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MH17: Streit um russische Radarbilder

Im September 2016 zeigte Russland angeblich primäre Radardaten.

Wenn auf Radarbildern keine Rakete zu sehen ist, bedeute dies nicht, dass sie nicht da ist, sagen das Gemeinsame Ermittlungsteam und die niederländische Regierung

Die Diskussion um den weiter nicht restlos aufgeklärten Abschuss der MH17 im Juli 2014 hält an. Das Gemeinsame Ermittlungsteam JIT, an dem die Niederlande, Belgien, Australien, Malaysia und die Ukraine beteiligt sind, geht davon aus, dass die Passagiermaschine von einer BUK-Rakete der 9M38-Serie getroffen wurde. Man glaubt auch Beweise dafür zu haben, dass die Rakete unweit von Pervomaiskyi abgeschossen wurde, ein Gebiet das 2014 von Separatisten kontrolliert worden war. Das BUK-System sei von der russischen Grenze zum Abschussort gebracht und danach wieder nach Russland gefahren worden.

Das JIT sucht weiterhin nach Zeugen und ist offenbar noch nicht in der Lage, die Verantwortlichen zu identifizieren bzw. Beweismittel für deren Schuld vorlegen zu können. Zeugen hätten aber den Kondensstreifen der Buk-Rakete gesehen und fotografiert, andere hätten in der Nähe einen lauten Knall gehört.

Noch herrscht ein Streit zwischen dem JIT und Russland über die Radarbilder, die Russland nach Anforderung erst im Oktober 2016 überreichte, weil man sie angeblich erst kurz zuvor wieder gefunden hatte. Beim JIT beschwerte [1] man sich, dass Russland die Bilder nicht im ASTERIX-Format geschickt habe, sondern in einem anderen Format. Zwar wurde die entsprechende Software mitgeschickt, die aber war auf Russisch.

Wo nichts ist, kann doch etwas sein

Obgleich im JIT auch ukrainische Experten mitarbeiten, habe man erst mühsam das Programm übersetzen und sich mit ihm vertraut machen müssen, um die Daten lesen zu können, so das JIT im Februar 2017 schließlich. Kritisch heißt es, dass die Daten weniger Informationen bieten würden als im ASTERIX-Format. Man könne so nicht sagen, ob sie authentisch seien und was sie wirklich zeigen. Man werde noch einmal ein Gesuch schicken, die Analyse könne länger dauern. Und überhaupt heißt es, dass auch dann, wenn auf den Radarbildern keine BUK-Rakete zu sehen sei, "dies nicht bedeutet, dass sie nicht da ist".

Vor einer Woche hat Justizminister Stef Blok Fragen einer parlamentarischen Kommission beantwortet [2], wo es auch darum ging, warum die Radardaten keine Objekte zeigen, die in Richtung der Flugbahn von MH17 fliegen. Wiederholt wird, dass das JIT im September 2016 erklärt hatte, dass eigentlich keine Radarbilder mehr benötigt werden, um den Abschuss aufzuklären. Nachdem die Radardaten dann doch gekommen seien, heißt es, das JIT könne sie gut gebrauchen, um Hypothesen und Szenarien zu überprüfen. Im März 2017 erfolgte dann das ergänzende Rechtshilfeersuchen.

Niederländischer Justizminister: Radar funktioniert wie ein Leuchtturm

Auf die Frage, warum auf den russischen Primärradardaten keine Rakete zu sehen ist, antwortet der Justizminister, dass ein Radar ähnlich wie ein Leuchtturm funktioniere und mit seinem Strahl den gesamten Bereich von 360 Grad abscannt. Es könne sein, dass je nach Geschwindigkeit, Größe, Standort und Flugrichtung eine BUK-Rakete vom Radar nicht erfasst wird: "Die Tatsache, dass nichts auf den Radardaten zu sehen ist, bedeutet nicht, dass nichts da war." Von einer Mindestflugzeit habe man keine Kenntnisse. Auf die Frage, ob es bekannt sei, dass das Radar alle 10 Sekunden eine volle Umdrehung machen, verweist der Justizminister wieder auf sein wenig präzises Leuchtturm-Bild. Das hat schon fast die Dimension der "Beweise" von Rumsfeld für die im Irak nach dem Einmarsch nicht gefundenen Massenvernichtungswaffen: Rumsfeld und der Gottesbeweis [3], Und es gibt sie doch [4]).

Die Amerikaner hätten im Übrigen auf ein Ersuchen nach Radardaten "angemessen geantwortet". Man hat auch keine Zweifel, dass die vom ukrainischen Geheimdienst abgehörten Telefongespräche allesamt authentisch seien. Interessant ist auch, dass die Vereinbarung über das JIT geheim ist, weswegen man nicht sagen dürfe, ob ein Land die Möglichkeit besitzt, die Veröffentlichung von bestimmten Informationen zu verhindern oder diese einem Gericht vorzuenthalten. Das zeugt von geringer Transparenz und provoziert geradezu Misstrauen.

Von Russland veröffentlichtes Radarbild.

Russische Medien griffen [5] natürlich das Thema der Radardaten als gefundenes Fressen auf. Oleg Storchevoy, der Direktor von Rosaviatsia, die Luftfahrtbehörde Russlands, erklärte [6], es könne nicht sein, dass das russische Radarsystem die Rakete nicht bemerkt hätte. Es könne viel kleinere Objekte als eine BUK-Rakete ausmachen und ihm würde, weil der Abtaststrahl alle 10 Sekunden das 360-Grad-Feld umrundet, kein Objekt, das sich dem Flugzeug annähert, entgehen. Eine Rakete, die so abgeschossen würde, wie die niederländische Staatsanwaltschaft behauptet, würde um die 35 Sekunden unterwegs sein. Das Radarsystem müsste die Rakete, so Storchevoy, zwei- bis dreimal erfassen.

Das russische Radarsystem habe MH17 zuletzt um 13:20:01,87 detektiert, weniger als 1,5 Sekunden vor dem Abschuss, wie aus der Black Box hervorgehe: "Es gab keine 'Ticks' in der Nähe der MH17-Flugbahn, weder 1,5 Sekunden bevor der Katastrophe noch früher. Während 3-4 Umdrehungen wurde nichts registriert." Das würde bedeuten, dass nichts von der östlichen Seite sich dem Flugzeug genähert hat, "wie die offizielle Untersuchung versucht, es darzustellen".

Falls tatsächlich aus dem Osten keine Rakete abgeschossen worden sein sollte, bliebe die Frage, wie und von wo aus die MH17 abgeschossen wurde. Die Argumentation des JIT und des niederländischen Justizministerium erzeugt Misstrauen, weil sie wenig überzeugend ist. Das könnte nur ausgeschaltet werden, wenn gezeigt werden könnte, dass die russischen Radardaten gefälscht sind oder dass die Flugzeit unter 10 Sekunden gelegen hat.


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https://www.heise.de/-3759679

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.om.nl/onderwerpen/mh17-crash/@98017/mh17-investigation/
[2] https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/kamerstukken/2017/06/23/tk-antwoord-op-vragen-dossier-mh17-van-vkc-buitenlandse-zaken/tk-antwoord-op-vragen-dossier-mh17-van-vkc-buitenlandse-zaken.pdf
[3] https://www.heise.de/tp/features/Rumsfeld-und-der-Gottesbeweis-3428055.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Und-es-gibt-sie-doch-3433227.html
[5] https://de.sputniknews.com/politik/20170627316354445-rakete-mh17-flug-argumente-niederlande/
[6] https://www.rt.com/news/394310-radar-data-challenges-probe-mh17/