May drängt Merkel zu Brexit-Deal-Änderungsbereitschaft
Die britische Premierministerin konnte im Parlament keine Mehrheit zustande bekommen und hat die Abstimmung nun verschoben
Im November einigte sich die britische Regierung mit der EU-Kommission auf einen fast 600-seitigen Ausstiegsvertrag des vereinigten Königreichs aus der EU (vgl. Brexit-Abkommen nun offiziell verabschiedet). Über ihn sollte das Westminster-Parlament eigentlich heute abstimmen. Premierministerin Theresa May sagte diese Abstimmung jedoch ab, nachdem sich abzeichnete, dass sie keine Mehrheit zustande bekommen wird (vgl. May unter Druck der DUP, DUP unter Druck nordirischer Unternehmer). Ob und wann es eine neue Abstimmung geben wird, ist unklar. Als unwahrscheinlich gilt, dass so ein Votum vor den parlamentarischen Weihnachtsferien zwischen dem 20. Dezember und dem 7. Januar stattfindet.
May meinte, sie werde die "Bedenken" der Abgeordneten nun nach Brüssel weitergeben und dort "weitere Zusicherungen" fordern, gleichzeitig aber auch die Vorbereitungen für einen "harten" Brexit ohne Vereinbarung vorantreiben. Für so einen harten Brexit gibt es ihren Worten nach aber ebenso wenig eine Mehrheit wie für einen Verbleib im Binnenmarkt oder für ein zweites Referendum. Deshalb müssten alle Seiten Kompromisse eingehen.
Schmied und Schmiedl
EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte darauf hin auf Twitter an, dass er das nicht vorhat. Er spekuliert möglicherweise darauf, dass May ihren Brexit-Antrag zurückzieht, was einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zufolge möglich wäre. In Sozialen Medien kam diese Weigerung auch bei Nutzern außerhalb Großbritanniens eher schlecht an. Ein deutscher Nutzer fühlte sich beispielsweise an die Reaktion eines Zuhälters erinnert, "wenn eines der Mädels aussteigen will": "Ich habe hier noch Deinen Paß, und wenn Du den wiederhaben willst, müssen wir drüber reden, was du mich alles gekostet hast, seit du hier arbeiten darfst."
Am Donnerstag und Freitag will May trotzdem am Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs teilnehmen und mit Tusk über die Ausstiegskonditionen sprechen. Bevor sie zum "Schmiedl" geht, besucht sie heute Nachmittag allerdings den "Schmied": die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deren Sprecher verlautbarte auf Anfrage dazu, es sei "jetzt zunächst Sache der britischen Regierung, den europäischen Partnern zu erläutern, wie sie sich das weitere Vorgehen vorstellt".
Reicht Parlamentariern eine Änderung der einseitigen britischen Erklärung zum Deal?
Britische Medien spekulieren, dass May im Falle einer Verweigerung von Zugeständnissen aus Berlins und Brüssel versuchen könnte, die Deal-Skeptiker im Westminster-Parlament mit Änderungen in der einseitigen britischen Erklärung zu diesem Deal zu überzeugen, die zusammen mit ihm verabschiedet werden soll. In ihm könnte zum Beispiel festgehalten werden, dass die im Deal enthaltenen "Backstop"-Möglichkeiten für Nordirland in der Praxis nicht angewendet werden sollen (vgl. Brexit: Britische Unternehmenschefs stellen sich hinter May). Ob sie damit Abgeordnete überzeugen kann, hängt auch damit zusammen, wie sehr diese an ihre Zukunft als Regierungschefin glauben.
Oppositionsführer Jeremy Corbyn forderte sie bereits gestern zum Rücktritt auf und meinte, ihr Kabinett sei gar nicht mehr funktionsfähig. Ob und wann er einen Misstrauensantrag einbringen will, ließ Corbyn offen. Nicola Sturgeon von der Scottish National Party (SNP), der zweitgrößten Oppositionspartei, hat bereits angekündigt, dass ihre Abgeordneten in Westminster so einen Misstrauensantrag unterstützen würden. Um May zu stürzen, reichen die Stimmen dieser beiden Parteien allerdings nicht - auch dann nicht, wenn sich die Liberaldemokraten, die walisische Regionalpartei Plaid Cymru und die unabhängigen Abgeordneten anschließen würden. Für eine Mehrheit sind Abgeordnete aus dem Lager der Tories oder der nordirischen Protestantenpartei DUP nötig. Dass Deal-Kritiker unter den Tories Neuwahlen riskieren, ist allerdings unwahrscheinlich, weil ihrer Partei in diesem Fall der Verlust der Macht droht.
Umfragen sehen Tories und Labour ganz oder fast gleichauf
Channel 4, der Observer und der Sunday Express sehen in ihren Umfragen nämlich die Labour-Partei mit 39 oder 40 Prozent vorne. Kantar und Ipsos messen Labour und die Tories mit jeweils 38 Prozent gleichauf. Nur bei YouGov führt die Regierungspartei noch knapp: mit 38 zu 37 Prozent. Die Liberaldemokraten, die bei neun bis zehn Prozent liegen, und die bei landesweit fünf Prozent gemessenen schottischen Separatisten gelten als Brexit-Gegner und dürften kaum eine Tory-Regierung stützen, in der ein Premierminister wie Boris Johnson oder Jacob Rees-Mogg den Ausstieg entschiedener als May vorantreibt.
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