Mercosur - kein Freihandel ohne Umweltstandards
- Mercosur - kein Freihandel ohne Umweltstandards
- Liegt die grüne Lunge der Erde im Sterben?
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Die weltgrößte Freihandelszone ist vorerst gescheitert. Einer der Hauptgründe ist die Umweltzerstörung am Amazonas
Seit 20 Jahren wird das Abkommen zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay verhandelt. Es sollte für offenere Märkte zwischen Südamerika und Europa sorgen und damit Einfluss auf das Leben von rund 780 Millionen Menschen nehmen. Mit einer Mehrheit von 345 zu 295 stimmten die Abgeordneten im Oktober für einen Änderungsantrag. Damit steht das Abkommen vorläufig vor dem Aus - zumindest in der ursprünglichen Version.
Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten beraten darüber, wie es noch zu retten ist. Mit einem Abschluss des Abkommens noch in diesem Jahr rechne niemand, hieß es am Montag aus Wien, wo man den Deal ablehnt. Im Gespräch seien Zusatzvereinbarungen, die die Vorbehalte einiger Länder aufweichen sollen.
Die Bundesregierung fordert allerdings keine Nachverhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten, berichtet aktuell die Publikation TopAgrar aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion. Demnach würden "Geist und Intention“ der Vereinbarung weiterhin unterstützt. Aufgrund der politischen Bedeutung, der wirtschaftlichen Relevanz und der "verbindlichen Nachhaltigkeitsbestimmungen" sei das Abkommen grundsätzlich im Interesse Deutschlands und der EU.
"Den Klimawandel anheizen"
Der aktuelle Vertrag enthält allerdings keine wirksamen Instrumente, um Vertragsverletzungen zur Reduktion von Treibhausgasen zu ahnden. Wenn mehr Rindfleisch- oder Sojaexporte zu mehr Brandrodungen führen, um noch mehr Weideflächen zu gewinnen, würde dies nicht nur zahllose Arten auslöschen, sondern auch den Klimawandel anheizen, kritisiert Greenpeace-Experte Jürgen Knirsch. Internationale Vereinbarungen müssten aber en Schutz von Mensch und Natur zum Ziel haben.
Svenja Schulze fordert deutliche Nachbesserungen am geplanten Vertrag. So sollten Verstöße gegen Umweltschutzmaßnahmen ähnlich streng sanktioniert werden wie Verstöße gegen die Handelsregeln. Vor allem die großflächigen Waldbrände und Abholzungen im Amazonasgebiet stehen in der Kritik. Es müsse über "verbindliche, umsetzbare, einklagbare Standards" für den Umweltschutz und die Einhaltung der Menschenrechte verhandelt werden, forderte auch Anna Cavazzini, EU-Abgeordnete der Grünen.
Solange Brasilien keine Zusagen zum Schutz des tropischen Regenwaldes mache, werde die EU dem Mercosur-Abkommen nicht zustimmen, bekräftigte der lettische EU-Handelskommissar Vladis Dombrovskis.
Die Mercosur-Staaten mit Brasilien an der Spitze liefern wichtige Agrarrohstoffe in die EU. An der Einfuhr von Rohstoffen für die Lebensmittelindustrie und die Viehwirtschaft sind sie mit 60 Prozent, am Import pflanzlicher Proteine für Futtermittel (vor allem gentechnisch verändertes Soja) mit 80 Prozent beteiligt. Bereits vor etwa einem Jahr hatten französische Bauern in Brüssel gegen einem verstärkten Fleisch-Import aus Brasilien protestiert, weil sie Preiseinbrüche am Fleischmarkt fürchteten - zum Nachteil für Tierhalter in der EU.
Zerstörung indigener Lebensräume, illegale Brandrodungen, nicht genehmigte Holzexporte - das jetzige Abkommen wäre ein Brandbeschleuniger für die Vernichtung der Regenwälder. Europa würde damit nicht nur die fortschreitende Umweltzerstörung, sondern auch die massiven Menschenrechtsverletzungen im Amazonasgebiet legitimieren.
Statt den Freihandel in der Welt voranzutreiben, müsse die EU als Verhandlungspartner Maßstäbe in Bezug auf Menschenrechte und verbindliche Umweltstandards setzen, fordern Umweltschutzorganisationen.
Europa darf kein Markt für Holz aus dubiosen Quellen sein
Wie weit das Land von einer umweltverträglichen nachhaltigen Waldbewirtschaftung entfernt ist, zeigt die desolate Situtaion im Holzhandel. Normalerweise muss die Umweltbehörde Ibama ihre Genehmigung erteilen, wenn Holzexporte den brasilianischen Hafen verlassen. Doch im vergangenen Jahr fehlten die Genehmigungen bei Hunderten von Schiffsladungen mit Tropenholz. Als die Zollbehörden in Europa und den USA die brasilianische Umweltbehörde darüber informierte, habe diese die Exporte nachträglich genehmigt, berichtete die FAZ im März 2020.
Allein im Bundesstaat Pará sollen rund 27.000 Kubikmeter Holz - also mehr als die Hälfte der insgesamt 3.000 Ladungen von 2019 - das Land ohne Erlaubnis verlassen haben. Die Holzlieferungen gingen außer nach Deutschland in die Niederlande, nach Frankreich und nach Belgien. In Pará geht die illegale Waldvernichtung am schnellsten voran: Von Juli 2018 bis Juli 2019 wurden hier mehr als 3800 Quadratkilometer Wald zerstört - eine Fläche, eineinhalb Mal so groß wie das Saarland.
Sind die Holzfäller erstmal in unberührte Gebiete vorgedrungen, machen sich nachfolgende Viehzüchter deren Zugangswege zunutze, um auch den Rest des Waldes zu vernichten. Keinesfalls dürfe der Raubbau an den brasilianischen Regenwäldern mit Rückendeckung der EU weitergehen, forderte Grünen-Politiker Martin Häusling im März 2020.
Auf eine Anfrage der Grünen zu illegalen Holzimporten aus Brasilien und Kontrollen im Holzhandel Deutschlands antwortete die Bundesregierung am 17. September 2020: "Lieferungen aus Brasilien ohne Bewilligung der IBAMA müssen nach aktueller Rechtslage akzeptiert werden." Weiter heißt es:
"Das Fehlen der Bewilligung durch IBAMA sowie die damit einhergehende fehlende Kontrolle selbiger Behörde führt zu einem Anstieg des Risikos für illegalen Holzeinschlag. Eine endgültige Bewertung der neuen Situation in Brasilien auf EU-Ebene steht derzeit noch aus."
Weil Brasilien kein Interesse gezeigt habe, seien vonseiten der EU noch keine Verhandlungen in Hinblick auf ein Freiwilliges Partnerschaftsabkommen zum Handel mit Holz geplant. Nun, da das Abkommen vorerst gescheitert ist, bleibt zu hoffen, dass Brasilien seine Position nochmal überdenkt.
Cerrado - vom globalen Agrobusiness geschluckt?
Während sich die Zerstörung des Amazonas seit dem letzten Jahr verdoppelt hat, ist ein anderer Schauplatz unkontrollierter Zerstörung die Trockensavanne des Cerrado im brasilianischen Nordosten. Sie umfasst zwei Millionen Quadratkilometer und ist Lebensraum von Tausenden endemischen Pflanzenarten und Säugetieren, Hunderter Reptilien- und Amphibienarten sowie von mehr als 800 Vogelarten. Der "auf dem Kopf stehende Wald" speichert mit seinen den Boden durchdringenden Wurzeln gigantische Mengen als Kohlendioxid und reguliert die überregionalen Niederschläge.
Überwachung und Geldstrafen für den illegalen Holzeinschlag sind praktisch ausgesetzt, denn Bolsonaro will die "Entwicklung in der Region vorantreiben". So plant die Regierung in der Region Matopiba, die mit 73 Millionen Hektar etwa zweimal so groß ist wie Deutschland, innerhalb der nächsten zwei Jahre 80 Prozent der gesamten Fläche in Äcker für die Agrarindustrie umzuwandeln.
Dafür wird Land an das Agrobusiness vergeben oder von ihm illegal besetzt. Mit massivem Maschineneinsatz wird Trockenwald gerodet, um Trockenreis, genverändertes Soja oder Eukalyptus zur Produktion von Papier und Pellets anzubauen. Auch Europa deckt seinen Papierbedarf zu einem großen Anteil aus Holz brasilianischer Eukalyptusplantagen.
Für den Anbau der Exportprodukte werden gewaltige Mengen an Pestiziden und Düngemitteln eingesetzt, die unter immensem Energieaufwand in Europa hergestellt werden. Der Einsatz von Chemie sei etwa drei- bis viermal so hoch wie in Europa, berichtet Martin Häusling, der 2017 mit dem Journalisten Christoph Burgmer auf einer zweiwöchigen Erkundungsreise in der Matopiba Region unterwegs war. Zwei Drittel der in Brasilien verwendeten Pflanzenschutzmittel sind in der EU verboten.
Hinter dem Slogan "Entwicklung der Regionen", erklärt der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, stehe eine forcierte Inwertsetzung von angeblich ungenutztem Land. Damit werde auch das Tempo der unkontrollierten Rodungen gerechtfertigt, die bereits zunahmen, lange bevor die unkontrollierten Waldbrände ausgebrochen sind.
Mit der Umwandlung in Ackerland werden erhebliche Mengen an gebundenen Kohlendioxid freigesetzt, mit dramatischen Auswirkungen auf das Weltklima. Ist der Naturraum erst einmal zerstört, bleibt nach einigen Jahren intensiver landwirtschaftlicher Nutzung nur noch Sandwüste übrig.
Pantanal in Gefahr
Das Sumpf- und Naturschutzgebiet Pantanal - seit 2000 Welterbe der Unesco - erstreckt sich von Brasilien über Bolivien bis nach Paraguay. Mit rund 230.000 Quadratkilometer ist es etwa halb so groß wie Deutschland. In einem Labyrinth aus Flussarmen, Feuchtwäldern und Trockenzonen leben neben rund 240 Fisch-, 60 Amphibien- und 100 Reptilienarten auch 650 Vogelspezies, mehr als 120 große Säugetierarten, darunter Jaguare, Tapire und Riesenflussotter sowie mehr als 1.700 Pflanzenarten.
Sechs Monate im Jahr steht das größte Binnenlandfeuchtgebiet der Erde unter Wasser. In dem riesigen Feuchtbiotop wüten jedes Jahr Waldbrände. Doch in diesem Jahr waren sie besonders zerstörerisch. So ist die Zahl der Busch- und Waldbrände im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ein Sechsfaches gestiegen.
Über Satellitenbilder hatte das brasilianische Institut für Weltraumforschung (Inpe) im September mehr als 32.000 Feuer gezählt. Im selben Monat des Vorjahres waren es noch knapp 20.000. Aktuellen Daten der Universität Rio de Janeiro zu Folge sollen mehr als 41.000 Quadratkilometer des Feuchtgebietes in den brasilianischen Bundesstaaten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul zerstört worden sein. Damit sind mindestens 23 Prozent der Fläche dem Feuer zum Opfer gefallen. Inzwischen zog die Umweltbehörde Ibama sämtliche Einheiten zur Bekämpfung der Waldbrände ab. Als Begründung gab sie Geldmangel an.
Eine Ursache der Brände sind die Kleinbauern, die traditionell ihre Äcker abfackeln, um sie für die Aussaat von Soja vorzubereiten oder als Rinderweiden zu nutzen - ohne Rücksicht auf die Trockenheit und oft einfach nur aus Unwissenheit, meint Biologieprofessorin Catia Nunes de Cunha von der Universidade Federal de Mato Grosso.
Von der einst üppig grünen Feuchtlandschaft ist wenig übrig geblieben. Ringsherum verkohlte Flächen und verräucherte Luft, verrusste Bäume und Sträucher. Holzbrücken liegen in Schutt und Asche. Auf den Straßen irren Wildtiere umher, auf der Suche nach Wasser und Nahrung. Freiwillige Helfer bringen verletzte Tiere zu einer Tierstation nach Cuiaba, darunter Jaguare mit verbrannten Pfoten.
Die riesige Menge Asche, die beim ersten Regenfall in die Flüsse gespült wird, vermindert den Sauerstoffgehalt im Wasser. Das wiederum führt zum Tod vieler Fische und Wasserorganismen - wichtige Nahrungsgrundlage für Kaimane oder Jaguare - mit Folgen für den Nahrungskreislauf in der Region.