Mehr Independent-Literatur in die Läden
Der Buchhandel wandert weiter ins Netz. Doch vor den kleinen Buchläden verschwindet ihre kulturelle Vielfalt. Wie kann man gegensteuern? Vorschläge.
Das häufigste Weihnachtsgeschenk soll dieses Jahr laut Statista der Gutschein oder direkt Bargeld sein. Hoch im Kurs steht aber auch immer noch ein physisches Produkt, bei dem sich der Schenkende zwar anders als beim Geldgutschein genau festlegen muss, das jedoch in geradezu unvorstellbarer Vielfalt zur Aufwahl steht, so dass sich tatsächlich für jeden etwas finden lässt: das Buch.
Jeder dritte Befragte gab an, zu Weihnachten dieses Jahr auch Gedrucktes verschenken zu wollen. Der Umsatz wandert dabei weiter vom stationären Buchhandel zum Versandhandel: Mehr als ein Viertel des Umsatzes wird in der Buchbranche mittlerweile online erzielt. Von 2020 auf 2021 stiegen die Umsätze um 16 Prozent (von 2,2 auf 2,6 Milliarden Euro). Im Jahr zuvor war der Anstieg im Internetbuchhandel mit 21 Prozent noch deutlicher. Der Anteil am Gesamtmarkt lag damit 2021 bei 27 Prozent (2020: 24 Prozent).
Bücher in Supermärkten und Tankstellen
Und es wächst die Bedeutung von Verkaufsstellen in Supermärkten, an Tankstellen und ähnlichen Orten. Von der Pandemie-Politik haben sie stark profitiert, weil sie anders als Buchhandlungen vom Lockdown nicht betroffen waren.
Zwar gibt es derzeit laut Börsenverein noch etwa 5.000 Buchhandlungen in Deutschland, doch die Bedeutung der Ketten und Buchkaufhäuser ist enorm: 10 Prozent der Buchhandlungen machen über 75 Prozent des Umsatzes.
Dass der E-Commerce auch in der Buchbranche an Bedeutung weiter zunimmt, ist nicht verwunderlich. Neben all den bekannten Bequemlichkeiten und abgesehen vom Spezialprodukt "eBook", für das es weder Laden noch Versand braucht, kommt dem Online-Handel zugute, was mal kleine Shops vor großen Ketten schützen sollte: die Buchpreisbindung.
Weil ein Buch überall dasselbe kosten muss, brauchen Internet-Shops nicht mit Schnäppchen zu werben und Kunden müssen nicht nach Schnäppchen suchen. Die Rabatte, die Verlage und Großhändler einräumen, sind üppig genug, dass viele Händler keine Versandkosten berechnen und dennoch Gewinn machen. Bücher waren bekanntlich das erste, was Jeff Bezos' Amazon via Internet verkauft hat.
Folgen der Konzentration
Die Konzentration auf einige Branchen-Riesen und den Online-Handel ist beim Buch aber folgenreicher als bei vielen anderen Produkten. Denn Buchhandlungen sollten ein vielfältiges und individuelles Kulturangebot bereithalten. Unterschiedliche thematische Ausrichtungen und die jeweiligen Vorlieben der einzelnen Buchhändler machen inhabergeführte Läden je einzigartig.
Sie waren lange Zeit das entscheidende Tor zur Welt für kleine Verlage und wenig bekannte Autoren. Allerdings ist schon lange auch im Sortimentsbuchhandel ein Mainstream zu beobachten. In die Läden kommt, was sich gut abverkauft, daneben noch einige Hingucker, aber wenig Independent.
Die Bereitschaft, Verkaufsfläche mit neuer, unbekannter Literatur zu füllen, ist gering, ebenso die Lust zur Verwaltung von Kommissionswaren und die Besorgung spezieller Kundenwünsche bei Verlagen.
Sicherlich gibt es hier eine Wechselwirkung mit dem Online-Handel: Je größer der Druck von dort wird, umso eher schielt auch der stationäre Buchhandel auf die großen Umsatzbringer und lässt die Finger von ressourcenintensiver Kulturförderung.
Und der Druck ist gewachsen, wenn selbst Lehrer aus Bequemlichkeit ganze Klassensätze eines Buches vom Pult aus per Smartphone bei Amazon bestellen, wobei dem örtlichen Buchhändler mit einer einzigen Bestellung mehrere hundert Euro Gewinn entgehen, die früher verlässlicher Bestandteil der Jahreskalkulation waren.
Sonderregelung Pressefreiheit und Los
Wenn der Sortimentsbuchhandel wieder stärker Hort der Kulturförderung werden soll, dann muss er tatsächlich ein Stück weit "back to the roots". Von alleine wird das aber nicht passieren. Vielleicht braucht es die Verpflichtung, einen bestimmten Anteil der Ladenfläche (bzw. bei Online-Händlern: der Produkte) den wenig lukrativen Büchern vorzubehalten: regionalen Verlagen, Autoren im Selbstverlag, nicht im Barsortiment vertretenen Waren und dergleichen.
Da die Buchpreisbindung letztlich eine Subvention der Allgemeinheit ist, zumindest aber eine Freiheitsbeschränkung, kann sie auch gewisse, demokratisch artikulierte Forderungen stellen. Zumal wir etwas Vergleichbares bei Zeitungen und Zeitschriften mit dem Presse-Grosso längst haben: Der einzelne Verkäufer kann nicht entscheiden, welche Publikationen in seine Auslage kommen, und der Grossist als Großhändler muss jeden Presseanbieter, der dies möchte, in seinen Vertrieb aufnehmen.
Diese Sonderregelung wird direkt aus dem Grundgesetz abgeleitet: Die Pressefreiheit sei nicht gewährleistet, wenn Presseerzeugnisse gar nicht verfügbar sind und Meinungen systematisch unhörbar gestellt werden könnten.
Gleiches kann man für Sach- und Fachbücher und sogenannte Unterhaltungsliteratur proklamieren: Wenig nachgefragte Themen landen erst gar nicht in der Buchhandlung und haben so gar keine Chance, Nachfrage zu erzeugen.
Bei etwa 70.000 Neuerscheinungen pro Jahr, über eine Million verschiedene lieferbare Buchtitel muss es natürlich selbst für solche "Kulturfenster" eine Auswahl geben. Neben örtlichen und thematischen Kriterien könnte hier wie so oft, wenn keine inhaltlich begründete Auswahl zu treffen ist, das Los helfen: aus allen verfügbaren Neuerscheinungen wird je nach Größe der Buchhandlung eine Anzahl von Titeln ausgelost, die für eine gewisse Zeit dort präsentiert werden.
Gepaart mit der Kompetenz der Buchhändler haben solche Läden einen tatsächlichen Mehrwert gegenüber Online-Shops, der sich sogar in der Originalität von weihnachtlichen Buchgeschenken zeigen könnte. Buchläden mit individuellem und originellem Angebot können (wieder) zu gesellschaftlichen Treffpunkten werden, gerade auch in Kleinstädten und Außenbezirken - und damit die rechtliche Sonderstellung der Branche begründen.