Rumsfeld und der Gottesbeweis
Update: Die wenig überzeugenden rhetorischen Strategien der US-Regierung werden auch durch die entdeckten leeren Sprengköpfe nicht besser
Ginge es nicht um Krieg und Frieden, so könnte man geradezu belustigt dem Treiben auf der Weltbühne zu sehen. Sollte nicht Präsident Bush im nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il einen Spielverderber gefunden haben, so scheint es jetzt lediglich noch darum zu gehen, wie die US-Regierung es rhetorisch in allen Eventualitäten bewerkstelligen wird, dennoch den lange geplanten "Regimewechsel" auszuführen.
Man hat den Eindruck, der Herrscher in Pjöngjang kann machen, was er will, die US-Regierung wird auf jeden Fall nicht mit der Entschlossenheit eine Entwaffnung oder gar einen Regimesturz fordern und mit Waffengewalt drohen. Allein dieses Verhalten entlarvt die Argumente von der Bedrohung der Welt und der USA durch den Irak und seine angeblichen Massenvernichtungswaffen als taktisches Manöver. Nordkorea hat zwar Abkommen gebrochen, besitzt Massenvernichtungswaffen und Trägerraketen, hat damit begonnen, waffenfähiges Plutonium herzustellen, die Armee ist in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden, hat mit Übungen begonnen und auch mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.
Alles kein wirkliches Problem für die US-Regierung, da man das doch diplomatisch lösen könne. Der Irak ist hingegen für eine Vorführung der amerikanischen Macht geeigneter, weil die irakische Armee schwächer und schlechter ausgerüstet ist, das Land vermutlich über keine gefährlichen Massenvernichtungswaffen verfügt und das Regime relativ isoliert ist. Zudem hat das Land eben riesige Ölvorkommen, während Nordkorea diesbezüglich nichts zu bieten hat.
Der Termin für den ersten Bericht der UN-Waffeninspekteure an der Sicherheitsrat nähert sich, ohne dass sich zugunsten der US-Regierung etwas wirklich geändert hat. Präsident Bush meinte dennoch, dass für Hussein die Uhr ablaufe, obgleich sein Sprecher Ari Fleischer gleich wieder betonte, dass Bush noch nicht entschieden habe, ob die USA in den Krieg ziehen werden. Als würde Bush die eigenen Strategien meinen, fügte er auf der Pressekonferenz hinzu: "Ich habe die Spiele und Irreführungen satt." Natürlich wird der Spieß herumgedreht und stets der Irak für einen möglichen Krieg verantwortlich gemacht, als würde noch jemand glauben, dass es tatsächlich Hussein in der Hand habe (wenn er nicht zurücktritt), die von den USA aufgefahrene Kriegsmaschinerie zu stoppen.
Hans Blix, der Leiter der UN-Waffeninspekteure, wird zwar vom Irak fordern, neue Dokumente zu liefern, da die Situation sehr gefährlich sei, hat aber auch angekündigt, dass man eine Liste für einen Bericht im März erstellen werde, in der aufgeführt werde, was der Irak im Einzelnen leisten müsse, bevor die Sanktionen aufgehoben werden könnte. Der Termin am 27. Januar sei nicht als Ende der Inspektionen anzusehen, sondern eigentlich erst als deren wirklicher Beginn. Das passt der drängelnden US-Regierung nicht, die Ende Januar Klarheit haben will, weswegen sich nun auch Sicherheitsberaterin Rice direkt eingeschaltet hat. Schließlich hat Bush für den Termin nicht nur militärisch, sondern auch medial vorgesorgt. Am 28. Januar, einen Tag nach Abgabe des Berichts an den Sicherheitsrat hält der Präsident seine "State of the Union"-Rede, danach ist auf Camp David ein Treffen mit seinem treuen Vasallen Tony Blair vereinbart.
Inzwischen führt Verteidigungsminister Rumsfeld, der eher fürs Grobe zuständig ist, die US-amerikanische Logik erneut vor. Das Problem ist natürlich, wie es weiter gehen soll, wenn die Waffeninspekteure nichts finden sollten, was sich als schwerwiegender Bruch der UN-Resolutionen werten ließe. Rice drängt darauf, dass irakische Wissenschaftler mit ihren Familien zur Befragung ins Ausland geschafft werden sollen. Nur will bislang freiwillig keiner. Die Frage wäre auch, welches Gewicht überhaupt Aussagen ohne deren Überprüfung haben würden, da sich die Iraker ja durchaus von Angeboten zu Informationen "inspirieren" lassen könnten. Rumsfeld fährt eine andere, wenn auch schon vor dem Beginn der Waffeninspektionen entwickelte Strategie.
Es gehe bei den Inspektionen gar nicht um das Finden eines "rauchenden Colts", also um Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen oder von Programmen zu deren Entwicklung. Gerade wenn die Inspektionen nichts finden, so Rumsfeld am Mittwoch, sei dies ein Beleg für einen Bruch, weil dies von mangelnder Kooperation des Regimes zeuge:
"Die Tatsache, dass die Inspektoren noch keinen neuen Beweis für das irakische Massenvernichtungswaffen-Programm gefunden haben, könnte an sich ein Beleg für Iraks Nichtkooperation sein. Wir wissen, dass der Irak seine Programme so gestaltet hat, dass sie auch in dem Kontext von Inspektionen weiter geführt werden können und dass sie in Strategien des Verbergens und Täuschens geübt sind."
Wie religiös Rumsfeld ist oder ob er religionsphilosophische Berater in seinem Stab hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Argumentation erinnert gleichwohl an die sogenannten Gottesbeweise, mit denen man Nichtgläubige in einem scheinbar logischen Gedankengang von der Existenz Gottes überzeugen wollte, für die es keine empirischen Belege gibt. Anscheinend neigt Rumsfeld zu den Vertretern des ontologischen Gottesbeweises, da für ihn alleine schon der Begriff Irak oder Saddam die Existenz von Massenvernichtungswaffen beinhaltet. Aber vielleicht ist er auch der Überzeugung, dass dies eine Frage des rechten Glaubens ist.
Auf jeden Fall müssen weder die UN noch die USA beweisen, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt: "Die Beweislast liegt beim Irak-Regime, das beweisen muss, dass es sich entwaffnet, und das den Inspektoren zeigen muss, wo die Waffen sind." Das wäre zwar in einem gewöhnlichen Prozess sehr ungewöhnlich, aber würde auch ansonsten nur überzeugen, wenn es denn tatsächlich stimmt, dass der Irak in seinem Waffen-Dossier geschwindelt und tatsächlich irgendwo solche Waffen oder Waffenprogramme versteckt hat. Ob die amerikanischen Geheimdienste tatsächlich Beweise dafür haben oder nicht, wird die Weltöffentlichkeit bestenfalls zur Zeit der Kriegserklärung erfahren. Das könnte die letzte Rückversicherung der US-Regierung sein, obgleich bislang wenig dafür spricht, dass die Geheimdienste tatsächlich über zwingende Beweise verfügen.
Kognitive Dissonanz scheint auch für US-Generalstabschef Richard Myers kein großes Problem darzustellen. Die US-Regierung hatte bekanntlich den Krieg erklärt, ist in Afghanistan einmarschiert und jagt im "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" al-Qaida-Mitglieder, die gefangen oder auch getötet werden können. Die im von en USA ausgerufenen Krieg Gefangenen erhalten jedoch bekanntlich nicht den Status als Kriegsgefangene, weswegen die US-Regierung sich auch nicht verpflichtet sieht, hier die Genfer Konventionen - oder andere Abkommen oder Gesetze - einhalten zu müssen.
Dem Irak aber hielt Myers auf derselben Pressekonferenz, in der Rumsfeld seine Beweisführung vorstellte, dem Irak vor, er würde eben diese Genfer Konventionen verletzen und ein "Kriegsverbrechen" begehen, wenn Zivilisten als lebende Schutzschilde im Falle eines Krieges eingesetzt würden. Myers betonte zwar noch, dass es sich nach Presseberichten um Menschen handeln würde, die sich dafür freiwillig aus dem Ausland melden, konstruiert aber daraus, dass das Regime "unschuldige Zivilisten" missbrauche. Danach gefragt, was das Pentagon dann mache, antwortete Myers, dass manchmal die militärische Notwendigkeit vorliege, trotz der Anwesenheit von Zivilisten die Ziele zu bombardieren. In vielen Fällen wisse man das aber nicht, weswegen dies auf das Regime im Irak zurückfalle.
Update: Die Dinge ändern sich nicht schnell im Endspurt. Bei der Durchsuchung des Munitionslagers Uchaider haben die UN-Inspektoren elf leere Sprengköpfe gefunden, die in gutem Zustand und Sprengköpfen ähnlich seien, wie sie der Irak in den 80er Jahren importiert habe (woher, ist den Berichten leider nicht zu entnehmen). Ob die leeren Sprengköpfe jemals chemische Kampfstoffe enthalten haben, ist bislang nicht bekannt. Dimitri Perricos, Leiter des UNMOVIC-Teams in Bagdad, sagte denn auch, dass dies noch kein Beweis für einen Bruch der UN-Resolutionen sei.
Die Iraker zeigten sich hingegen erstaunt über diesen "Sturm im Wasserglas". Es seien alte Sprengköpfe, die überdies im Waffendossier aufgeführt worden seien. Vom Militär seien sie nur "vergessen" worden.
Hans Blix sagte zudem, dass der Irak das von der UN verhängte Importverbot verletzt habe, ob die möglichen Waffenteile aber in irgendeinem Bezug zu Massenvernichtungswaffen stehen, könne er nicht belegen. Mohamed ElBaradei, der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde, forderte ebenso wie Blix den Irak auf, aktiver bei der Aufklärung mitzuarbeiten, um einen Krieg zu vermeiden.
Vermutlich dürften Entdeckungen wie der Fund der leeren Sprengköpfe für einen Angriff herangezogen werden. Höchst unwahrscheinlich ist jedenfalls, dass die US-Regierung und vermutlich auch die auch im Zugzwang stehende britische Regierung ihre Truppen wieder zurückziehen werden. Es gibt absolut keine Einigkeit oder überhaupt nur Anforderungen darüber, wann eine Evidenz dafür bestünde, dass der Irak abgerüstet hat. Schließlich geht es Bush, wie ebenfalls jeder weiß, auch nicht um die Abrüstung, sondern um einen Regimewechsel. Man wird also weiterhin mit Gottesbeweisen der einen oder anderen Art rechnen dürfen - und beobachten müssen, wie man anderen Orts diplomatisch mit dem irakischen Abenteuer von Bush und seiner Schützenhilfe für den internationalen muslimischem Terrorismus umgehen wird. Plötzlich werden wohl viele trotz besseren Wissens gläubig werden. Und das ist schlicht Realpolitik, wie sie immer gepflegt wurde.
Interessant würde natürlich sein, wenn Hussein tatsächlich freiwillig ins Exil ginge (unwahrscheinlich) oder, wie angeblich in Saudi-Arabien geplant, der Diktator gestürzt würde. Dass man nicht allerorten davon erbaut sein wird, wenn die USA nach einer Invasion eine ihr genehme Regierung installieren, dürfte auf der Hand liegen - gerade auch dann, wenn tatsächlich ein wirklich demokratischer Prozess in Gang käme, der die umliegenden Staaten entzünden oder zumindest destabilisieren würde. Könnte man die irakische Armee oder gar die Republikanischen Garden zu einem Putsch bewegen und die führenden Parteifunktionäre und Militärs durch eine UN-Resolution Amnestie gewähren, könnten mehr Hände in die Regierungsbildung eingreifen, als den USA recht wäre. Auch das wäre womöglich ein Grund für Bush, den Gang der Ereignisse zu beschleunigen.