Mehr Augenmerk auch auf die Anfänge der RAF
Über die Wurzeln des deutschen und italienischen Terrorismus im Kalten Krieg - Teil 6
Teil 5: Paramilitärische Staybehind- Gladio- Einheiten auch im Osten in den Terrorismus involviert
Dass zwei Tage nach der Baader-Befreiung 20 Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe am 16. Mai 1970 mit Wissen der DDR-Behörden über Ostberlin und Bulgarien für 60 Tage in ein Ausbildungslager des militärischen Flügels der PLO nach Damaskus ausreisten, ist in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung ein bekanntes, aber irgendwie doch singulär gebliebenes Ereignis. Mit der neueren Kenntnis über die ab Ende der 60er Jahre immer enger werdende Bindung der PLO zu Moskau bekommt dieser Kontakt eine ganz andere Bedeutung. Es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Stasi und KGB von Anfang an verdeckt auch hinter den deutschen Terroristen standen. Abgesehen davon, dass - so H.-J. Boock 1990 - in Ländern wie Irak, Syrien und Jemen der KGB oder die Stasi die Geheimdienste aufgebaut haben und man dort zwangsläufig mit deren Vertretern zusammenkam. Mal führten Stasi-, mal PLO-Fachleute die Kurse durch. Ganz offensichtlich, weil es damals, wo die DDR international mehr Anerkennung suchte, nicht opportun erschien, dies in der DDR selbst zu tun.
Ulrike Meinhof war seit den 50er Jahren KPD-Mitglied. Die in der Linken durchaus einflussreiche Zeitschrift "Konkret", die sie mit ihrem Mann Klaus-Rainer Röhl führte, war nicht nur auf Beschluss des FDJ-Rates 1955 gegründet worden, sie wurde im Geheimen auch aus der DDR finanziert und war der Abteilung "Kultur und Politik" der SED unterstellt. Röhl, damals selbst Mitglied der KPD, nennt die Zeitschrift heute eine "getarnte Kommunistenzeitung".1 Auf erste DDR-kritische Artikel reagierte Ostberlin mit der Entsendung linientreuer "Kultur-Stalinisten" in die Hamburger Redaktion. Doch die Widersprüche von Röhl und der Meinhof zur Linie der SED nahmen zu. Das Bekenntnis zur antistalinistischen Neuen Linken und der Widerstand von Röhl und der Meinhof, sich manövrieren zu lassen, führte 1964 zum Bruch.2 Ulrike Meinhof war aber dennoch bereit, im August 1970 bei der FDJ in Ostberlin um logistische Unterstützung vorzusprechen. Dass dieser Kontakt "der erste aktenkundige" war und dass sie danach "nie wieder in der DDR" war3, wäre nachzuprüfen bzw. zu präzisieren. Die DDR bleibt der bereits steckbrieflich gesuchten Meinhof auf diesem direkten Weg gegenüber ablehnend. Anfang der 70er Jahre pflegt man aus diplomatischen Gründen mit möglichen Nestbeschmutzern nur abgesicherte geheime Kontakte.
In seinem Buch "Mein langer Marsch durch die Illusionen" gibt Klaus-Rainer Röhl Hinweise zur Involvierung der Stasi schon in den allerersten Aktionen der RAF. "Offenbar hatte das MfS damals bereits, mit oder ohne El Fatah, die Autorität, seine Anordnungen bei der RAF durchzusetzen."4
Tatsache ist, dass die Baader-Meinhof-Gruppe 1972 in einem Papier schrieb, ihr Ziel sei "ein einheitliches sozialistisches Deutschland, mit der Arbeiterklasse der DDR und ihrer Partei, und niemals gegen sie". Interessanterweise ist diese Nähe dann, als immer mehr zwischen Stasi und Linksterrorismus zusammengearbeitet wurde, nicht mehr erwähnt worden und heute besteht nur das Bild "ideologischer Differenzen". Offensichtlich zeigten sich aber nicht alle der ersten RAF-Generation disponibel für eine direkte Zusammenarbeit mit der Stasi. Doch reserviert gegenüber einer Vereinnahmung, Bevormundung durch DDR/SED/Stasi zu sein ist eine Sache. Eine andere ist die Bereitschaft, durchaus mit der Hilfe der DDR ein internationales revolutionäres Netzwerk aufzubauen, das zunächst unter der Ägide von Feltrinelli und Wadi Haddad stand. Mit dem heutigen Wissen darum, dass Haddad Agent des KGB war, kann davon ausgegangen werden, dass dieser Aufbau auf Weisung des KGB und der Stasi erfolgte.
Auch in Italien - so berichtet Alberto Franceschini, Gründungsmitglied der Roten Brigaden - zeigte sich die erste Generation der Roten Brigaden nicht bereit für eine deutliche Zusammenarbeit mit Geheimdiensten.5 Erst nach Ausschaltung des Gründungskerns 1974 über Verhaftung und gezielte Tötungen bei Polizeieinsätzen bestand in den sich transformierenden Roten Brigaden dafür größere Disponibilität. Und dies über den schon in der Anfangszeit durch besondere Militanz sich auszeichnenden so genannten Superclan der ersten Stunde, der nun wieder auftauchte, die Führung übernahm und seinen clandestinen Sitz in der Hyperion-Sprachenschule in Paris aufschlug. Dort gingen, wie die italienische Justiz 1981 ermittelte, Ost- und Westagenten ein und aus.6 Paris wurde auch intensiv von RAF-Mitgliedern der zweiten Generation aufgesucht, die engere Kontakte mit der Stasi hatte. Eine konkrete Aufklärung der Beziehung der RAF zu dieser hochbrisanten Hyperion-Schule steht noch aus.
Es gab also auch in der Entwicklung ihrer Organisationen ganz ähnliche Stationen bei den Roten Brigaden und der Roten Armee Fraktion. Fast zeitgleich mit der Verhaftung des historischen Kerns der Roten Brigaden erlaubte sich Geheimdienstchef Vito Miceli vor einem Gericht den Lapsus:
Von nun an werdet ihr nicht mehr vom rechten Terrorismus hören, sondern nur noch von dem anderen.
Daraus kann nur geschlossen werden, dass man spätestens zu diesem Zeitpunkt die zukünftigen Terroristen im Griff hatte.
Dass die Kooperation fortschreitet, zeigt die spätestens 1978 erfolgte Aufnahme eines östlichen Geheimdienstes in das ursprüngliche Gremium westeuropäischer Geheimdienste "Club di Berna", in dem über das Vorgehen im Terrorismus beraten wurde.7
Man muss die vielen bekannt gewordenen Spuren zur Stasi im westdeutschen Links- (und Rechts-) extremismus vor und nach 1968 nur zusammenbringen, um die Systematik der Einflussnahme zu erkennen. Doch in Deutschland tut man sich schwer damit, ob man nun mit anderen Indizien zusammenbringen darf, was wie ein singuläres Ereignis erscheint. Sollte Kurras, Mörder von Benno Ohnesorg, wirklich nur ganz zufällig ein Stasi-Mitglied gewesen sein?8 Und auch nur zufällig gleich neben ihm sich der Fotograf der SED-nahen "Wahrheit" und ein DKP-Arzt aufgehalten haben? War es kein Auftragsmord, wenn sich in den noch vorhandenen Stasi-Akten keine Spur dazu findet? Als ob ein Geheimdienst Morde schriftlich oder undechiffriert festhalten würde. Ist es etwa auch ein Zufall, dass Peter Urbach, der der RAF Waffen und Sprengstoff lieferte und für den westdeutschen Verfassungsschutz und die DDR-Reichsbahn arbeitete, gleichzeitig nachweislich in den Prozessakten als SED- Mitglied genannt wird, und mglw. auch Stasi-Mitglied war?9
Bisher sind namentlich mindestens 46 Mitglieder aus den drei westdeutschen linksterroristischen Gruppen bekannt, die auf die eine oder andere Weise für die Stasi aktiv waren und/oder mit Decknamen, Registriernummer und klarer IM-Nennung in Stasi-Akten erwähnt werden. Rechnet man die RAF-Mitglieder hinzu, die in den 80er Jahren in der DDR Unterschlupf fanden, die sogar alle als IMs in den Akten geführt wurden, ist man schnell bei fünfzig Namen. Doch kein Journalist, kein Politiker, kein Zeithistoriker hat die versprenkelten Erkenntnisse einmal zusammengeführt. In Stasi-Akten stößt man in einer internen Statistik sogar auf die Zahl von 86 inoffiziellen Mitarbeitern der Terrorismus- Abteilung XXII/8, davon 22 in leitender Funktion (IMB).
Bei ihrer Verhaftung 1977 fand man in den Hosentaschen Verena Beckers - aktenkundig - 200 Ostmark.10 Das weist nun doch recht eindeutig auf eine Verbindung zur DDR und in diesem Kontext auf ihre Zusammenarbeit mit der Stasi hin. Dort wird sie tatsächlich und merkwürdigerweise sogar mit drei Decknamen, "Sola", "Pohlmann" und "Telse", geführt.11 Von all dem gibt es in unseren Medien und der Zeitgeschichtsschreibung keine systematische Zusammenfassung. Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Einstellung zur Stasi-RAF-Connection in ein und denselben Kreisen der politischen Macht seit den Zeiten des Kalten Krieges bis heute verändert hat. Damals, als es noch wenig Beweise gab, wurde angeprangert, heute, wo es immer mehr gibt, wird heruntergespielt. Bei der Birthler-Behörde wird gerade soviel von einer RAF-Stasi-Connection eingeräumt, was von anderen aufgedeckt und nicht mehr zu leugnen ist.
Kreise der alten Linken, vorne an alte DKP/SEW- oder natürlich SED-Mitglieder, bleiben darin gefangen, dass Aufdeckung von Schuld der Stasi im Terrorismus ein Rückfall in Zeiten des Kalten Krieges sei oder gar Desinformation der CIA auf den Leim ginge. So als sei hier im Innern eines totalitären Staates immer noch etwas Linkes oder gar Besseres im Verhalten von Stasi/KGB im Vergleich mit der CIA zu verteidigen. Als gelte es nicht vielmehr im Namen von Demokratie und Aufklärung Wahrheiten aufzudecken, die in der Tat zur Umschreibung unserer Geschichte führen werden.
Seit Frühjahr 2007 gibt es eine Beschäftigung mit dem Anschlag auf Siegfried Buback im Jahr 1977, vor allem durch dessen Sohn Michael Buback. Die Repräsentanten hoher Staatsorgane haben sich im Umgang mit diesen neuen Recherchen in tiefe Widersprüche verwickelt und deutlich gemacht, dass eine Aufklärung zu diesen Fragen nicht erwünscht ist.12 Doch die Beharrlichkeit des Hinterbliebenen ist ein Meilenstein in der Aufklärung zum bundesdeutschen Terrorismus. Auch dies hat Parallelen in Italien.
Der Blick in die italienischen Aufklärungen hilft, die Dinge im eigenen Land und die internationalen Zusammenhänge mehr zu durchschauen. So fragt man sich inzwischen auch beim Hamburger Institut für Sozialforschung, dass lange Zeit den Einfluss der Geheimdienste übersehen oder geleugnet13 hat: "War die so genannte dritte Generation der RAF vielleicht nur eine geschickte Tarnung, die von Geheimdienst-Akteuren benutzt wurde, um eigene Verbrechen zu verschleiern?" und konstatiert: "Unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges agierten Terrororganisationen mitunter als verlängerter Arm von Großmächten."14
Mitte/Ende der 90er wurde begonnen, angeklagte Stasi-Funktionäre und aus dem Untergrund wieder aufgetauchte Terroristen für ihre Verwicklung im westdeutschen Terrorismus "aus Mangel an Beweisen" frei zu sprechen. Aufklärung sollte nicht stattfinden. Man griff zu außergerichtlichen Deals abseits der Öffentlichkeit.
Zunehmende Aufdeckungen der eher zufälligen Art hatten merkwürdigerweise zur Folge, dass die RAF-Stasi-Connection peu à peu vernebelt und heruntergespielt wurde. Aufklärung über die außenpolitischen Aktivitäten des MfS, konkret deren Aktivitäten auf dem Boden der BRD, fällt damit unter den Tisch.
Auch in Italien hat man interessanterweise von der Regierung D`Alema, also den einstigen Kommunisten, Ende der 90er Jahre scharfe Kritik an den aufdeckenden Staatsanwälten hören müssen. "Die werden auch ihre Leichen im Keller haben," wusste manch ein Durchblickender dieses überraschende Verhalten zu erklären. Auch die alten Kommunisten haben seinerzeit im Hintergrund gegen den Historischen Kompromiss mitgekungelt, waren mit den Christdemokraten beteiligt an einer gigantischen Geheimaktion! Doch das soll nicht laut und deutlich bekannt werden, also diskreditiert man die Staatsanwälte, nicht sehr viel anders als Berlusconi, der befürchtet, dass gegen ihn aufgedeckt wird. Das Auto mit dem toten Aldo Moro wurde in Rom im für diese Aktion signifikativen magischen Dreieck wieder gefunden: fast exakt im gleichen Abstand zwischen dem Sitz der tschechischen Botschaft, der christdemokratischen und der kommunistischen Parteizentrale! So raffiniert durchtrieben kann man bei gelungenen Geheimdienst-operationen triumphieren.
Es liegt in der Sache selbst, dass Geheimpolitik nur bruchstückhaft auf die Schliche zu kommen ist. Aufklärung ist hier ein Hartnäckigkeit forderndes Unterfangen. Unter Kriminologen gehört es zum täglichen Handwerk, bei vorerst noch geringen Indizien Thesen über Zusammenhänge und Hintergründe zu bilden. Wer aber Kriminelles aus den Grauzonen der Arbeit der Geheimdienste aufdeckt, wird gerne mit dem - vor allzu viel Aufdeckung schützenden - Kampfbegriff "Verschwörungstheoretiker" zu diskreditieren versucht.
Die Kette der Indizien und auch Beweise für die Einflussnahme auch des Ostens auf den Terrorismus im Kalten Krieg ist inzwischen lang. Kaum ein Hinterbliebener der Opfer, der mit sicherer Intuition nicht der Überzeugung ist, hinter den Anschlägen stünde die Stasi. Doch aus einem noch nicht recht zu greifenden Grund ist hier ein schützendes Tabu errichtet worden. Und wer wirklich Aufklärung sucht, fragt sich notwendigerweise mit der Journalistin Carolin Emcke : "Warum ist die Bundesanwaltschaft gegenüber der Stasi-Verstrickung in der RAF so stumm?"15
Geheimpolitik soll geheim bleiben. Angesichts dessen wissen wir allerdings - Italien und Deutschland zusammengenommen - schon sehr viel. Aber es gibt noch viele, viele Fragen und sehr viel Aufklärung zu leisten. Die sicher interessantesten Antworten finden sich in den Untiefen unserer Staatsarchive, versehen wie bei der Akte Verena Becker z.B. mit dem Vermerk "Gesperrt bis 2060". Doch seien wir guter Dinge, dass noch vorher die knapp 17.000 Säcke mit den gleich nach dem Mauerfall geschredderten Stasi- Akten zusammengesetzt und uns zugänglich gemacht werden und Fragen klären werden.
Doch wie sagte Alberto Franceschini, Mitbegründer der Roten Brigaden, der heute mit den Ermittlern für Aufklärung zusammenarbeitet:
Im Sinne der Justiz, also des Strafrechts, wird eine Wahrheit nie mehr herzustellen sein, denn inzwischen gibt es eine zu lange Straße der Spureneliminierung. Liest man jedoch die Ergebnisse all der Prozesse, die bisher geführt wurden, mit einem historisch-politischen Schlüssel, dann wird man alle Indizien und Elemente finden, um zu einem zusammenhängenden Bild zu kommen.