedingungen genau aussehen könnten, muss Aufgabe der öffentlichen und politischen Debatte bleiben. Sie sollte positiv und gemeinsam geführt werden. Die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, sagte:
Es ist sehr wichtig, Maßnahmen sozial gerecht zu gestalten und genau zu überlegen, wer dabei wofür verantwortlich ist. Gleichzeitig ist es unabdingbar, bei dieser riesigen Herausforderung konstruktiv und lösungsorientiert zu sein. Politik und Medien kommt da eine zentrale Rolle zu. Aber die neuen, positiven Lebensentwürfe, wie wir uns eine gute Zukunft vorstellen – die müssen wir alle gemeinsam entwickeln.
Kritik an der Stellungnahme des Ethikrates
Die Stellungnahme wird jedoch nicht von allen 24 Mitgliedern des Ethikrates mitgetragen. Drei Mitglieder haben ein Sondervotum abgegeben. Der erste wesentliche Kritikpunkt darin zielt darauf, dass der Ethikrat an vielen Stellen vage bleibt.
So heißt es etwa: "Insbesondere bleibt völlig unklar, wie die für das vorgeschlagene Gerechtigkeitskonzept elementaren verteilungsrelevanten Schwellenwerte für die einzelnen Güter jeweils konkret ermittelt werden sollen."
Und weiter: "Je nachdem, ob dabei der basale Begriff der ‚Würde‘, die in ihrem Umfang notorisch umstrittenen ‚Menschenrechte‘ oder gar die kulturell bedingten Vorstellungen eines ‚guten Lebens‘ herangezogen werden, ergeben sich jeweils ganz unterschiedliche Verteilungsarrangements."
Als rein appellativ wird die Forderung des Ethikrates kritisiert, gerade im internationalen Kontext mehr Anstrengungen für Klimaschutzvereinbarungen zu unternehmen.
Die Debatte um persönliche Freiheit und moralische Mitwirkungspflicht
Mit dem Befund, "dass selbst besonders umfangreiche nationale Anstrengungen zur Verbesserung der eigenen CO2-Bilanz einen sehr geringen Einfluss auf den globalen CO2-Ausstoß haben", wird argumentiert, dass Eingriffe in die persönliche Freiheit nicht legitimiert werden könnten. Und eine "moralische Mitwirkungspflicht" möchten die Verfasser des Sondervotums den Bürgern auch nicht auferlegen.
Damit bewegen sie sich aber von einer Kritik an zu vagen Handlungsanweisungen hin zu Argumenten, die nicht zum Handeln bewegen und tragen damit leider wenig Konstruktives zur Debatte bei.
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