Medialer Corona-Check: Was von den Gewissheiten übrig blieb

Fünf Jahre nach Corona ziehen Medien Bilanz. Rückblickend gibt es mehr Kritik, als seinerzeit für zulässig gehalten wurde. Schlagwort "Verschwörungstheorie" bleibt.
Rund um die verschiedenen Jahrestage des Corona- und Coronakrisen-Ausbruchs schauen derzeit viele Medien nochmal fünf Jahre zurück. Eine Podcastreihe der Zeit etwa heißt "War da was? Geschichte einer Pandemie".
Gleich in der dritten Folge gibt es ein ausführliches Interview mit Christian Drosten. Eigene Fehleinschätzungen hat er nicht zu beklagen, der "Lab-Leak-Hypothese" habe er immer offen gegenübergestanden – was die Interviewer ein wenig relativieren.
Und just einen Tag nach Veröffentlichung des früher aufgezeichneten Gesprächs stützten ausgerechnet Recherchen der Zeit den Verdacht, das Coronavirus könne aus einem Labor entwichen sein.
Die Episode Nr. 18 trägt den Titel: "Lothar Wieler, wie sehr haben Sie unter Lauterbach und Spahn gelitten?".
Label "Verschwörungstheorie"
Einen feuilletonistischen Rückblick gibt es beim Zeit-Podcast "Die sogenannte Gegenwart".
In der Folge von letzter Woche geht es um diese Fragen:
Was würde es eigentlich bedeuten, wenn Corona tatsächlich aus dem Labor gekommen sein sollte? Und welche Diskurs-Dysfunktionalitäten haben überhaupt dazu beigetragen, dass die Laborthese so lange als Verschwörungstheorie abgetan werden konnte?
Es geht, wie Ijoma Mangold, einer der beiden Hosts dieser Folge, es formuliert, um die Frage: "Wie können wir eigentlich Wissen begründen, das dann handlungsanleitend wird?"
Einleitend stellt Mangold zunächst fest, dass sein Gesprächspartner Lars Weisbrod, der sich stets explizit als "Linken" definiert, in der Corona-Zeit durchaus kritisch gegenüber einzelnen Maßnahmen war – und damit einen schweren Stand hatte.
Und Lars (Weisbrod, Einf. d. A.), du warst da skeptisch zu einem Zeitpunkt, wo du deine eigene journalistische Reputation damit durchaus auch in Gefahr gebracht hast. Denn, wenn wir uns erinnern, war man, wenn man abweichende Meinungen oder auch nur Gesichtspunkte zur Geltung bringen wollte, ganz schnell galt man als, das war das beliebteste Begriff, als Verschwörungstheoretiker oder als Querdenker.
Ijoma Mangold in "Die sogenannte Gegenwart", 24. März 2025
Uneins sind sich die beiden – wie üblich und sinnvoll für ein erkenntnisreiches Gespräch – in einigem. Zu den Leitfragen der Sendung sagt Weisbrod:
Für mich folgt nichts daraus, was irgendeine persönliche Verantwortung angeht, vor allem nicht irgendwelche Leitfiguren der Wissenschaft, ja.
Lars Weisbrod
Feuilleton-Kollege Mangold entgegnet:
(...) um bestimmte Mechanismen nachzuzeichnen, die den öffentlichen Umgang mit Fragen der Pandemie geprägt haben, muss man schon auch auf Akteure eingehen, die den Diskurs bestimmt haben. (...)
Also denken wir doch zum Beispiel an die moralische Rigorosität, mit der so jemand wie Alena Buyx (...). Die war die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Die wusste immer alles 150-prozentig und hat auch jede abweichende Meinung in einer Weise in den Senkel gestellt, dass es einem Furcht- und Schreckensregime schon fast gleich kam.
Ijoma Mangold
Durchaus auch selbstkritisch reflektieren die beiden den Gebrauch des Schlagworts "Verschwörungstheorie".
Mangold meint, "der öffentliche Diskurs" habe "es sich viel zu einfach gemacht, indem er ganz viele Positionen quasi in einem pluralistischen Meinungskonzert immer als Verschwörungstheorie ausgeflaggt hat, um gewissermaßen die, die an dieser Ecke des Nachdenkens rumarbeiten, in Misskredit zu bringen".
Aus seiner heutigen Sicht seien Verschwörungstheorien eine Gegenmaßnahme zu der Vereinheitlichung des Diskurses, die "nicht wahrheitsfördernd ist".
Ich würde umgekehrt sagen, lasst uns möglichst viele Verschwörungstheorien als gewissermaßen Trial-and-Error-Versuch in die Welt bringen.
Ijoma Mangold
Mangold sieht in dem vielfältigen Labeln von Überlegungen und Annahmen als Verschwörungstheorien eine politische Instrumentalisierung.
Den Mechanismus zeigt er anhand von Donald Trumps Äußerungen zum Ursprung der Pandemie in China ("China-Virus") und dort möglicherweise in einem Labor:
"Insofern war es dann gewissermaßen die moralische Verantwortung des gegnerischen Lagers, auf keinen Fall dieser Frage weiter nachzugehen."
Servus TV
Einen Rückblick auf die Corona-Politik und ihre Maßnahmen vor allem in Österreich und Deutschland brachte Servus TV vor einem Monat (nicht mehr online). Der Zweiteiler ruft vieles ins Gedächtnis: Ausgangssperren, Maskenpflicht, Impfkampagne, Lockdown für Ungeimpfte, massenhafte Testungen (5,2 Milliarden Euro soll Österreich dafür ausgegeben haben und sei mit 21 Tests pro Einwohner bis Juni 2022 Test-Weltmeister).
Mit Blick auf Versuche der Aufarbeitung rund um den fünften Jahrestag des Krisen-Beginns ist darin vor allem eine kurze Szene interessant, in der Karl Lauterbach es ablehnt, über die Pandemiezeit zu sprechen: "Ich habe heute keine Lust, mit Ihnen zu diskutieren."
Auf die Rückfrage des Reporters, ob es am Thema oder am Sender läge, antwortet Lauterbach: "Es liegt mehr am Sender, muss ich sagen, dürfte Ihnen ja klar sein."
Servus TV galt vor Corona als respektabler Sender mit innovativem Programm und kritischem Journalismus.
Gute Noten erhielt Servus TV von den Kritikern für seine Formate wie "Talk im Hangar 7", Dokus und die TV-Information. Für eine Kooperation mit der Journalistengruppe "Dossier" gab es 2014 den Robert-Hochner-Preis.
Der Standard, 3. Mai 2016
Doch just die kritische Haltung führte in der Corona-Zeit zu einer Stigmatisierung dieses zu Red Bull gehörenden Rundfunks. Beispielhaft die Süddeutsche Zeitung (SZ) im November 2021 unter dem Titel "Her mit den Aluhüten":
Die wiederkehrenden Themen des 61-Jährigen (gemeint ist Ferdinand Wegscheider, Intendant und TV-Kolumnist, Einf. d. A.) sind: Impfpflicht durch die Hintertür, vertuschte Nebenwirkungen, Einschränkung der Grundrechte, Repression, der Druck auf Ungeimpfte, die Unterdrückung kritischer Experten, die Aufdeckung der Wahrheit hinter den politisch motivierten Lügen und den Interessen der Pharmaindustrie. Ach ja, und das Virus kommt doch aus dem Labor. Das sage schließlich sogar die Weltgesundheitsorganisation.
Tut sie zwar nicht, aber ein klassischer Wochenkommentar besteht genau daraus: ironische Brechung, alternative Fakten, und ein Schulterschluss mit jenen, die, zu Unrecht, als Aluhüte, Schwurbler oder Verschwörungsmystiker bezeichnet würden.
Cathrin Kahlweit, SZ
Weitere Rückblicke
Wer weitere Rückblicke auf die Corona-Zeit sucht, finde in fast allen Medien Beiträge. Mit einer besonders umfangreichen Beitragsserie "5 Jahre Corona" in ganz verschiedenen Sendungsformaten ist das ZDF unterwegs – von "Meine offene Rechnung mit Corona" bis "Was darf man noch sagen? Wut und Wahrheit nach Corona".
Das meiste ist über die Mediathek abrufbar.