Medien in der Krise: Nachrichtenüberdruss in Zeiten der "Kriegsmüdigkeit"

Seite 3: "Problemzonen" – die Gründe der Nachrichtenmeider

An der Stelle kurz skizziert einige Vorschläge für "besseren Journalismus", basierend auf acht "Problemzonen", die der Report identifiziert hat:

1.) 43 Prozent der befragten "selektiven Nachrichtenmeider" monieren zu viele Wiederholungen, zu viel vom Selben im Journalismus. Dem ließe sich mit mehr Vielfalt a) der Themen, b) der Meinungen zu diesen Themen, c) der ausgewählten Quellen und Gäste und nicht zuletzt d) der Darstellungsformen entgegenwirken.

2.) 36 Prozent der "Vermeider" sagen laut Studie, Nachrichten verschlechterten ihre Stimmung, was vor allem (bei) den unter 35-Jährigen auffällt. Dagegen mag weniger "Negativismus" helfen, also weniger Einsatz und Ausnutzung des langjährigen Nachrichtenfaktors Nr. 1 im globalen Norden.

3.) 29 Prozent der Skeptiker geben an, die Nachrichten überforderten sie. Dagegen könnte (es) sinnvoll sein, die Publika mehr "auf Augenhöhe" zu adressieren, sich mehr in deren Lage zu versetzen (ohne ihnen nach dem Munde zu reden), als von "oben herab zu predigen".

4.) 29 Prozent der mit Nachrichten Unzufriedenen trauen laut Studie den Nachrichten nicht, weil die zu parteiisch und voreingenommen seien. Das scheint mir, wenn auch nur auf Platz vier, ein ganz zentraler Punkt, um wachsende Verselbständigungen und Polarisierungen im Bereich Medien/Mediennutzung (besser) verstehen zu können.

Wenn dem so ist, dann wäre auch deshalb mehr Diversität in vieler Hinsicht angezeigt (s.o.), Redaktionen sollten besser unterscheiden zwischen Informationsbetontem und Meinungsbetontem. Anzustreben wären breitere Themen-und Meinungskorridore, mehr Transparenz mit Blick auf die Beiträge, auf uns Journalist:innen und nicht zuletzt auf die Medienorganisationen und deren Interessen. Aber ebenso mehr - und bessere - "Artikulation", also Wahrnehmen und Aufzeigen möglichst vieler Tendenzen in der Gesellschaft (gerade auch dann, wenn sie mir/uns nicht gefallen).

5.) 17 Prozent jener Gruppe meiden Nachrichten, weil diese Nachrichten zu vermeidbarem Streit führten. In Zeiten von Klima-Krise oder Corona-Krise und Kriegs-Krise kennen das vermutlich viele von uns aus eigenem Erleben: Menschen zerstreiten sich bis aufs "Blut" angesichts von durchaus existentiellen Fragen wie "Tempolimit", "Impfpflicht" oder "schwere Waffen für die ukrainische Führung". Vielleicht könnte es helfen, über solche Grundsatzfragen weniger polarisierend, also weniger im dualen "Gut-/Böse"-Schema zu berichten und zu kommentieren.

6.) 16 Prozent der befragten Nachrichten-Meider sagen laut Report, Nachrichten hinterließen bei ihnen ein Gefühl der Machtlosigkeit. Hier böte sich mehr konstruktiver, also lösungsorientierter Journalismus an. Journalismus, der neben seinen klassischen Aufgaben auch Lösungsvorschläge recherchiert und anbietet – wohlgemerkt: nicht DIE EINE Lösung propagiert. Das könnte laut mancher Studien zum konstruktiven Journalismus (nicht zu verwechseln mit "positivem Journalismus") gerade junge Menschen zu mehr Mut aktivieren, im Sinne von möglicher Selbstwirksamkeit, statt Schicksalsergebenheit.

7.) 14 Prozent aus jener Gruppe meiden Nachrichten, weil sie nicht genug Zeit dafür hätten. Das kann als Plädoyer für gute UND kurze/prägnante Formate aufgegriffen werden, oder eben, gesellschaftlich, auch als ein Argument für allgemeine Arbeitszeitverkürzungen, damit mehr Zeit für andere Tätigkeiten wäre.

8.) Acht Prozent der Nachrichten-Meider schließlich geben an, Nachrichten seien schwer verständlich. Das hieße für den Journalismus: Möglichst ansprechend texten. Und es hieße gesamtgesellschaftlich Bildungsniveau und Medienkompetenz zu verbessern. Auch, um mit fragwürdigen Beiträgen besser umgehen zu können, sei es (bewusste) Desinformation oder (eher zufällig falsche) Missinformation.

Und damit, genau bei diesem Thema, zurück zum Reuters-Report: Das Besorgtsein der Menschen wegen womöglich falscher oder irreführender Informationen ist in afrikanischen Ländern wie Kenia und Nigeria laut Studie global am höchsten (bei 72 Prozent der Befragten), während es weltweit in Österreich (31 Prozent) und Deutschland (32 Prozent) am niedrigsten zu sein scheint.

Zum Aspekt "Kriegsberichterstattung": In jenen fünf Ländern, die nach Beginn des Krieges in der Ukraine (nochmals) untersucht wurden, also Deutschland, Polen, Großbritannien, die USA und Brasilien, stellten die Autor:innen der Studie fest, dass tradierte Fernsehnachrichten am meisten genutzt wurden und auch als relativ vertrauenswürdig galten (Das war übrigens in der ersten Phase der Corona-Pandemie ähnlich und mag nun, nebenbei, die für manche überraschend hohe Popularität gerade in Kriegszeiten von relativ telegenen Politiker:innen wie Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck erklären).

Länder, die den Kämpfen vergleichsweise nahe sind, wie Deutschland und Polen, verzeichneten laut Report den größten Anstieg der Nachrichtennutzung. Die selektive Vermeidung von Nachrichten habe dennoch auch in diesem Kontext insgesamt weiter zugenommen – die Studie bietet dafür als Interpretation an: "wahrscheinlich wegen der schwierigen und deprimierenden Art der Berichterstattung".

Ausgeblendete Motive

Und thematisiert damit nicht etwaige andere Motivationen wie "grundsätzliche Ablehnung des Krieges", "grundsätzliche Ablehnung der herrschenden Sichtweise", "Ablehnung von Einseitigkeit der Nachrichten", "Ablehnung der Vermischung von Nachrichten und Kommentaren" oder von ähnlich potentiell und grundsätzlich Selbstkritischem.

Die pro Land jeweils rund 1000 repräsentativen Befragungen für dieses Update zum Report fanden Ende März/Anfang April statt. Im Vergleich der fünf Länder war die Aufmerksamkeit für den Krieg laut Report in Deutschland über alle Altersgruppen am höchsten, allerdings in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen hierzulande deutlich am geringsten.

Wie bei anderen großen Weltereignissen, wenden sich Menschen laut Studie gerade in Krisenzeiten eher den Fernsehnachrichten zu. Bei der Frage, welcher Nachrichtenquelle sie im Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Konflikt die größte Aufmerksamkeit schenken, führt das Fernsehen in drei der fünf Länder das Ranking an - wobei Deutschland (46 Prozent) und Brasilien (44 Prozent) die meiste Aufmerksamkeit für TV-Nachrichten über den Konflikt auf sich vereinen.

In den USA und Polen entfällt ein größerer Anteil auf Online-Nachrichtenseiten, Nicht-Mainstream-Seiten und soziale Medien - das Fernsehen ist jedoch nach wie vor die am häufigsten genutzte Einzelquelle für Nachrichten über den Konflikt.

Für Deutschland, als dem TV-Nachrichtenspitzenreiter, fällt im Report auf, dass spiegelverkehrt zur hohen Fernsehnutzung die Gesamtnutzung von Online-Nachrichtenquellen (Online-Plattformen etablierter Medien, Social-Media-Plattformen sowie Spezial- und Alternativmedien) deutlich niedriger ist als in den vier anderen Ländern.

Bemerkenswert, dass (bereits) Anfang April messbar war laut Studie, die selektive Vermeidung von Nachrichten habe deutlich zugenommen mit Blick auf den Krieg. In Deutschland, Polen und den USA war schon zu jenem Zeitpunkt der Anteil derjenigen, die angaben, dass sie Nachrichten manchmal oder oft aktiv meiden, signifikant gestiegen. Der stärkste Anstieg war dabei in Deutschland zu verzeichnen (plus sieben Prozentpunkte), deutliche aber auch in Polen (plus sechs Prozentpunkte) und den USA (plus vier Prozentpunkte).

Die Autor:innen der Studie unterstreichen, dass der Anstieg von sieben Prozentpunkten bei den Nachrichten-Meidenden in Deutschland in nur zwei Monaten (von Anfang Februar bis Anfang April) größer war als der Anstieg von fünf Prozentpunkten, den man in den fünf Jahren von 2017 bis 2022 gemessen hatte.

Wenig überraschend wiederum, dass die Studie dafür Interpretationen anbietet wie "zu schlimme Bilder/zu schreckliche Nachrichten/zu schlechte Stimmung" und kaum auf die Idee zu kommen scheint, dass sich darin auch Motive wie eine grundsätzliche Ablehnung des Krieges oder der hierzulande herrschenden Politik sowie der entsprechend mächtigen Diskurse und Interessen ausdrücken könnten.

Allerdings kommt auch diese Studie nicht umhin, auf gewisse Punkte selbstkritisch (mit Blick auf den "westlichen" Journalismus) zu deuten: Während in Deutschland zwar 55 Prozent der Befragten angeben, "die Nachrichtenmedien in ihrem Land" hätten in der Kriegsberichterstattung insgesamt einen "guten Job" in Sachen aktueller Information gemacht, liegt die Mehrheit bei zwei weiteren Punkten anders (und damit relativ mainstream-kritisch):

Nur 46 Prozent der befragten Deutschen stimmten der Aussage zu, die Medien hätten weitergehende Auswirkungen des Krieges hinreichend deutlich gemacht, und sogar nur 40 Prozent der Menschen hierzulande äußerten, die Medien hätten eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Perspektiven angeboten. Potenzial für besseren und anderen Journalismus gäbe es also nicht zuletzt an dieser Stelle.