Meinungsfreiheit und Medienkampagnen: Bauernopfer im Bildungsministerium?
Ministerin Stark-Watzinger bleibt – eine Staatssekretärin muss gehen. Sie erteilte den Prüfauftrag für Sanktionen nach offenem Brief. War es ihre Idee?
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zieht personelle Konsequenzen aus der vielstimmigen Kritik an internen Überlegungen in ihrem Ressort, Berliner Uni-Lehrkräften die Forschungsgelder zu streichen, nachdem diese die polizeiliche Räumung eines Pro-Palästina-Protestcamps an der Freien Universität (FU) am 7. Mai kritisiert hatten.
Die Ministerin selbst bleibt aber auf ihrem Posten. Verantwortlich gemacht wird allein Staatssekretärin Sabine Döring, die den Prüfauftrag veranlasst hatte. Entsprechende E-Mails aus dem Ministerium waren vergangene Woche durch einen Bericht des NDR öffentlich geworden.
Von Meinungsfreiheit gedeckt: Der Inhalt des offenen Briefs
Döring hatte am 11. Juni dazu erklärt, die rechtliche Überprüfung des offenen Briefes der Uni-Lehrkräfte habe ergeben, "dass sein Inhalt von der Meinungsfreiheit gedeckt ist". Der Entzug von Fördermitteln habe in der Hausleitung nicht zur Debatte gestanden, fügte sie hinzu.
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Gleichwohl sehe das Ministerium den Inhalt unverändert kritisch, "da er sich mit keinem Wort zum terroristischen Angriff der Hamas auf die Zivilbevölkerung Israels am 7. Oktober 2023 verhält, pauschal ‚Polizeigewalt’ nahelegt und suggeriert, dass Hochschulen quasi rechtsfreier Raum seien", so Döring.
Streichung von Fördermitteln: Alles nur ein Missverständnis?
Darüber hinaus soll Döring zu dem Prüfauftrag erklärt haben, sie habe sich "missverständlich ausgedrückt". Das jedenfalls schrieb Ministerin Stark-Watzinger in einer aktuellen Stellungnahme zu ihrer Bitte um Versetzung der Staatssekretärin in den einstweiligen Ruhestand – formell ist hierfür Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zuständig.
Die für die Hochschulabteilung fachlich zuständige Staatssekretärin Sabine Döring hat – wie schon öffentlich bekannt – den zugrundeliegenden Prüfauftrag veranlasst. Ebenfalls hat sie erklärt, dass sie sich bei ihrem Auftrag der rechtlichen Prüfung offenbar missverständlich ausgedrückt habe.
Nichtsdestotrotz wurde der Eindruck erweckt, dass die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen auf der Basis eines von der Meinungsfreiheit gedeckten offenen Briefes im Bundesministerium für Bildung und Forschung erwogen werde.
Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung
Bisherige Staatssekretärin darf sich nicht äußern
Von Döring selbst sind aktuell kaum weitere Stellungnahmen zu erwarten, denn sie löschte inzwischen zwei Äußerungen auf der Plattform X zu ihrer angekündigten Entlassung, zu der sie sich demnach nicht äußern darf.
Am Sonntagabend hatte Döring zunächst geschrieben: "Dieser Abschnitt meiner beruflichen Laufbahn findet ein jähes Ende" – und kurz darauf, sie habe einen Anruf bekommen und müsse nun "den Tweet löschen".
Wer die Bild-Kampagne gegen die Uni-Lehrkräfte nicht mittrug
Screenshots davon kursieren allerdings in dem Netzwerk und sorgen für Spekulationen. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass nicht Döring, sondern Stark-Watzinger selbst eine Medienkampagne gegen die besagten Uni-Lehrkräfte mitgetragen und befeuert hatte.
"Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost", hatte die Ministerin gegenüber der Bild-Zeitung zu dem offenen Brief gesagt und einen entsprechenden Artikel des Blatts zustimmend auf X geteilt.
Döring hingegen schien zumindest der Bild-Artikel mit der Überschrift "Universitäter" und Porträts von beteiligten Uni-Lehrkräften zu weit zu gehen: Obwohl sie den offenen Brief intellektuell und rechtlich kritisch sehe, warf sie zu diesem Artikel am 10. Mai auf X die Frage auf: "Wollen wir wirklich so miteinander umgehen?"
Rücktrittsforderungen gegen Stark-Watzinger bleiben bestehen
Insofern stellt sich auch die Frage, wie im Ministerium überhaupt eine Diskussion um die Streichung von Fördermitteln aufkam, wer dies als Idee oder wünschenswerte Option in den Raum gestellt hat – und ob Döring mit dem Prüfauftrag nur klarstellen wollte, dass derartige Sanktionen nicht infrage kämen.
Sowohl Politiker als auch andere Medien kritisieren die angekündigte Entlassung nun als "Bauernopfer" – zum Teil kombiniert mit Rücktrittsforderungen an die Ministerin selbst.
"Bundesministerin Stark-Watzinger hat recht: Ein personeller Neuanfang im BMBF ist notwendig", teilte der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Thomas Jarzombek, mit. "Sie muss diesen Schritt jetzt selbst vollziehen."
"Bettina Stark-Watzinger hat ihre Staatssekretärin entlassen. Doch das Bauernopfer wird die Ministerin nicht retten, dafür ist es zu offensichtlich ein Ablenkungsmanöver", schreiben Miriam Olbrisch und Armin Himmelrath in einem Spiegel-Kommentar.
Rückhalt für Bildungsministerin in der Ampel-Koalition
Koalitionspartner begrüßen dagegen das Vorgehen der Ministerin: Es sei gut, dass sie jetzt "aufklärt und schwerwiegende Konsequenzen zieht", schrieb der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, auf X.
"Nun muss verloren gegangenes Vertrauen zurückerkämpft und sichergestellt werden, dass sich solche Vorgänge nicht wiederholen und Förderentscheidungen so wie bisher ausschließlich wissenschaftsgeleitet sind."
Bauernopfer-Vorwurf auch von anderer Seite
In der Online-Ausgabe der Welt, die wie Bild in der Axel-Springer-Verlagsgruppe erscheint, schreibt Ulf Poschardt, es sei ein "Triumph für die linken Eliten", dass im Bildungsministerium überhaupt personelle Konsequenzen gezogen werden. Er spricht aber ebenfalls von einem Bauernopfer.
Die Spitzenbeamtin Döring habe nur wissen wollen, "welche Antisemitismus-Verharmloser aus dem akademischen Bereich welche Fördergelder erhalten", so Poschardt. Das "Appeasement" der "irgendwie liberalen Philosophin" Döring gegenüber dem "linken Elfenbeinturm" habe sich nicht ausgezahlt.
Gegen die Berichterstattung der Bild sind Beschwerden beim Deutschen Presserat anhängig. Die betroffenen Uni-Lehrkräfte betonen zudem, dass sie sich nicht inhaltlich mit den Forderungen des Protestcamps gemein gemacht, sondern nur eine "dialogische Lösung" bevorzugt hätten.