Manbidsch: Unmittelbare Gefahr einer türkischen Intervention erst einmal gebannt
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Türkische Besatzung in Nordsyrien völkerrechtswidrig
In einem neunseitigen Gutachten der wissenschaftliche Dienste des Bundestages "Zur völkerrechtlichen Einordnung der türkischen Militärpräsenz in Nordsyrien" kommen die Sachverständigen zu dem Schluss, dass "die türkische Militärpräsenz in der nordsyrischen Region Afrin sowie in der Region um Asas, al-Bab und Dscharablus im Norden Syriens völkerrechtlich alle Kriterien einer militärischen Besatzung" erfüllt. Erdogans Invasionsdrohungen bewertet der Dienst folgerichtig ebenfalls als völkerrechtlich fraglich:
Ob eine türkische Besetzung größerer kurdisch-syrischer Gebiete südlich der türkischen Grenze völkerrechtlich notwendig ist, um die Türkei vor - fortlaufenden - Angriffen durch kurdische Milizen bzw. den "IS" zu schützen, lässt sich trotz des militärpolitischen Einschätzungsspielraums, den man der Türkei bei dieser Frage zubilligen muss, durchaus bezweifeln.
Wissenschaftliche Dienste des Bundestages
Normalerweise müsste Außenminister Heiko Maas nun eine klare Ansage gen Ankara senden, aber es geschieht - nichts. Wieder einmal schweigt die Bundesregierung, wenn es um Menschenrechtsverletzungen und die völkerrechtswidrige Besatzung ihres Partners Türkei geht.
Mit dieser Politik der doppelten Standards befördere die Bundesregierung die weitere Erosion des internationalen Rechts, so die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Sevim Dagdelen. Sie hatte das Gutachten in Auftrag gegeben und fordert die Bundesregierung auf, das Völkerrecht wieder zu achten und zu schützen.
Sondierungsgespräche mit syrischer Regierung
Militärs und politische Repräsentanten der nordsyrischen Föderation waren sich schon vor dem unverhofften Abzug der US-Militärs dessen bewusst, dass auf den Westen und speziell die USA als Verbündete kein Verlass ist. Auch das Verhalten der Russen, die im Frühjahr mit der Freigabe des syrischen Luftraums über Afrin für türkische Kampfflugzeuge die Besatzung Afrins erst möglich machten, bewies, dass diese ebenfalls kein Partner sind.
Schon deshalb gab es immer wieder Sondierungsgespräche mit der syrischen Regierung und Absprachen mit den lokalen syrischen Armeeeinheiten. Mal klangen diese positiv, dann wieder erteilte Assad der Idee eines föderativen Staates, in der die nordsyrische Föderation einen Autonomiestatus erhalten solle, eine schroffe Absage. Entschieden ist letztendlich nichts.
Denn innenpolitisch steht Baschar al Assad keineswegs auf sicheren Füßen. Innerhalb des syrischen Machtapparates gibt es ebenfalls Machtkämpfe. Teile der Militärelite und Geheimdienste setzen weiterhin auf die menschenverachtenden Methoden der Gewaltherrschaft des Vaters von Baschar al-Assad. Teile der Regierung sind einer föderalen Struktur aufgeschlossen, bzw. nehmen die Existenz anderer Ethnien mit ihren Bedürfnissen wahr.
Der dritte Weg
Die Kurden und ihre Verbündeten verlangten von Beginn des Bürgerkrieges an demokratische Veränderungen im Regime Syriens und eine demokratische Verfassung, die der multiethnischen Realität des Landes entspricht. Sie nannten es den "dritten Weg". Von daher gingen sie zwar auf Distanz zu Assad, schlossen sich aber nicht den verschiedensten Gruppierungen an, die sich die Beseitigung Assads als oberstes Ziel auf die Fahnen geschrieben hatten. Sie setzten auf eine Lösung der Konflikte über einen Dialog mit dem syrischen Regime. Natürlich brachte ihnen das von den meisten Gegnern des Assad-Regimes immer wieder den Vorwurf der Kollaboration ein.
Angesichts der drohenden Invasion türkischer Truppen und ihrer islamistischen Verbündeten, in die Stadt Minbij (häufig auch: Manbidsch) einzumarschieren, hat die Generalkommandantur der YPG die syrische Regierung dazu aufgerufen, das Gebiet um Minbij zu schützen. Diesem Aufruf kam die syrische Armee nach und übernahm Stellungen im Umland von Minbij. Entgegen der Meldungen der Tagesschau am Freitagabend, das syrische Militär hätte die Stadt Minbij eingenommen (vgl. Syrische Truppen hissen Flagge in Manbidsch), hieß es vonseiten der YPG, der Militärrat von Minbij kontrolliere weiterhin die Stadt.
Dies wurde durch Videoaufnahmen in der Nacht zum Samstag, wie auch durch eine Twittermeldung des außenpolitischen Sprechers der nordsyrischen Föderation, Salih Muslim bestätigt. Doch auch bei dieser Entwicklung ist Vorsicht davor geboten, daraus voreilige Schlüsse zu ziehen oder Hoffnung auf Entspannung zu wecken. Letztlich besteht mit der Stationierung der syrischen Armee die Gefahr, dass die SDF als Armee nicht als gleichwertiger Partner der syrischen Armee anerkannt und die Selbstverwaltungsstrukturen von der syrischen Regierung zerstört werden und die alten autokratischen, korrupten Strukturen des Assad-Regimes wieder Oberhand gewinnen.
Russland
Dies sähe Russland am liebsten, denn ein autoritäres System ist auch für Putin kalkulierbarer als eine wie auch immer geartete Demokratie. Wäre nun nur noch der bockige Flegel Erdogan durch Väterchen Russland zu bändigen. Dieser spielt nach Putins Geschmack zu intensiv mit seinem Spielgefährten Trump. Daher scheint Russland nun seinerseits Erdogan in seine Grenzen verwiesen zu haben. Der Weserkurier berichtet am Freitag, Russland habe die Türkei "unzweideutig" vor einem Einmarsch in Syrien gewarnt.
Ein Gespräch der russischen und türkischen Außenminister in Moskau am Samstag scheint keine wegweisenden Ergebnisse erbracht zu haben. Die Berichte darüber waren eher belanglos. Es habe Vereinbarungen zwischen dem russischen und türkischen Militär gegeben, sich im Vorgehen gegen die "terroristische Bedrohung" in Syrien besser abzusprechen - ohne die Verursacher der Bedrohung näher zu benennen, so die Tagesschau.
Die Angst der Christen
Unterdessen hat sich auch die Partei der Christen, die Syriac Union Party in einem offenen Brief an die USA gewandt. Der Ko-Vorsitzende der Assyrischen Einheitspartei, Sanherib Bersum, kritisiert den Abzug der US-Truppen, mit denen die christlichen Einheiten der SDF Seite an Seite gegen den IS gekämpft hätten. Der Türkei bescheinigte er, alle Christen in der Region vernichten zu wollen.
Über 100.000 Aramäer und andere Christen würden ermordet oder vertrieben werden, wenn die Türkei einmarschiere. Und die USA würden dann vom Irak aus zusehen, wie die Türken die gleichen Verbrechen begehen würden wie der IS. Bersum erklärt, als Suryoye hätten sie sich dem Projekt der demokratischen Autonomie angeschlossen und stünden "gemeinsam Hand in Hand mit den Kurden, den Arabern, Turkmenen und allen Völkern der Region." Bersum kündigte an, die Suryoye würden sich weltweit gegen eine türkische Invasion in Nordsyrien stellen, denn gerade sie hätten in ihrer Geschichte viel Leid durch die Türken erfahren müssen:
Wir werden alle unsere militärischen, politischen und diplomatischen Möglichkeiten gegen eine Besatzung unseres Landes nutzen. In dieser Hinsicht müssen wir die bestehende Einheit noch weiter stärken.
Sanherib Bersum
Ob sich die deutsche Regierungspartei mit dem "C" im Namen der syrischen Christen annehmen wird? Auch die Eziden (auch Jesiden) sind äußerst besorgt. Der Vizepräsident von Yazda International, Hadi Pir, sagte, der Abzug der US-Truppen werde ein Vakuum für radikale Gruppen schaffen. Dabei würden sie sich weniger Sorgen um den IS machen als um türkisch gestützte islamistische Gruppen wie die Freie Syrische Armee. Dies alles sind allzu berechtigte Sorgen, wenn man sich die Menschenrechtsverletzungen im türkisch besetzten Kanton Afrin vor Augen hält.
Lebende Schutzschilde
In Minbij scheint die unmittelbare Gefahr einer türkischen Intervention erst einmal gebannt, da Erdogan eine Konfrontation mit der syrischen Armee nicht riskieren kann. In anderen Städten auf syrischer Seite versucht man sich auf einen Angriff seitens der Türkei vorzubereiten. In Serekaniye wurden Planen über die Straßen gezogen, um türkischen Drohnen die Sicht zu versperren..
Tausende von Bewohnern aus dem ganzen Norden positionieren sich als lebende Schutzschilde gegenüber der türkischen Mauer. Hunderte Angehörige arabischer Stämme machten sich auf den Weg nach Kobane, um die dortige Bevölkerung im Falle eines türkischen Einmarschs zu unterstützen.
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