Medienversagen: Über Ballon-Lücken, Kampfdrohnen und Angriffskriege

Seite 2: Der Irak-Krieg ist in den Leitmedien kein Verbrechen

Ein ähnlicher doppelter Standard gilt in Hinsicht auf Angriffskriege. Der Überfall Russlands auf die Ukraine wird zu Recht als Verstoß gegen das Völkerrecht und Kriegsverbrechen gebrandmarkt. Für den Irak-Krieg wurde und wird dieser Maßstab aber nicht angelegt. Obwohl ein glasklares Beispiel für einen brutalen Angriffskrieg, gilt er weithin, wenn auch als gescheiterter Versuch, Demokratie und Stabilität in die Region zu bringen.

Vor fast exakt zwanzig Jahren, am 5. Februar 2003, log der damalige US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat über Beweise für ein mutmaßliches Massenvernichtungsprogramm des Irak. Ohne UN-Resolution starteten die Vereinigten Staaten daraufhin einen verheerenden Angriffskrieg gegen das Land, das sich gegen die überwältigende Militärmaschine der globalen Supermacht nicht wehren konnte. Studien gehen von rund einer Million toter Zivilisten durch den selbst erklärten "Anti-Terrorkrieg" der USA aus.

Schon mit einfachsten Mitteln lässt sich der niederdrückende doppelte Standard in der Behandlung der beiden Angriffskriege in der medialen Berichterstattung belegen. Man muss nur in das Archiv des Qualitäts- und Leitmediums Süddeutsche Zeitung gehen – um nur ein Beispiel zu nehmen – und ein paar Schlagworte in die Suchmaschine dort eingeben.

Die Wortkombination "Ukraine UND Angriffskrieg" ergibt für die knapp zwölf Monate nach Kriegsbeginn 2.373 Treffer, "Irak UND Angriffskrieg" für den gleichen Zeitraum nach der Invasion in den Irak hingegen ganze 67. Wobei bei den 67 Treffern nur ein Teil den Irak-Krieg als Angriffskrieg überhaupt bezeichnet (in einem Fall wird zum Beispiel über Saddam Husseins Überfall auf Kuwait als Angriffskrieg gesprochen). Und in den übrigen sind es fast ausschließlich Aussagen von Kriegsgegner:innen und Vertreter:innen der Friedensbewegung, die die SZ mitteilt.

Die Journalisten der Süddeutschen selbst enthalten sich bis heute fast gänzlich der Charakterisierung "Angriffskrieg" beim Irak-Überfall der USA, während sie demgegenüber durchgängig von einem russischen Angriffskrieg sprechen. Dass das auch die anderen Medien in Deutschland machen, lässt sich leicht bei einer Genios-Pressedatenbank-Abfrage belegen.

Der unterschiedliche Berichterstattungsmodus hinsichtlich der Folgen und Opfer der Kriege, der militärischen Unterstützung für das angegriffene Land, der Sanktionspolitik gegen den Aggressor, Forderungen nach einem sofortigen und bedingungslosen Ende des Angriffs usw. ist ebenso eklatant und leicht nachweisbar.

Es ist einer der Geheimnisse der intellektuellen und politischen Klasse, diesen Widerspruch nicht nur zu exerzieren, sondern in erstaunlichem Ausmaß verdrängen zu können, während man jeden mit Schlagworten wie "Whataboutism" oder "moralischem Relativismus" angreift, der auf den doppelten Standard verweist. Obwohl solche "radikalen Ansichten" in der Regel gar nicht erst in die öffentliche Arena zugelassen werden.

Die Bürger:innen sind auf eine vollumfängliche, differenzierte Berichterstattung angewiesen. Wenn aber Konflikte, Grenzüberschreitungen und Kriege nicht in notwendige Verstehenshorizonte gestellt werden, aus denen sie erst ihren politischen Sinn und Lösungsmöglichkeiten beziehen, befördert das Kräfte, die auf Eskalation und Konfrontation gepolt sind. Es stärkt Extremismus.

Das Verhältnis der USA und seiner Verbündeten zu China und Russland befindet sich in einem gefährlichen Stadium, angeheizt von öffentlicher Stimmungsmache, in dem die Hardliner Oberwasser haben und die Medien die Eskalationsspiralen weiterdrehen.

Es gäbe eine rationalere Reaktion: Die eigene, in der Dimension meist weiter reichende Gewalt-Politik angesichts der Grenzverletzungen und Aggressionsakte der anderen Seite zu hinterfragen und diplomatische Deeskalation zu wagen.

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