Medien und Debatten

Ist jedes Medium debattentauglich?

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Solange es Medien gibt, werden sie für Debatten genutzt. Das Feuilleton der großen Zeitungen ist für seine Debatten bekannt, und seit es das Fernsehen gibt, wird dort debattiert, inzwischen vor allem im Format der Talk-Shows. Dass soziale Netzwerke im Internet inzwischen zu den Medien zählen, könnte man daran festmachen, dass der Begriff der Debatte inzwischen zur Kennzeichnung bestimmter Nachrichtenwellen verwendet werden, die durch die Meldungsströme der angemeldeten Benutzer schwappen und inzwischen immer häufiger die alten Medien erreichen, um dort in eben jenen Talkshows oder in den Feuilletonspalten zu versanden.

Dabei verändert sich der Sinn des Wortes Debatte mit den Medien, in denen sie geführt wird. Und es wird fraglich, ob nicht mit dieser Veränderung etwas verloren geht, was als Funktion der Debatte in der Gesellschaft anzusehen ist.

Klären statt überzeugen

In der Debatte, anders als etwa in einer Diskussion, geht es nicht darum, dass die Teilnehmer eine gemeinsame Lösung finden, dass Standpunkte einander angenähert werden, oder dass die einen Teilnehmer die anderen von ihrer Ansicht überzeugen. Zweck der Debatte ist es, die Standpunkte der Teilnehmer möglichst klar und verständlich erkennbar werden zu lassen. Dazu ist es gut, wenn sich diese während der Debatte gerade nicht verändern. Allerdings gehen innerhalb einer gut geführten Debatte die Teilnehmer auf die Argumente des jeweils anderen ein, sie reflektieren ihre Sicht der Dinge an der Sicht des anderen, und diese Reflexion hilft bei der Verdeutlichung sowohl der eigenen als auch der konkurrierenden Weltsicht.

Das ist der Sinn der Debatte für das Publikum, und eine Debatte hat immer ein Publikum, weshalb Debatten eben ganz natürlich in Medien ausgetragen werden. Der eigentliche Adressat einer Debatte ist das Publikum, das über das Medium erreicht wird.

Allerdings muss man fragen, ob jedes Medium debattentauglich ist. Denn die Reflexion des eigenen Standpunktes in dem des Debattenpartners entfaltet sich im Argument, und das Argumentieren muss durch das Medium ermöglicht werden. Das ist aber weder in den 140 Zeichen eines Tweets noch in seinem Fernseh-Pendant, dem Talkshow-Satzfetzen, möglich. Argumentation braucht Zeit, vielleicht braucht sie sogar die Asynchronität, d.h., die Pause des Schweigens zwischen den Beiträgen, die Zeit des Nachdenkens.

Der Hash-Tag als Sende-Antenne

Eine Debatte ist kein Wortwechsel, sie ist kein Wettbewerb, wer lauter reden kann oder wer mehr Re-Tweets oder Gefällt-Mir-Klicks erhält. Sie ist, auch wenn sie in Kurznachrichtendiensten geführt wird, an ein Publikum gerichtet, und mehr und mehr wenden sich die Debattierenden dort auch nicht an konkrete Andere, mit denen sie diskutieren würden, sondern an ein anonymes Publikum, das überzeugt werden soll.

Die Rundfunk-Funktion, die Nachrichtenverteilung an anonyme Abonnenten, übernimmt der Hash-Tag, ein gekennzeichnetes Stichwort, zu dem man alle Meldungen, von wem auch immer, abonnieren kann. So kann jeder zum Debatten-Teilnehmer werden, was der Demokratisierung der Debatte förderlich ist.

Allerdings wird Reflexion, die Zeit braucht, gerade verhindert. Aus dem Nachrichtenstrom wird eine Satzfetzen-Lawine. Worauf soll man reagieren, was reflektieren, und wer würde das wahrnehmen? Wie kann der Zusammenhang zwischen Argument und Reflexion überhaupt gesehen werden? Wer ordnet, schärft Bedeutungen von Begriffen, die in kurzen Statements vieles meinen können?

Gewiss ist Twitter ein Medium, das die Notwendigkeit von Debatten zeigen und das als Auslöser dieser Debatten dienen kann. Aber sie dort zu führen, würde den Kurznachrichtendienst überfordern. Es ist dazu nicht unbedingt das Feuilleton auf Papier nötig. Allerdings haben Blogs und Diskussionsgruppen in sozialen Netzen selten ein Publikum. Letztlich kommt es auf die Kombination aller Kanäle an, damit sich eine Debattenform entwickelt, die dem Namen wirklich gerecht wird - wenn sie von der Hauptsatz-Lawine der Kurznachrichten und Talkshows nicht überrollt und erstickt wird.