Meinungsfreiheit nach Scholz: Erlaubt ist, was dem Kanzler gefällt
Scholz in Davos. Bild: @worldeconomicforum, CC BY-NC-SA 2.0
Davos: Kanzler sorgt für Aufsehen. Er betont die Meinungsfreiheit – auch für Elon Musk. Dann folgt die Einschränkung. Eine verfassungsbasierte Kritik.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos für Irritationen gesorgt. In einem Podiumsgespräch äußerte er sich zur Meinungsfreiheit – und schränkte diese gleich wieder ein. Zwar gelte die Meinungsfreiheit auch für Milliardäre wie Elon Musk, so Scholz. Doch was "wir" nicht akzeptieren würden, sei die Unterstützung "extrem rechter Positionen". Scholz im Video, hier ab Minute 19:30:
Zum Thema Elon Musk und seinen Aktivitäten habe ich in der Vergangenheit schon einiges kommentiert, da er viel über Europa gesprochen hat. Ich möchte wiederholen, was ich bereits gesagt habe: Wir haben in Europa und in Deutschland Meinungsfreiheit, und jeder kann sagen, was er möchte, auch wenn er Milliardär ist. Was wir jedoch nicht akzeptieren, ist die Unterstützung von rechtsextremen Positionen, und das möchte ich nochmals betonen.
Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD
Damit trat der Kanzler gleich in mehrfacher Hinsicht ins Fettnäpfchen:
Erstens: Die Meinungsfreiheit gilt für alle – egal ob arm oder reich. Dass der SPD-Politiker das überhaupt extra betonen zu meinen muss, lässt tief blicken. Offenbar spielt in seiner Weltsicht die Klassenzugehörigkeit doch eine größere Rolle als das Grundgesetz. Ein bedenkliches Demokratieverständnis für einen Regierungschef.
Zweitens: Meinungsfreiheit heißt Meinungsfreiheit. Sie endet nicht dort, wo es dem Kanzler nicht passt. In einer pluralistischen Demokratie muss es möglich sein, ein breites Spektrum an Meinungen zu äußern – auch und gerade kontroverse Meinungen.
Zumal sie sich ohnehin nicht verbieten lassen. Oder, wie der Entertainer Harald Schmidt feststellte: Wem der Aufstieg der AfD nicht passt, der müsse die Wahlen verbieten oder eben eine Politik machen, die andere Ergebnisse produziert. Und gerade das hat die SPD-geführte Ampel-Koalition offensichtlich nicht geschafft.
Drittens: Elon Musks Unterstützung für die AfD ist ohne Zweifel diskussionswürdig, weil sie in den deutschen Wahlkampf eingreifen. Allerdings hatte das zuletzt wider willens und weisungsgemäß sendungsbewusste Auswärtige Amt sich auch in den US-Wahlkampf eingemischt; in ähnlicher Art und Weise und auch über Social Media. Man könnte also sagen: So wie diese scheiternde und scheidende Bundesregierung in den transatlantischen Wald hineinruft, so schallt es hinaus.
Das sind die relevanten Artikel des Grundgesetzes
Meinungsfreiheit in Deutschland ist durch Artikel 5 des Grundgesetzes gesichert. Dieser Artikel gliedert sich in zwei wesentliche Absätze:
Artikel 5 Absatz 1 GG: Dieses Grundrecht umfasst die freie Meinungsäußerung, Presse- und Informationsfreiheit. Es erlaubt jedem, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.
Artikel 5 Absatz 2 GG: Hier werden Grenzen der Meinungsfreiheit definiert. Diese ergeben sich aus allgemeinen Gesetzen, den Jugendschutzbestimmungen und dem Recht der persönlichen Ehre.
Artikel, die die Meinungsfreiheit einschränken können, sind unter anderem:
Volksverhetzung (§ 130 StGB): Verbietet aufhetzende Äußerungen, die Hass gegen Bevölkerungsgruppen schüren und kann extrem rechte Aussagen strafbar machen.
Verbot von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB): Untersagt die Verbreitung von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen.
Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB): Verboten ist der Gebrauch von Symbolen solcher Organisationen.
Juristen not amused
Experten sehen Scholz’ Aussage daher hochproblematisch:
"Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind sehr weit. Viel weiter als uns Politiker immer wieder vormachen wollen", kritisiert der renommierte Anwalt Joachim Steinhöfel, der in der Vergangenheit – Transparenzhinweis – für die AfD und AfD-Vertreter tätig war. Auch extreme und demokratiefeindliche Meinungen seien vom Grundgesetz geschützt.
Der Bundeskanzler habe eine "rote Linie" überschritten. Seine Äußerung widerspreche dem "demokratischen Geist der Verfassung völlig", so der liberale Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler. Beide Juristen äußerten sich gegenüber der Berliner Zeitung.
Steinhöfel geht noch einen Schritt weiter: Für ihn ist es "beschämend für die Bundesrepublik, dass ein Bundeskanzler ein solcher verfassungsrechtlicher Dilettant ist wie Olaf Scholz".
Er ordnet Musks Aussagen eher als libertär und freiheitlich ein denn als rechts. Auch dem Vorwurf des Rechtsextremismus erteilt er eine klare Absage: "Das mit Musk in Verbindung zu bringen, ist lächerlich, peinlich und indiskutabel."
Boehme-Neßler sieht es ähnlich. Wer vorschnell Andersdenkende als "rechtsextrem" etikettiere, verharmlose echten Rechtsextremismus. Dieser wolle einen totalitären Führerstaat, keinen Rechtsstaat und die Vernichtung der Juden. "So etwas kann man Musk nicht im Ernst unterstellen."
Es ist erschreckend, dass ein deutscher Bundeskanzler ein so fragwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit und Demokratie an den Tag legt. Als Regierungschef steht Scholz in der Verantwortung, die Verfassung zu schützen – nicht, sie auszuhöhlen. Seine Äußerungen in Davos sind eine Bankrotterklärung und ein Armutszeugnis für ihn persönlich wie für sein Amt.
Klar ist: Olaf Scholz hat sich in Davos klar im Ton vergriffen. Ein internationales Forum zum nationalen Wahlkampf zu nutzen – das kann nur schiefgehen. Kaum jemand im Ausland kann die für Deutschland sehr charakteristische Debatte nachvollziehen.
Im Gegenzug tun sich führende politische und mediale Akteure sichtlich schwer, die Äußerungen von Musk vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Freiheitsgedanken einzuordnen. Das soll seine Äußerungen nicht entschuldigen. Es kann aber das gegenseitige Unverständnis erklären.