Macrons Gelbwesten-Rede: Viele Versprechen, wenig Konkretes
Aus einer fast neunprozentigen Arbeitslosigkeit soll bis 2025 eine Vollbeschäftigung werden
Nachdem die im letzten Jahr begonnenen Gelbwesten-Massenproteste gegen seine Politik auch 2019 nicht enden wollten, begab sich der französische Staatspräsident auf eine Reise durch sein Land, das nicht in Paris anfängt und in Versailles aufhört, sondern von Okzitanien bis in die Bretagne und vom katalanischen Perpignan bis ins Elsass reicht. Dort sollte eine "Grand débat" stattfinden, bei der ihm die Bürger sagen, was sie bedrückt.
Ähnlich herablassend wie Hillary Clinton
Die Konsequenzen, die er daraus zog, wollte Macron eigentlich schon letzte Woche öffentlich verkünden, verschob die Rede aber, nachdem am 15. April die Kathedrale von Notre Dame brannte. Der Nachholtermin war gestern Abend im kostspielig renovierten Ballsaal des Élysée-Palastes - und der Staatspräsident, der hinter einem sehr prunkvollen gigantischen weißen Schreibtisch saß, machte dabei nicht den Eindruck, dass er dem einfachen Volk in der "Grand débat" wirklich näher gekommen ist. Mit Formulierungen wie der von "toten Ecken der Gesellschaft" wirkte er (trotz seiner Beteuerungen, wie wichtig die Erfahrung für ihn gewesen sei) ähnlich herablassend wie Hillary Clinton, die die Rust-Belt-Bundesstaaten auch wegen ihrer Bemerkung zu den "Deplorables" verlor.
Darüber hinaus meinte Macron zwar, er "bedaure", manchmal ungerecht "gewirkt" zu haben (was in einer Umfrage unlängst 71 Prozent der Franzosen bejahten), aber der von ihm eingeschlagene Weg sei schon "der richtige". Verändert werden müssten lediglich Feineinstellungen. So soll etwa die von ihm gestrichene Anpassung der Renten an die Inflation wieder eingeführt werden. Den Altersruhestand mit 62 Jahren will er nur als Möglichkeit beibehalten und eine längere Lebensarbeitszeit indirekt über Abschläge und daraus folgende "freiwillige" Verlängerungen erwirken.
Die Einkommensteuer soll um fünf Milliarden Euro gesenkt werden, wovon angeblich vor allem niedrige Einkommen und Normalverdiener profitieren werden. Bei einer vor den Gelbwesten-Protesten durchgeführten Steuersenkung war das umgekehrt: Diese Abschaffung der Vermögenssteuer nutzte vor allem der wohlhabenden Elite. Sie rekrutiert sich in Frankreich zu einem bedeutenden Teil aus einer einzigen Hochschule: Der ENA, die nicht nur die Führungskräfte des Staates, sondern auch die der französischen Wirtschaft ausbildet. Damit, ob die von Macron gestern in Aussicht gestellte Schließung dieser ENA vor allem Symbolpolitik ist, ober ob sie tatsächlich dazu führen kann, vermachtete Strukturen aufzubrechen, wird sich Christoph Jehle in einem Artikel in den nächsten Tagen gesondert befassen.
Dezentralisierungsmaßnahmen
Eine weitere Dezentralisierungsmaßnahme soll die Einrichtung von 2.000 über ganz Frankreich verteilter "France-Service"-Behördenaußenstellen sein. Ob sie dazu beitragen, die Stimmung vor Ort zu verbessern, wird ganz entscheidend davon abhängen, wie viel Spielraum man ihnen für eigene Entscheidungen gewährt: Müssen sie sich ständig an eine Zentrale in Paris wenden, könnten sie eher Wartezeiten verlängern und Frustrationen vergrößern. Außerdem sollen den Regionen und Kommunen neue Kompetenzen übertragen werden. Welche das konkret sein werden, ließ Macron weitgehend offen.
Bei anderen Vorgaben ist nicht nur unklar, wie, sondern auch ob sie erreicht werden: Zum Beispiel beim Ziel, dass in keiner Klasse mehr als 24 Schüler unterrichtet werden sollen. Oder beim Vorhaben, die aktuell fast neunprozentige Arbeitslosigkeit innerhalb von sechs Jahren in eine Vollbeschäftigung zu verwandeln. Die Jahreszahl 2025, die Macron in diesem Zusammenhang nannte, führte zu Reporterfragen über ein Wiederantreten bei der Präsidentschaftswahl 2022, die der Staatspräsident nicht beantworten wollte. Wird er 2022 wiedergewählt, ist offen, ob er den vorerst nur bis dahin versprochenen Stopp der Schließung von ländlichen Schulen und Krankenhäusern aufrechterhält.
Opposition rechnet nicht mit Ende der Proteste
Ob Macron 2022 noch einmal antritt, hängt wahrscheinlich auch davon ab, ob ihm die Umfragen in drei Jahren überhaupt eine Chance geben, wiedergewählt zu werden. Kurz vor den Europawahlen liegt seine Partei La Republique en Marche (LREM) mit 21 Prozent knapp hinter der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, die 22 Prozent der Franzosen wählen würden. Ihr italienischstämmiger Europawahlspitzenkandidat Jordan Bardella meinte nach Macrons gestriger Rede, er "befürchte, dass die Wut der Franzosen jetzt noch viele schöne Tage vor sich hat". Ähnlich äußerte sich Jean-Luc Mélenchon, dessen Partei "La France Insoumise" ("Unbeugsames Frankreich") mit neun Prozent rechnen kann.
Weitere Parteien mit Chancen auf einen Einzug ins Europaparlament sind Nicolas Sarkozys Republikaner (die bei 12 Prozent liegen), Nicolas Dupont-Aignans souveränistische EU-Skeptiker von Debout la France (sechs Prozent) und die Sozialdemokraten (ebenfalls sechs Prozent). Wer keine dieser Parteien (und auch keine der kleineren) mag, kann seinen Stimmzettel zwar leer oder ungültig gemacht abgeben, wird aber damit nicht gezählt. Der von Gelbwesten vorgebrachten Forderung, das zu ändern, erteilte Macron gestern eine direkte Absage. Indirekter war sein "Nein" zu Volksabstimmungen: Sie sollen zwar etwas leichter möglich werden, aber nur als Befragungen auf lokaler Ebene.
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