Medienkritik: Hört auf, "Skandal" zu schreien!
Seite 2: Optimierung, Rationalisierung, Deregulierung und Normierung
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Solche Normierungstendenzen und Normierungswünsche entsprechen komplett dem, was der Neoliberalismus in den letzten 40 Jahren mit der Gesellschaft macht.
Unter dem Banner der Deregulierung wird neu reguliert; unter dem Banner der Rationalisierung (also wörtlich "Vernünftigmachung") wird unvernünftig gespart, wird gespart bis zur Vernichtung dessen, was durch das Sparen gerettet werden soll. Unter dem Banner der Optimierung wird verschlechtert.
Optimierung, Rationalisierung, Deregulierung und Normierung sind allesamt Prozesse, die zu einer Modernisierung der Verhältnisse eingesetzt werden und dienen sollen, die im Sinne einer Effizienzsteigerung verstanden wird: Je effizienter etwas ist, desto moderner ist es.
Aber effizient in welchem Sinne? Effizient im Sinne der Aufgabenerfüllung? Nein, sondern effizient im Sinne der Gewinnsteigerung und der Wertsteigerung (shareholder values) eines Unternehmens. Dieses Unternehmen wird dabei in kurzfristigen Börsenzeiträumen anhand der Erwartungen für den nächsten Börsenzeitraum hin bewertet. Es wird also bewertet, ob in der nahen Zukunft weitere Gewinne und Wertsteigerungen zu erwarten sind oder Wertsenkungen.
Effizient ist was den Wert eines Unternehmens (also den Börsenwert und zwar den kurzfristigen für die nächsten drei Monate) steigert, denn hier kann man sein Geld effizient vermehren. Was den Wert in den nächsten Monaten senkt, das gilt demgegenüber als ineffizient, selbst wenn die inhaltliche Aufgabenerfüllung besser gelingt als im ersten Fall und also die volkswirtschaftliche Aufgabe und die volkswirtschaftliche Effizienz gesteigert werden.
Es gilt auch dann als ineffizient, wenn eine Effizienzsteigerung vielleicht auf einen langen Zeitraum hin zu erwarten ist, also in zwei oder fünf Jahren, aber mit kurzfristiger Effizienzsenkung erkauft wird. Das heißt: Kurzfristiges Denken wird belohnt, langfristiges bestraft.
Es ist als ob die ganze Wirtschaft verrückt geworden wäre. Wenn aber der Staat plötzlich auch wie ein Wirtschaftsunternehmen funktionieren soll und statt auf volkswirtschaftliche Effizienz auf betriebswirtschaftliche ausgerichtet ist, dann ist es, als ob auch der ganze Staat verrückt geworden wäre.
Denn auf diese Weise wird ein Vernichtungswerk realisiert, das nicht nur einzelne Unternehmen, einzelne Gesellschaften und Staaten vernichtet, sondern konsequent zuende gedacht, Welt und Menschheit insgesamt. Kurzfristig wird es vielen besser gehen, langfristig geht es allen schlechter.
Genau die Erkenntnis dieses Prozesses und seiner Folgen setzt sich allmählich durch – nicht zuletzt, weil die menschengemachte Erderwärmung bereits Folgen zeigt, die auch kurzfristig das Klimaggefüge (und mit ihm kurzfristige Gewinne oder Gewinnerwartungen der Investoren) erschüttert und ins Wanken bringt.
Was alles hat dies nun mit Kultur zu tun?
Was alles hat dies nun mit Kultur zu tun?
Es geht bei Kultur entgegen dem Vorurteil nie alleine um den Selbstverwirklichungsdrang eines Genies oder die Willkür weniger privilegierter, sondern es geht bei Kultur immer um ihre Funktion. Ihre Funktion für die Gesellschaft.
Wozu braucht die Menschheit Kunst? Warum gibt es eigentlich Kunst? Kunst und Kultur haben, seitdem es sie gibt, mindestens drei gesellschaftliche Aufgaben.
Zum einen Sinnstiftung und Identitätsschaffung. Kultur ist Mittel und Ort zur Selbstverständigung der Gesellschaft und in der Folge zur Selbstdefinition der Gesellschaft. Selbstbestimmung, Sinngebung, mitunter Religionsersatz.
Kunst muss als Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln und als Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln verstanden werden. Als "neue Mythologie" wie es der Philosoph G.W.F. Hegel im "Ältesten Systemfragment des deutschen Idealismus" beschreibt.
Die zweite Aufgabe von Kunst und Kultur sind Verklärung und Idealisierung. Kunst leistet die symbolische Repräsentation der Gesellschaft, die Auratisierung und Mythologisierung der Verhältnisse, sie verleiht in der Selbstdarstellung der Gesellschaft Charisma.
Kunst und Kultur kann für die Gesellschaft einnehmen und verführen, sie von ihren schönsten Seiten zeigen, die schlechten Seiten mit Glanz und Glamour versehen. In der Kunst – auch in den mit Arnold Gehlen "nicht mehr schönen Künsten" – sieht man schöne Menschen schöne Dinge machen.
Kunst ist damit auch Propaganda, auch Trost, auch Erklärung des Lebens, schöner Schein, ernstes Spiel.
Die dritte Aufgabe von Kunst und Kultur ist Kritik, Irritation, Provokation und Infragestellung der Gesellschaft. Sie ist Verbesserung und Optimierung der Gesellschaft durch ihre Infragestellung. Kunst in diesem Verständnis ist Mittel und Anlass und Auslöser und Motor zur Selbstverbesserung der Gesellschaft, zur Selbstkorrektur.