Welche Verantwortung Medien in Kriegen und Krisen haben
Die globale Lage ist brenzlig: Europa sitzt auf einem Pulverfass und einige Medien zündeln. Warum wir eine Debatte über Haltung und Gesinnung in Medien brauchen. Und weshalb das nicht nur Journalisten betrifft.
Die Zeichen stehen auf Krieg. Wir in Europa sitzen alle auf einem Pulverfass. Die US-Militärbasis bei Ramstein etwa stellt einen Teil der Kriegslogik dar. Die Basis steht für Kriegslogistik – für die Ausbildung von Soldaten, für Waffenlieferungen, Drohneneinsätze und das Ramstein-Format, das das diplomatische Normandie Format ersetzt hat, welches das einst für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine stand; mit weiteren Beteiligten.
Ramstein ist ein wichtiges Symbol für das Setzen auf Militär statt Diplomatie, für ein Verharren in alten Denkstrukturen des Kalten Krieges, der nun immer heißer wird. Ein Symbol für viele verpasste Chancen, dieser Eskalation einen Riegel der Verständigung vorzuschieben.
Während es der Whistleblower Brendan Byrant im Jahr 2012 einmal kurz vermochte, die internationale Aufmerksamkeit der Medien auf die Air Base Ramstein zu lenken, weil ohne diese als Relais-Station die Drohnentötungen nicht möglich wären, läuft sie meist unter dem Radar der öffentlichen Debatte.
Aber die Ramstein-Base hier dürfte sicher auf dem Radar Russlands sein und stellt damit ein Ziel dar – ein US-amerikanisches Ziel im Westen Deutschlands.
Kriegserklärung, Kriegsbeteiligte und Verlautbarungsjournalismus
Es gibt tatsächlich mehr Beteiligte an diesem Krieg, den Russland am 24. Februar 2022 erklärt hat, als uns ein Großteil unserer Medien mitteilt. Wobei man nicht genau weiß, was Absicht ist und ganz bewusst passiert oder wo man als Journalist selbst Opfer von Propaganda geworden ist. Damit meine ich nicht die Kriegsreporter, die ihr Leben riskieren, um von der Front zu berichten.
Dass man embedded unterwegs ist, ist eine Notwendigkeit, um in Kriegsgebieten zu überleben. Es würde den Redaktionen gebieten, die Fundstücke richtig einzuordnen – was teilweise sogar geschieht. Im Vergleich zu früheren Kriegen wird immerhin oft vermeldet, dass sich Angaben nicht unabhängig überprüfen lassen.
Selten jedoch wird vermeldet, dass die einzige Quelle der eigenen Berichterstattung der britische Geheimdienst ist. Damit wird bereits ein journalistischer Standard verletzt, der auf zwei unabhängig voneinander Auskunft gebenden Quellen besteht. Also genau das, was viele Medienvertreter einforderten, als der US-amerikanische Star-Journalist Seymour Hersh seine These von der Nord-Stream-Sprengung durch die USA veröffentlichte.
Und hier beginnt das, was ich ein Trauerspiel unserer Medien nenne: der auffällige Doppelstandard. Denn während man dies zurecht von Hersh fordern kann, musste man feststellen, dass die These von einem Befehl Putins zur Sprengung ebenso ohne die nötigen Quellen auskam. Seither ist in dieser Sache ein Verwirrspiel am Werk, in dem die CIA nun sogar der Ukraine – die kaum über die Logistik verfügen dürfte – die Tat unterstellt. Hier ist offensichtlich PR am Werk, die willfährig und ungeprüft von einigen Journalisten als Neuigkeit geframed wird.
Früher hieß es Propaganda …
PR ist ein Euphemismus für Propaganda, wie der PR-Profi Edward Bernays in einem Interview in der Doku "Happiness Machines" einräumt. Bernays war ein begnadeter Akteur strategischer Kommunikation. Seine Methoden müssen unbedingt in der Journalismusausbildung vermittelt werden, damit man sie auch im Journalismus erkennt.
Sie bilden Standards der heutigen PR. Wobei ich den Eindruck habe, dass so manche professionelle Kommunikatoren, die für bodenständige Unternehmen tätig sind, einen klareren Blick auf die Geschehnisse in der Ukraine und die Gefahr haben, als viele überengagierte Journalisten, die nicht zwischen Haltung und Gesinnung unterscheiden können.
Natürlich macht Russland Propaganda, das ist klar. Wie jeder Krieg begann auch dieser mit Kriegslügen – denn Sicherheitsinteressen rechtfertigen nicht den Angriff auf das Nachbarland. Auch die angegriffene Ukraine macht Propaganda, denn sie muss intern die Kriegsbereitschaft erhalten und extern für Unterstützung werben. Darum gehört Medienkontrolle zum Krieg.
Und wer beginnt, Medien zu kontrollieren, Journalisten zu bespitzeln und Überwachungs-Maßnahmen gegen Pressevertreter zu legalisieren, eröffnet das Potenzial für Repression und Krieg – jenseits der verbalen Möglichkeiten von Ausgrenzung unliebsamer Meinungen durch Stigmatisierung.
Dass sich auch außerhalb der beiden gerne fokussierten Kriegsparteien Propagandaelemente gemäß der Analyse zur Kriegspropaganda nach Lord Arthur Ponsonby in den Medien finden, deutet auf mehr Beteiligte am Krieg hin, als gesagt wird.
Denn unsere Medien hätten noch den Luxus, aus einem 90-Grad Winkel heraus zu berichten und zu kommentieren, anstatt sich zum Sprachrohr für nur einen der möglichen Unterstützungswege für die Ukraine zu machen: Waffenlieferungen.
Diese Diskursverengung wird gerne als "Solidarität" ausgegeben. Dabei stellen wir hier zurecht die Frage, wie denn echte Solidarität mit der Ukraine aussehen müsste, für die viel beschworene Freiheit und eine Friedensordnung in Europa!?
Die Aufgabe der Medien wäre es, dafür einen Diskursraum zu schaffen. Dies gelingt zu Beginn von Krieg und Krisen immer schlechter, als nach einer gewissen Zeit. Diese Zeit ist jetzt. Mit Aufrufen zu Verhandlungen von Peter Brandt & Co., mit den nüchternen Einschätzungen von Oberst Reisner aus Österreich kommen realistischere Einschätzungen in die mediale Debatte als das Wunschdenken so einiger Thinktank-Vertreter.
Liegt das nun an Einsicht über die eigene mediale Einseitigkeit oder aber daran, dass die Pressestellen der Macht bereits andere Prioritäten setzen, weil das Interesse merklich weiter gen Indopazifik zieht?
Ohne eine umfassende Machtanalyse, die Strategiepiere und auch die Anzahl von Militärbasen außerhalb des jeweils eigenen Territoriums einschließt, kommt man als Medien im Sinne einer vierten Gewalt nicht weit. Statt als Kontrollinstanz zu agieren, läuft man damit Gefahr sich den Machteliten anzudienen.
Zu Beginn hatten unsere Medien erneut Züge einer "vierten Waffengattung", wie es ein schwedisches Medienforschungsinstitut 2002 einem Großteil der europäischen Medien sinngemäß bescheinigte. Dies war nach dem ersten Krieg auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Kosovo-Krieg 1999.
Dieser Krieg bescherte uns eine neue Nato-Doktrin, mit deren Rhetorik heute alle Kriege beworben werden – auch der russische gegen die Ukraine. Die Hauptkriegslüge heißt "humanitäre Intervention". Das klingt freilich besser als geostrategische Interessen, die es in Wirklichkeit immer sind – und da gibt es berechtigte und unberechtigte, die man mindestens nach der Entfernung vom jeweils eigenen Land klassifizieren müsste.
Die "Ressourcensicherung" und die Bekämpfung von "Migrationsbewegungen" sind ebenfalls im lesenswerten Doktrin-Text der Nato genannt, das klingt noch weniger nach dem Schutz des eigenen Territoriums. Diese Doktrin ist – neben dem komplexen Völkerrecht – Pflichtlektüre für Journalisten, wie auch viele andere Dokumente geostrategischer Ausrichtung und der dazugehörigen Sprachregelungen.
Dann würde man vielleicht besser die Spins erkennen, die man willfährig verbreiten hilft – wie etwa den von einer "hybriden Bedrohung", der die asymmetrischen Machtverhältnisse einfach umkehrt.
Lehren aus der Propagandaforschung
Wenn schon nicht in der Journalismus-Ausbildung oder auch Fortbildungen vermittelt wird, mit welchen Methoden PR arbeitet, dann könnte man doch wenigstens aus früheren Kriegen und deren Begleitpropaganda lernen – da schlummert viel Material in den eigenen Medien-Archiven. Ein lehrreicher Schatz, den es zu heben gilt!
Denn mindestens seit der Zeitenwende 1999, als die Bundeswehr das erste Mal in einen "Auslandseinsatz" zog, konnte man einiges über Kriegspropaganda lernen und die Muster heute wiedererkennen. Man wünschte sich, unsere Medien würden mindestens ihre Archive aus dem Jahr 2000 heben.
Damals fand eine selbstkritische Debatte über die eigene Medienrolle statt, ob man nicht – ohne es zu wollen – Kriegspropaganda betrieben oder zumindest nicht Einhalt geboten habe. Dabei hatte der Pressesprecher der Nato, Jamie Shea, ja ganz offen gesagt, dass es sich um einen "Medienkrieg" handelte. Ohne Medien ist eine Mobilmachung auch nicht möglich.
Aber müssen wir immer auf Aufklärung nach dem Krieg warten, so wie es die WDR-Story "Es begann mit einer Lüge" 2001 aufdeckte? Oder können wir aus Erfahrungen mit Kriegspropaganda – und davon haben wir reichlich von Irak über den Kosovo bis nach Afghanistan – lernen? Die vielen ausgeblendeten Kriege würden uns auch andere Perspektiven ermöglichen, wenn unsere Medien nicht so extrem eurozentrisch ausgerichtet wären und mehr Perspektiven des Globalen Südens einbeziehen würden.
Nehmen wir den Kosovo-Krieg als erhellendes Beispiel:
Werden sich unsere Medien wieder daran erinnern,
- dass sie sich von PR-Strategien haben hinters Licht führen lassen und der nachweislichen Kriegspropaganda eines Rudolf Scharping aufgesessen sind?
Werden sich unsere Medien wieder daran erinnern,
- dass hunderte PR-Agenturen daran beteiligt waren, uns den Krieg im Kosovo als "humanitäre Intervention" zu verkaufen, die mit gefälschten KZ-Bildern und sonst verpönten Nazi-Vergleichen arbeiteten?
Werden sich unsere Medien daran erinnern,
- dass kritische Stimmen – wie die von Peter Handke – stigmatisiert und ausgegrenzt und so Nachdenkprozesse unterbunden wurden? … etwa die immer notwendige Diskussion des besten Weges, den eigentlich eine Demokratie ausmachen sollte.
Werden sich unsere Medien je daran erinnern,
- dass man das Fara-Register hätte konsultieren können und prüfen, wer darin verzeichnet ist und somit nachweislich als politischer Akteur in den USA tätig ist und PR dort einkauft? So einen "Foreign Agents Registration Act", den die USA 1938 gegen die Nazi-Propaganda erließen, können wir uns in Deutschland nur wünschen.
Werden sich unsere Medien überhaupt je daran erinnern,
- dass NGOs als zweite Quelle für einen unabhängigen Journalismus hinterfragt werden müssen? … weil auch diese Teil einer PR-Struktur sein können.
Fünfte vs. vierte Gewalt
Die Hauptzielgruppe von Lobbyismus und PR ist immer der Journalismus, denn der hilft die Werbebotschaften für Krieg und Tod (wie alle anderen Werbebotschaften auch) zu veredeln – ihnen den Anschein zu geben, als wären sie journalistisch geprüft. Hieraus ergibt sich eine enorme Medienverantwortung!
Das Hauptziel des Pressesprechers von Ramstein dürfte es sein, NICHT in den Medien vorzukommen – auch das gehört zu den bekannten PR-Strategien, nämlich zur strategischen Kommunikation von Akteuren, die lieber unter dem Radar bleiben: also auch zur PR von Thinktanks des sog. militärisch-industriellen Komplexes, sprich: der großen finanzstarken Akteure, die von jedem Krieg profitieren. Es heißt nicht umsonst: "Die Waffen liefern die Reichen, die Armen die Leichen."
Dafür muss man nicht immer auf die USA schielen. In Europa und Deutschland gibt es inzwischen eigene ThinkTanks, die uns auf noch mehr Krieg und Feindbildpflege einschwören.
Dazu gehört die Politikberatung von Rasmussen Global – ein Objekt, das auch ein Symptom der EU darstellt; nämlich, dass ehemalige politische Akteure in Brüssel nach ihrer Amtszeit dort verbleiben und Lobbyorganisationen gründen. Neben ehemaligen EU-Abgeordneten hat dies auch Anders Fogh Rasmussen genutzt, denn als ehemaliger Nato-Generalsekretär kennt er die Gepflogenheiten in Brüssel.
Journalismusberatung gibt es auch aus Brüssel. Die East StratCom Task Force1, die ganz transparent die "strategische Kommunikation" in ihrem Namen trägt, wird von Medienhäusern gerne konsultiert für Briefings ebenso wie für Interviews mit deren Pressesprecher Lutz Güllner, der dann häufig ganz intransparent als "EU-Experte für russische Desinformation" vorgestellt wird. Dabei ist diese Stelle für strategische Kommunikation eine PR-Stelle nicht nur der EU, sondern auch der Nato.
Wenn schon unsere Medienvertreter unkritisch gegenüber (eigenen) Regierungsstellen sind, dann sollten sie doch an dieser Stelle fragen, welches Mandat das Militärbündnis Nato hat Medien zu briefen über ausgerechnet Propaganda – und sei es nur die russische?
Denn man sollte doch aus den Kriegslügen der Vergangenheit wissen, dass die Desinformation in Autokratien leichter durchschaubar ist, weil man sie erwartet. Während das in Demokratien schwieriger zu sein scheint, wo mit Mitteln von Soft Power und Psy-Operations subtiler gearbeitet wird.
Demokratie braucht unabhängigen und kritischen Journalismus
Anscheinend ist die Brandmauer zwischen PR und Journalismus gefallen. Der Deutsche Journalisten Verband DJV vertritt nicht nur Journalisten, sondern auch Pressesprecher – obwohl es dafür eigene Berufsverbände gibt.
Diese Vermischung trägt ebenso zur Verwischung der Grenzen bei, wie der Drehtüreffekt, den wir gerade erneut bei der Besetzung der Rbb-Intendanz in Berlin beobachten können, wie wir ihn auch schon vom Bayerischen Rundfunk her kannten: ehemalige Regierungssprecher in Verantwortung für unsere Medien.
Die Drehtüre zwischen Politik und Medien fördert nicht gerade die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Wir alle aber sind die Stakeholder der öffentlich-rechtlichen Medien – die Anspruchsgruppe – diejenigen, die die öffentlich-rechtlichen Medien finanzieren.
Somit haben wir einen Rechtsanspruch diesen gegenüber. Gerade der auch von der EU unter Druck stehende öffentlich-rechtliche Rundfunk wird erneut geschwächt durch die Verwischung der Grenzen zwischen PR und Journalismus.
Dabei gilt es, ihn zu verteidigen und zu verbessern – damit er seine in Staatsverträgen verbrieften Möglichkeiten von Staatsferne auch wirklich nutzt! Medien als Markt bilden da kein Gegengewicht – eher droht uns das Prinzip Murdoch im internationalen Medienvergleich. Wir sollten mit gewählten Publikumsräten in die Kontrollgremien der Öffentlich-Rechtlichen unseren berechtigten Anspruch geltend machen!
Ist die – Stichwort: Pressesprecher werden Intendanten – Verwischung medienethischer Grenzen mit ein Grund dafür, warum vermeintliche NGOs wie das Zentrum Liberale Moderne so unkritisch in den Medien promotet werden?
Dieses Seniorenprojekt von Ralf Fücks, der als Leiter der Böll-Stiftung diese bereits olivgrün umgedreht hat, wird in vielen Medien immer noch unkritisch hofiert. Manchmal sitzen gleich mehrere Vertreter in Talkshows, ohne dass dies an der Bauchbinde erkennbar wäre.
Die Finanzierung dieser Grünen-nahen Stiftung hat das Satire-Format KüppersbuschTV aufgedeckt. Unglaubliche Fördersummen vom Programm "Demokratie leben!" fließt hier ebenso ein, wie Gelder direkt aus dem Bundespresseamt – also einer Regierungsstelle für Regierung-PR.
Wie kann man da von Medienseite die Selbstbezeichnung "NGO" dieses ThinkTanks LibMod unkritisch kolportieren? Zumal ein Blick auf die diversen betriebenen Websites schnell eine propagandistische Agenda offenbaren.
Werden sich unsere Medien also in Zukunft wieder fragen:
- Haben wir zu unkritisch die Sprachregelungen/das Wording von Pressestellen übernommen und damit die "Berichterstattung" bereits der Perspektivierung der Senderinteressen unterworfen? … etwa auch bei den Verlautbarungen zu den Defender23-Manövern der Nato, wo man "Erfolgsmeldungen" einfach weitergab?
Werden sich unsere Medien in Zukunft wieder fragen:
- Haben wir transparent gemacht, wo Interessenkonflikte bei sog. Alpha-Journalisten vorliegen, die mitsamt ihren Netzwerken bereits in früheren Konflikten durch Einseitigkeit und die Verletzung medienethischer Standards auffielen? So wie dies Uwe Krüger in "Meinungsmacht" nachweist und die ZDF-Anstalt es 2014 aufgegriffen hat.
Werden sich unsere Medien in Zukunft fragen:
- Haben wir es der Satire überlassen, die Rolle der vierten Gewalt zu übernehmen, weil wir die Aufgabe nicht vollumfänglich erfüllen?
Werden sich unsere Medien in Zukunft fragen:
- Haben wir es zugelassen oder gar befördert, dass Kriegsverbrechen relativiert werden durch die Fokussierung allein auf russische Kriegsverbrechen? Die Bombardierung ziviler Infrastruktur ist ja seit der Anwendung der Warden-Luftwaffendoktrin im Nato-Krieg gegen Serbien bekannt.
Werden sich unsere Medien in Zukunft fragen:
- Haben wir erneut völkerrechtliche Prinzipien nur selektiv angewandt und das Völkerrecht als Verständigungsgrundlage damit weiter geschwächt, wie die Uno als Vermittlungsinstanz insgesamt?
Werden sich unsere Medien in Zukunft fragen:
- Haben wir es versäumt, nicht nur die Freilassung von Nawalny und Gershkovich zu fordern, sondern mit gleicher Vehemenz auch die von Julian Assange?
Werden sich unsere Medien in Zukunft fragen:
- Haben wir es geschafft, auf eine ausgewogene Erinnerungskultur zu achten und nicht nur dem Issues Management via Pressearbeit interessierter Stellen nachzulaufen? Etwa des Angriffs auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zu gedenken? Des enormen Blutzolls der Sowjetarmee im Zweiten Weltkrieg? An den kürzlich verstorbenen Whistleblower Daniel Ellsberg und seine Lebensleistung? An Edward Snowdens zehnten Jahrestag im russischen Exil? An Michail Gorbatschow und seine enorme Lebensleistung, die Logik des Misstrauens zu durchbrechen?
Werden sich unsere Medien in Zukunft endlich fragen…
- haben wir es erneut versäumt, der Friedensbewegung eine gleichberechtigte und nicht verächtlich-machende Stimme zu geben? Denn diese hat schon immer die Kriegsverläufe, die Vorgeschichten und späten Einsichten beobachtet, sowie lange auf den Zusammenhang zwischen Energiekrise und sowohl Kriegsgefahr als auch Kriegsprofite hingewiesen. Sie hat sich mit Weitsicht für die Konversion der Wirtschaft hin zum Überleben der Menschheit eingesetzt. Die Zerstörung der Umwelt macht jeden Sieg im Krieg überflüssig. Denn, wie Daniela Dahn so klug und richtig schreibt: "Nur der Frieden kann gewonnen werden"!
Werden sich unsere Medien in Zukunft fragen…
- Haben wir erneut nur auf russische Interessen in dem Konflikt gestarrt, wie es der ARD-Progammbeirat den ARD-Programmen für die Berichterstattung über die Ukraine-Krise 2013/2014 im Juni 2014 bescheinigt hat?
Werden sich unsere Medien dann auch fragen:
- Haben wir es bis heute versäumt, der Aufforderung des ARD-Progammbeirats nachzukommen und die Interessen der anderen Seite(n) ebenso auszuleuchten? Die der EU, der USA, der Nato. Und hier die Hunter Biden Laptop-Geschichte einzuordnen? Sowie die Folgen des Lend Lease Acts der USA einzubeziehen? Beides und noch viel mehr geben Hinweise auf die wirtschaftliche Umstrukturierung der Ukraine und die aktuellen wie zukünftigen Zahlungsströme, also die geschaffenen ökonomischen Abhängigkeiten.
Der Wirtschaftskrieg wird von einem Bilderkrieg begleitet. Wer stellt die Frage, warum und welche Bilder es vermochten Kriege zu beenden und welche Bilder es vermochten für die Verlängerung von Kriegen zu votieren?
Verengte Diskurskorridore können diese Fragen nicht klären. Das Polittheater der Talkshows ist erst recht nicht auf Klärung angelegt, denn "The Show must go on".
Auf der Strecke bleiben wir alle. Die Ukraine und die Ukrainer zuerst, deren Land und Leben zerstört wird. Ebenso die russischen Soldaten, die verheizt werden. Die Kriegslogik bedient sich eines Doppelstandards, der sich in allen Bereichen des öffentlichen Diskurses breit macht. Das Einhalten der sog. "regelbasierten Ordnung" wird von einigen, nicht von allen, verlangt; und sich selbst nicht daran gehalten.
Mit der Glaubwürdigkeit gehen aber auch die völkerrechtlichen Standards verloren, um die es zu kämpfen lohnt – im besten demokratischen Sinne durch Diskurs und Verständigung mit allen gleichberechtigt auf der Erde.
Dazu bedarf es eines anderen Menschenbilds, als dies derzeit in Politik und Medien vorherrscht: das, was den Kern der Menschenrechte ausmacht, nämlich die Gleichwertigkeit aller Menschen und die Berechtigung ein menschenwürdiges Leben zu führen. Und das beginnt mit dem Schutz des Lebens überhaupt und deshalb sollten wir uns alle folgende Erkenntnis einprägen: Kriege sind nicht humanitär!
Und für den Kampf um Demokratie, echte Freiheit und Gerechtigkeit benötigen wir Medienfreiheit. Wie Eckart Spoo nicht müde wurde zu betonen: Es gibt "Keine Demokratie ohne die Demokratisierung der Medien!"
Und um freie Medien werden wir kämpfen müssen, denn die Medienfreiheit wird nicht nur im Osten angegriffen. Manche Regulierungsbestrebung auf EU-Ebene ist auch dazu geeignet Zensur-Maßnahmen zu ermöglichen. Und auch die Verschärfung des Volksverhetzung-Paragrafen 130 in Deutschland spricht eine warnende Sprache. Deswegen sollten wir alle – Medienschaffende und Mediennutzende – für mehr Medienverantwortung eintreten, für mehr konstruktiven Streit, für mehr ehrliches Ringen um die besten Lösungen; im besten demokratischen und friedlichen Sinne.
Referenzen zum Thema: 2014 Ausstellung Im Osten nichts Neues (Sprechsaal Berlin) und Mitherausgabe Ukraine im Visier (Selbrund-Verlag); 2021 Medienanalyse (Westend-Verlag); 2022 Aufsätze in: Journalistik (Halem-Verlag), Tagesspiegel, Telepolis; 2023 Aufsätze in: Kriegsfolgen (ProMedia), Ukrainekrieg (Westend-Verlag), Europe and the War in Ukraine (FEPS), Frankfurter Rundschau; Vorträge und Fortbildungen.
Der Text basiert auf einem Vortrag im Rahmen einer politischen Aktion vor dem US-Luftwaffenbasis in Ramstein.
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