Mali: Wie bei einem "Routineeinsatz" Soldaten "verunglücken"
Wenn statt über einen Krieg über technische Defekte diskutiert wird
Am 26.7.2017 ist um etwa 14:00 Uhr deutscher Zeit in Mali nach Angaben der Bundeswehr "circa 70 km nordöstlich von Gao" ein Kampfhubschrauber vom Typ Tiger in Mali abgestürzt. Am Abend wurde bestätigt, dass beide Besatzungsmitglieder verstorben seien. Man gehe zunächst von einem technischen Defekt aus, hieß es auf der Facebook-Seite der UN-Mission MINUSMA, in deren Rahmen die Bundeswehr vor Ort ist.
Noch am späten Abend äußerte auch der stellvertretende Generalinspekteur Admiral Rühle, dass keine Hinweise auf Fremdeinwirkung bestünden. Entsprechend sind wohl auch die Obleute im Bundestag informiert worden. Spiegel Online berichtet ebenfalls noch am Abend auf Grundlage der Beschreibung der Piloten eines weiteren Bundeswehr-Kampfhubschraubers in Sichtweite, "dass der verunglückte Tiger urplötzlich und ohne einen Notruf mit der Nase nach vorne abgekippt und dann sofort im Sturzflug zu Boden gegangen sei".
Somit dominierte bereits am ersten Tag nach dem Absturz, noch bevor der Flugschreiber gefunden wurde, die These vom technischen Defekt die Berichterstattung. Das Verteidigungsministerium hatte zudem als erste Reaktion angekündigt, dass die Tiger vorerst keine "Routineflüge" mehr in Mali absolvieren sollten, sondern nur noch Einsätze "bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben" stattfinden sollten.
Damit bestand das herrschende Narrativ in den Medien darin, dass deutsche Soldaten bei einem Routineeinsatz durch einen technischen Defekt "verunglückt" seien - so etwa die Frankfurter Rundschau. Entsprechend fokussierte sich die Debatte, sobald der Verlust bestätigt war - neben einer geheuchelten Anteilnahme gegenüber den Toten und ihren Angehörigen -, auf vermeintlichen Ausrüstungs- und Personalmängel, die es zu beheben gelte.
Erstaunlich wenig wird demgegenüber die Frage gestellt, was ein "Routineeinsatz" eines Kampfhubschraubers eigentlich bedeutet und welchen Sinn und Zweck der Einsatz der Bundeswehr in Mali hat. Im Narrativ des Unfalls schwingt mit, dass es keinerlei Bezug zu Kampfhandlungen gegeben hätte und was die Aufgabe der Soldaten angeht wird meist von einer Friedensmission oder der "Überwachung des Friedensabkommens zwischen der Regierung und den Rebellen" die Rede (so etwa die FR in bereits oben angesprochenen Artikel).
Auseinandersetzungen am Boden?
Auch dass tatsächliches Interesse am Auftrag und die Auseinandersetzung mit der Situation in Mali so gering sind, entlarvt die vermeintliche Anteilnahme am Tod der Soldaten als pure Sprachregelung und Heuchelei. Tatsächlich aber fand der mögliche Zusammenhang des Absturzes mit einer bewaffneten Auseinandersetzung am Boden kaum Beachtung, obwohl es durchaus Anzeichen gab.
Die ersten Hinweise über den Absturz kamen von den UN. Der stellvertretende Sprecher des UN-Generalsekretärs sprach in der täglichen Pressekonferenz vom 26.7. davon, dass die Hubschrauber "Konfrontationen am Boden überwacht" hätten und "die Absturzstelle erst gesichert werden musste", bevor die Untersuchungen zur Ursache beginnen könnten.
Zwar griff Spiegel Online als eines von sehr wenigen deutschen Medien diese Aussage auf, nicht aber ohne gleich eine Art Schlussstrich zu ziehen: "In den Stunden nach den ersten Meldungen sorgte die Uno für reichlich Verwirrung. So befeuerte die Organisation mit Meldungen, die beiden Helikopter seien über einem Kampfgebiet unterwegs gewesen, weitere Spekulationen über einen Abschuss der Maschine. In Bundeswehrkreisen herrschte über diese Kommunikationspolitik Kopfschütteln."
Worin ein "Routineeinsatz" von Kampfhubschraubern jenseits eines "Kampfgebietes" bestehen und warum die Kampfhubschrauber sonst nördlich von Gao unterwegs gewesen sein sollten, darüber verliert der Beitrag zugleich kein Wort, obgleich er Auftrag und Funktion der Tiger im Prinzip ganz treffend benennt: "Konkret schützen die gepanzerten Helikopter, die mit Luft-Boden-Raketen ausgestattet sind, Konvois und sollen bei Notfällen, also wenn UN-Soldaten am Boden angegriffen werden, schnell eingreifen".
Wichtigstes Argument für ihre Entsendung war jedoch Anfang des Jahres der Schutz von Verwundetentransporten aus Gefechtsszenen. Jetzt sieht es andersherum so aus, dass offensichtlich Bodentruppen ausrücken mussten, um die Bergung des "völlig ausgebrannten Wrack[s]" (Spiegel Online) abzusichern.
Zusammenstöße unter den Parteien des Friedensabkommens
Auch über die konkreten Entwicklungen in Mali, mit denen der Einsatz und auch der Absturz durchaus in Verbindung stehen könnten, finden sich bislang keine Hinweise in der deutschen Presse. Wie gesagt beschränken sich die Angaben zum Auftrag meist auf die Umsetzung eines Friedensabkommens.
Dieses wurde 2015 zwischen der Regierung und mehreren Koalitionen bewaffneter Gruppen geschlossen, darunter die sog. Plattform und die "Coordination des Mouvements de l’Azawad", CMA. Zur Plattform gehört u.a. die Gatia-Miliz, die als regierungstreu gilt, zur CMA die MNLA, die 2012 mit der Unabhängigkeit des Nordens den Konflikt ausgelöst hatte, mittlerweile militärisch jedoch eng mit Frankreich kooperiert. Zwischen diesen Gruppen und verschiedenen Stellvertretern kam es auch nach dem Friedensabkommen immer wieder zu Gefechten, die jedoch in den Wochen vor dem Hubschrauberabsturz deutlich an Schärfe zugenommen hatten.
Bereits am 6. Juli sprach der Sprecher des UN-Generalsekretärs "Bewegungen bewaffneter Konvois, Provokationen und sogar Gefechte" unter den Parteien des Abkommens in Kidal an. Der Leiter der UN-Mission drohte, dass weitere Verletzungen des Abkommens die Glaubwürdigkeit der Partner" in Mali unterminieren würden.
Dessen ungeachtet kam es daraufhin u.a. zu tagelangen Auseinandersetzungen um die kleine Ortschaft Anefif an der Grenze zwischen den Regionen Gao und Kidal. Am 13. Juli bestätigte ein Sprecher der Gatia laut Reuters, dass die Stadt nun von der CMA kontrolliert werde, die Plattform jedoch ihre Rückeroberung vorbereite. Die CMA wiederum erklärte, mit der Einnahme von Anefif nun die gesamte Region Kidal zu kontrollieren. Soweit nachvollziehbar fanden danach in verschiedenen Kommunen der Region Kidal Gefechte statt.
Auf den 26. Juli, dem Tag, an dem die beiden deutschen Soldaten starben, ist eine Erklärung der Plattform zu erklären, die sich an den Leiter der MINUSMA, die malische Regierung wie die internationale Gemeinschaft richtete und von einem koordinierten Angriff der CMA auf mehrere Gemeinden in der Region Kidal am Morgen desselben Tages sprach. Er rief dazu auf, "die Feinde des Friedens zu verurteilen und sich denen entgegenzustellen, die Chaos in der Region sähen wollen".
In der Erklärung wird außerdem vermutet, dass die Eskalation vonseiten der CMA das Ziel verfolge, die Einsetzung des Gouverneurs und die Rückkehr staatlicher Institutionen in Kidal zu verhindern. Tatsächlich war diese zwar lange vereinbart, jedoch erst seit dem 23. Juni 2017 konkretisiert worden. In der Stadt Kidal hatte es wohl auch "zivilgesellschaftlichen" Protest gegen die Einführung des Gouverneurs gegeben, wie CMA-nahe Quellen u.a. auf Twitter berichten.
Wenn auch die Erklärung der Plattform die Realität durchaus verzerrt wiedergeben dürfte, so finden sich doch insgesamt zahlreiche Hinweise auf eine Eskalation der Lage nördlich von Gao in den letzten Wochen und am Tag des Absturzes selbst. Im Zuge der verschärften Auseinandersetzung um die konkret bevorstehende Rückkehr einer gesamtstaatlichen Verwaltung kam es vermehrt zu Zusammenstößen und es wird zumindest der Eindruck vermittelt, dass die tendenziell sezessionistische CMA auch militärisch die Oberhand in Kidal gewinnen werde.
UN und MINUSMA kamen sichtlich unter Druck, ihr Verhältnis zu verschiedenen bewaffneten Akteuren neu zu definieren. Wenn in diesem Kontext der Einsatz mindestens zweier Kampfhubschrauber der Bundeswehr zwischen Gao und Kidal Routine ist, dann heißt dies letztlich schlicht: Die Routine ist Krieg und Mali ist ein Kampfgebiet. Und die Diskussion sollte sich dann nicht auf technische Defekte und vermeintlich Ausrüstungsmängel konzentrieren, sondern auf Lage, Sinn und Zweck des Einsatzes.