Make films not war

Kino als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln - Klaus Theweleit und Jean Baudrillard bei "Reden über Film" in München

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Was verraten Filme über die Gesellschaft in der wir leben? Hat das Kino den Anschlag auf das World Trade Center vorweggenommen? Schlummert in jedem von uns ein Terrorist? Diesen Fragen wollten die Veranstalter der ehrwürdigen Reihe Reden über Film im Münchner Arri-Kino an den beiden vergangenen Sonntagen nachgehen. Als Gastredner eingeladen waren der Freiburger Soziologe und Schriftsteller Klaus Theweleit sowie der französische Philosoph Jean Baudrillard, der nach seinem Essay L'esprit du terrorisme von Alain Minc zum "geistigen Terroristen" erklärt wurde.

In ihrem Begleitprospekt verkündeten die Veranstalter: "Die Veranstaltungen am 20. und 27. sind ein Versuch, sich den von Hollywood verbreiteten Bildmustern nicht geschlagen zu geben." Denn, so hieß es weiter, "wie wir wissen, stehen uns neue Schlachten und steht uns neues Schlachten bevor". Und dann verwies der Text auf jenes denkwürdige Treffen vom 11. November 2001, zwischen führenden Vertretern der Unterhaltungsindustrie und Mitgliedern der Bush-Regierung. Bei diesem Gipfeltreffen versprach kein Geringerer als Jack Valenti, Präsident der Motion Picture Association of America (MPAA), Hollywood werde die Kriegsanstrengungen der Regierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen.. (Vgl. Nur Truppen und kein Geld?)

Viel vorgenommen hatte man sich also, und damit das Publikum auch so richtig gefordert wird, verband man die Vorträge mit zwei je zweistündigen Filmen. Leider gewährte man im Gegenzug Klaus Theweleit gerade mal fünfzehn Minuten für seinen einführenden Vortrag "Die Wonnen des Überwachungsstaates", was dazu führte, dass er seine kurz bemessene Zeit hauptsächlich dazu verwendete, auf die Rezeptionsgeschichte sowie die wesentlichen Aspekte des bevorstehenden Films ‚Staatsfeind Nr. 1' hinzuweisen. Für alle, die den Film nicht gesehen haben, nur so viel: Der so genannte Staatsfeind Nr. 1 ist in dem Film von Tony Scott kein bärtiger Muslim, sondern vielmehr der Staat selbst, genauer: ein Teil des Staates, nämlich die National Security Agency (NSA). In der NSA wiederum ist insbesondere der von Jon Voight verkörperte Thomas Brian Reynolds, seines Zeichens NSA Deputy Director of Operations, der Bösewicht. Denn Reynolds möchte seiner Karriere etwas nachhelfen und lässt deshalb jeden umlegen, der ihm dabei in die Quere kommt. Sein Mittel zum Zweck ist ein Gesetz, das die Bürgerrechte stark dezimiert. Wenn dieses Gesetz im Kongress bewilligt wird, steht seiner Beförderung nichts mehr im Wege. (Kleine Randnotiz: Die Filmfigur Reynolds wurde an einem 11.9. geboren - ein Datum, das das Rätselraten um den wahren Zweck des Films noch weiter antreiben dürfte.)

Damit wären wir auch schon bei den so genannten Anti-Terror-Gesetzen von Otto Schily und dem US-amerikanischen Patriot Act, die allesamt auf dasselbe abzielen wie das Film-Gesetz im Staatsfeind Nr.1: größtmöglicher Zugriff auf die Privatsphäre, um etwaige Staatsfeinde schon im Keim zu ersticken. Was der Film von 1998 als krumme Tour der NSA vorführt, wurde nach dem 11. September 2001 zur legalen Praxis geadelt. Im Film sagt NSA-Bösewicht Reynolds sinngemäß: "Die einzige noch existierende Privatsphäre ist in ihrem Kopf - und das reicht auch." Man kann allerdings davon ausgehen, dass die NSA und andere Behörden in aller Welt nur zu gerne auch das Gehirn selbst ausspionieren würden.

Natürlich hat kein rechtschaffener Mensch etwas zu verbergen, sagen die Befürworter der so genannten Sicherheitsgesetze. Das Frage ist nur, wer festlegt, ob jemand etwas zu verbergen hat oder nicht. So gerät im ‚Staatsfeind Nr. 1' der Anwalt Robert Clayton Dean (Will Smith) ins Visier der NSA, weil er zufälligerweise im Besitz eines hochbrisanten Films ist. Dieser Film zeigt den Mord an einem Senator, der sich Reynolds widersetzt - würde man diesen Film veröffentlichen, wäre die Karriere von Reynolds mit einem Schlag beendet. Doch Dean hat wie gesagt keine Ahnung, dass er das Filmchen besitzt, und ist deshalb auch der Meinung, dass er nichts zu verbergen hat. Und so dauert es mindestens zwei Drittel des Films, bis er endlich begreift, wer sein Leben zur Hölle macht und warum.

Eine Szene, die nach Einschätzung Theweleits wohl nicht mehr drin wäre, hätte man den Film nach dem 11.9. gedreht, ist jene, in der der ehemalige NSA-Mann Brill (Gene Hackmann) dem von der NSA verfolgten Dean (Will Smith) vorschwärmt, wie toll es damals war im Irak, nur leider hätte man dann alles aufgeben müssen. Diese Szene schildert nichts anderes als die Vorgeschichte der Taliban, die seinerzeit von den USA unterstützt wurden und hat damit quasi dokumentarischen Charakter.

Nach dem Film folgte die Podiumsdiskussion, die man nur als unsäglich bezeichnen kann. Unter der absolut unsouveränen Leitung von SZ-Redakteurin Franziska Augstein schwiegen die geladenen Gäste zunächst vor sich hin, redeten dann aneinander vorbei oder aber über alles mögliche, nur nicht über den Film und die Frage, ob auch wir inzwischen in einem Überwachungsstaat leben. Auf den Hinweis aus dem Publikum, dass auch Journalisten ins Visier der Verfassungsschützer geraten können, wenn sie ihre Informanten nicht preisgeben wollen, fiel Franziska Augstein nichts besseres ein als darauf hinzuweisen, dass sie nicht so blöd wäre, von irgendwelchen Privatanschlüssen aus mit Leuten zu telefonieren, die möglicherweise überwacht würden. So was mache man ja wohl nur von der Redaktion aus, denn Redaktionen würden ihres Wissens nach nicht überwacht. Dann erzählten Vater Lothar Bisky (ehemaliger Rektor der Filmhochschule Babelsberg und Bundesvorsitzender der PDS) und Sohn Jens Bisky (SZ-Redakteur) ein bisschen aus der bösen DDR, während Klaus Theweleit mehrmals versuchte, auf die Brisanz der Schily-Gesetze und die technischen Möglichkeiten der Überwachung hinzuweisen. Erst als das Publikum dazugeschaltet wurde, wachte auch Lothar Bisky auf und kritisierte die aktuelle Gesetzgebung.

Da war die Veranstaltung eine Woche später mit Baudrillard schon deshalb erfreulicher, weil gar nicht erst versucht wurde, eine Expertenrunde zusammenzustellen. Nach einigen Grußworten der Veranstalter hielt die Baudrillard-Übersetzerin Michaela Ott (Uni Stuttgart) einen hervorragenden, in das Werk und Denken Baudrillards einführenden Vortrag, dann hielt Baudrillard seinen Vortrag Requiem für die Twin Towers, und zwar in ausgezeichnetem Deutsch, dann folgte der Film "Ausnahmezustand" von Edward Zwick (USA 1998, O: The Siege), danach stand Baudrillard dem Publikum zur Verfügung.

Der Film ‚Ausnahmezustand' übrigens schildert, wie in New York, genauer: in Brooklyn, N.Y., nach einer Serie von Anschlägen durch todesmutige Muslims der Ausnahmezustand verhängt und jeder Muslim im Alter von etwa 13 bis 40 in ein zum Internierungslager umfunktionierten Football-Stadion eingesperrt wird. Zum Glück gibt es den aufrechten Polizisten (Denzel Washington), der dem ganzen Spuk ein Ende bereitet. An sich keine schlechte Story, nur ist der Film wenig subtil und stellenweise kaum zu ertragen.

Wer Baudrillards SZ-Artikel "Der Geist des Terrorismus" vom 12. November 2001 und das Spiegel-Gespräch mit Baudrillard vom 14. Januar 2002 gelesen hatte, konnte sich die Veranstaltung im Grunde sparen. (Vgl.Die Logik des Weihnachtsmanns)

"Selber schuld" lautet kurz gesagt Baudrillards Kommentar zum 11. September und den Anschlägen auf das World Trade Center. Schließlich hat die Supermacht USA "durch ihre unerträgliche Übermacht nicht nur diese ganze Gewalt geschürt, von der die Welt erfüllt ist, sondern auch - ohne das selbst zu wissen - die terroristische Phantasie, die in uns allen ist." Was nun die Twin Towers angeht, so sei vor allem ihre Doppelgestalt schuld an ihrem Untergang: "Als die beiden Türme zusammenbrachen, hatte man den Eindruck, dass sie auf die Selbstmord-Attacke aus der Luft mit ihrem eigenen Suizid antworteten." Und die Terroristen sind dem Westen deshalb überlegen, weil sie ihren eigenen Tod in Kauf nehmen. Ihnen geht es nicht um Tauschgeschäfte, sondern um Aufopferung. Mit dieser Haltung unterlaufen sie das kapitalistisch geprägte, westliche System und werden unangreifbar.

Freilich kann man sagen, Hollywood habe den Anschlag auf das World Trade Center vorweggenommen. All die Filme der vergangenen Jahre, in denen vor allem New York und Washington dem Erdboden gleichgemacht wurden, seien zwar nur Phantasiegebilde gewesen, und doch hätten sie bewirkt, dass den meisten von uns die Bilder vom 11. September so merkwürdig vertraut vorkamen. Klar, sagen kann man das. Die Frage ist nur: welche Beweiskraft hat das Kino? Schließlich käme niemand auch nur ernsthaft auf die Idee zu behaupten, im Jahre 2019 bekämen wir Besuch vom Mars, bloß weil wir das schon mal in irgendeinem Film gesehen haben. Mal ehrlich: Filme haben höchstens soviel Gabe zur Prophetie wie all jene Zeitgenossen, die hinterher immer alles vorher gewusst haben. Einerseits. Andererseits gibt es Filme wie den ‚Staatsfeind Nr. 1', deren Visionen man durchaus ernst zu nehmen hat, nur behaupten die nicht, irgendeine Zukunft vorherzusagen, vielmehr spielen sie mehr oder weniger explizit in der Gegenwart. Aus diesem Grunde möchte man allen, die sich gegen einen Besuch im Arri und für die Lektüre der liegen gebliebenen Zeitungen entschieden haben, herzlich gratulieren. Wahrscheinlich haben sie sich damit viel effektiver den "den von Hollywood verbreiteten Bildmustern" widersetzt als so mancher Besucher der Matineen.