Und es gibt sie doch!

Während die meisten Mitglieder der amerikanischen und britischen Regierung sich herauswinden, versucht Sophist Rumsfeld auf der Bühne des Welttheaters zu demonstrieren, warum es die irakischen Massenvernichtungswaffen doch geben könnte, auch wenn sie nicht gefunden werden

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Heute vor einem Jahr hat US-Außenminister Powell seine Rede vor der UN gehalten, in der er schon damals wenig glaubwürdig die angeblichen Beweise ("facts and conclusions based on solid intelligence") dafür vorlegt, warum der Irak eine unmittelbare Bedrohung darstellt und die UN-Resolutionen verletzt hat (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?). Weil die US-Regierung es eilig hatte und den Krieg suchte, mussten die UN-Waffeninspektoren schließlich das Land verlassen, obgleich sie weder Massenvernichtungswaffen noch entsprechende Hinweise auf Rüstungsprogramme gefunden hatten - und obgleich auch die Waffeninspektoren, allen voran Hans Blix, die von der britischen und der amerikanischen Regierung behaupteten Hinweise nicht für glaubwürdig erachteten. Trotzdem hat die US-Regierung schon im Vorfeld des Krieges, wohlwissend um den misslichen Stand ihrer "Beweise", schon ausprobiert, wie man argumentieren könnte, wenn die aufgebauschten Indizien und spekulativen Vermutungen nach dem Sturz Husseins zerplatzen (Von Wahrheit und Lüge).

Einmal hatte sich Vizeverteidigungsminister Wolfowitz möglicherweise schon ein wenig verplappert, als er sagte, dass die Behauptung, der Irak habe Massenvernichtungswaffen, vor allem deswegen gegeben wurde, weil so die Bedrohung jedem einleuchte. So dürfte es auch gewesen sein. Nach dem 11.9. suchte die US-Regierung die Gunst der Stunde auszunutzen, um durch den Sturz Husseins einen Eckpfeiler der gewünschten Weltordnung einzuschlagen (Amerikanischer Internationalismus). Dann kam der Druck, sich nicht einfach über die Weltgemeinschaft hinwegzusetzen, sondern zumindest zu versuchen, die UN hinter sich zu bringen, um völkerrechtlich nicht ganz als Schurkenstaat aufzutreten. Sollte die UN nicht mitspielen, würde man sie als Popanz entlarven, so die Strategie. Der Entschluss, in den Irak einzumarschieren, stand von vorneherein fest - und jeder wusste das auch. Es folgte ein großes, absurdes Theaterspiel, bei dem jeder so tat, als gäbe es die Möglichkeit, dass ein Krieg noch verhindert werden könne - und als habe dies Saddam Hussein in der Hand. Und immer spielte das Phantom der Massenvernichtungswaffen dabei die Hauptrolle.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld ist wohl der beste Sophist der Regierungsmannschaft. Da schon vor dem Krieg die Zweifel groß waren, ob man überhaupt die behaupteten Kriegsgründe finden könne, probierte er schon einmal einige rhetorische Gedankengänge aus, die darauf hinausliefen, wie die US-Regierung nicht als Schwindler oder unwissend entlarvt werden könnte, wenn man nach der Besetzung im Irak einfach nichts findet (Rumsfeld und der Gottesbeweis).

Da gab es beispielsweise das Argument, Hussein könne die Waffen so gut versteckt haben, dass man sie trotz allem Aufwand - und pausenloser Satellitenüberwachung zuvor - einfach nicht findet. Das aber macht ihn nur noch gefährlicher, zeigt, wie schlau und betrügerisch er ist, und erzwingt geradezu einen Krieg. Eine andere Überlegung war die, dass die Waffen außer Landes gebracht worden sein könnten. Auch da fragt man sich zwar, wie tonnenweise Material nach Syrien oder sonst wohin hätte unbemerkt transportiert werden können. Das wäre eigentlich höchst beschämend für die Hightech-Geheimdienste der USA, denen allerdings schon einiges entgangen ist. Und noch ein Gedanke Rumsfelds war, dass der Irak einfach zu groß ist, um alles absuchen zu können. Die Waffen könnten also irgendwo lagern, man findet sie vielleicht durch Zufall, aber wer könnte schon beweisen, dass es sie nicht gibt, bloß weil man sie nicht findet?

Die Regierungen versuchen nun beim eklatanten Fehlen der Massenvernichtungswaffen ihre Glaubwürdigkeit zu behalten und die Schuld den Geheimdiensten zuzuschieben (was gerade für eine Strategie der Präventionsschläge, wie sie die US-Regierung verfolgt, nur kurzfristig Entlastung bietet, denn präventiv kann man nur handeln, wenn man über verlässliche Informationen verfügt, für deren Beschaffung eben die Geheimdienste zuständig sind). Bei den britischen Geheimdiensten rumort es schon, wie lange CIA-Chef Tenet das Spiel noch mitspielt oder auch seitens der Regierung haltbar ist, ist eine Frage der Zeit. Er soll heute eine Rede an der Georgetown University zum Jahrestag der Powell-Rede halten, um die CIA-Arbeit zu verteidigen. Wie er aber dies machen wird, ohne die Regierung zu belasten, dürfte spannend werden. Sollte Tenet allerdings vor dem Wahlen zurück treten, würde dies nicht nur der CIA schaden, sondern auch der Bush-Regierung, die so lange an ihm festgehalten hat. Ein echtes Dilemma.

Inzwischen versucht sich Rumsfeld wieder an der Sophistik. Vor dem für das Militär zuständigen Senatsausschuss rechtfertigte er den erfolgreichen Krieg gegen den Terror, den Umbau des Militärs und das vorgesehene Rüstungsbudget. Und er sagte, dass er nicht bereit sei zu sagen, dass das Hussein-Regime keine Massenvernichtungswaffen hatte ( Kay hatte noch versprochen: "Die amerikanischen Menschen sollten von Überraschungen nicht überrascht sein.", aber vielleicht ist ja die Nichtexistenz die Überraschung). Was man den UN-Inspektoren seiner Zeit nicht zugestehen wollte, bräuchten jetzt die US-Waffensucher: mehr Zeit. Manche Informationen vor dem Krieg, so räumte er ein, mögen zwar nicht ganz richtig gewesen sein, aber die Regierung habe nichts manipuliert oder aufgebauscht. Dass es, wie David Kay zum Schock der US-Regierung gesagt hatte, keine Massenvernichtungswaffen mehr gegeben habe, sei zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich. Das Schlupfloch will sich Rumsfeld schon bewahren.

Auf die Tricks aus dem Morgenland hereingefallen?

Aber dann kommen wieder die schon eingeübten Argumente. Die Waffen könnten vor dem Einmarsch der US-Truppen in ein anderes Land gebracht worden sein. Sie könnten im ganzen Land versteckt worden sein. Oder sie könnten schnell vor dem Krieg noch zerstört worden sein (das ist eigentlich das ungeschickteste Argument, denn dann wäre der Krieg gar nicht notwendig gewesen, die Androhung hätte schon gereicht). Vielleicht aber gab es auch nur "kleine Quantitäten" von chemischen und biologischen Wirkstoffen, die dann zusammen mit einer "surge capability" schnell zur Produktion von Waffen verwendet werden könnten.

Das wäre dann schon die Schrumpfversion einer Massenvernichtungswaffen-Kapazität, kurz vor den von Bush so schön bezeichneten "Massenvernichtungs-Programmaktivitäten" (Amerika hat eine Mission). Von "smoking gun" ist keine Rede mehr. Übrig wird dann die eher schon psychologisch zu interpretierende Absicht bleiben, die ja keine Beweise in der empirischen Realität benötigt, aber normalerweise auch nicht ausreicht, um jemanden zu verurteilen. Immerhin meint Rumsfeld, dass man in den nächsten Monaten vielleicht solche "kleinen Quantitäten" noch finden könnte. Auch das dürfte dann eine Frage der Interpretation sein, wenn es um Dual-use-Ausgangsmaterialien geht, was zu vermuten ist. Und so macht der Verteidigungsminister der Supermacht das plausibel: Das Loch, in dem man Hussein gefunden habe, "war groß genug, um biologische Waffen zu enthalten, mit denen sich Tausende töten lassen". Hussein hatte zwar keine bei sich, aber das macht für das Argument ja nichts: "Solche Gegenstände können, wenn sie vergraben wurden, vergraben bleiben." Schließlich habe man ja auch "10 Monate" gebraucht, um Hussein ins einem Erdloch zu finden. Also sprach Rumsfeld.

Dann aber führt Rumsfeld noch einen Grund für das die Tatsache an, dass bislang trotz der Beweise der Regierung nichts gefunden wurde. Die Existenz der Massenvernichtungswaffen sei womöglich eine Scharade (charade), ein Trick also der irakischen Regierung gewesen. Dumm wäre dann allerdings, dass die US-Regierung mitsamt ihren Geheimdiensten auf diese Potemkinschen Dörfer hereingefallen ist, während andere die Inszenierung durchschaut haben.

Aber damit nicht genug, Rumsfeld sagt auch, dass Saddam Hussein womöglich von seinen eigenen Leuten "ausgetrickst" worden sein könnte, so dass er geglaubt hatte, er hätte Massenvernichtungswaffen, die es gar nicht gab. Auch hier lässt sich bezweifeln, ob dies für das Pentagon, die Regierung und die Geheimdienste eine geschickte Erklärung für die nicht vorhandenen Waffen ist. Zunächst hatte Saddam Hussein ja selbst im Vorfeld des Krieges oft genug gesagt, es gäbe im Irak keine Massenvernichtungswaffen mehr. Das wäre aber dann nur eine Schutzbehauptung eines verblendeten Diktators, der sich bei einem Angriff auf Waffen verließ, die bestenfalls eine Fata Morgana waren. Aber wenn nun die US-Regierung sich darauf verlässt, was der Diktator insgeheim, aber fälschlicherweise geglaubt hat, dann sieht es um ihre Glaubwürdigkeit auch nicht gut aus. Man könnte ihr alles Mögliche vorflunkern, ohne dass sie die Möglichkeit hätte, den Schwindel zu durchschauen.

Es scheint, dass es Rumsfeld nun so geht, wie jedem, der versucht, eine anfängliche Unwahrheit durch immer verstiegenere Argumente gegen Einwände zu behaupten. Andererseits kann er sich auf eine mächtige Tradition berufen, schließlich haben Religion und Philosophie lange darüber gebrütet, wie sie das - logisch - beweisen können, was - empirisch - nicht beweisbar ist. Letztlich bleibt der Glaube, der die Welt verwandelt. Aber haben Rumsfeld und Co. wirklich geglaubt? Das mag man schon angesichts der eingeübten Rhetorik nicht recht glauben. Schon lange hat man den Eindruck, man hat sich bei kleinen Jungen verirrt (eingeschlossen die al-Qaida-Gang). Aber vielleicht läuft genau so die Weltgeschichte im Medienzeitalter.