Merkel öffnet sich für die "Ehe für alle"
Vorher hatten alle ihrer drei möglichen Koalitionspartner die Forderung zur Koalitionsbedingung erklärt
Vor zehn Tagen beschlossen die Grünen, die so genannte "Ehe für alle" zu einer Bedingung für Koalitionsverhandlungen zu machen. Am 24. Juni sprach der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner diese Bedingung gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) auch für die Liberalen aus. Die SPD, der dritte mögliche Koalitionspartner der Union, zog noch am selben Tag nach.
Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte auf die neue Lage und deutete gestern auf einer Veranstaltung der Frauenzeitschrift Brigitte an, in dieser Frage auf den Fraktionszwang zu verzichten und den Abgeordneten im Bundestag die (in der politischen Praxis zur Ausnahme gewordene) Gewissensentscheidung zu erlauben. Der WAZ zufolge hatte sie ihre CDU bereits am Montag über diese Positionsänderung informiert. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kündigte daraufhin an, noch in dieser Woche einen entsprechenden Antrag einzubringen. Dass er eine Merhrheit finden wird, gilt als sehr wahrscheinlich.
Unter der etwas irreführend benannten Forderung "Ehe für alle" verstehen die meisten ihrer Befürworter eine komplette rechtliche Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Zweierbeziehungen, die auf Dauer angelegt und staatlich privilegiert sind. Die Privilegien erstrecken sich unter anderem auf das Steuerrecht, das Versicherungsrecht und das Erbrecht. Dafür nehmen die Partner unterhaltsrechtliche Verpflichtungen (oder, wenn man so will: Nachteile) auf sich.
Relikt einer "nicht gelungenen Säkularisierung"
Bevor sich im 19. Jahrhundert vielerorts der Staat für teilzuständig erklärte war die Regelung solcher Partnerschaften eine Angelegenheit der Religionen. Der ehemalige FDP-Bundesgeschäftsführer Fritz Georgen sieht die Zivilehe, wie es sie aktuell in Deutschland gibt, deshalb als Relikt einer "nicht gelungenen Säkularisierung" und plädiert für eine "wirkliche Trennung" von Staat und Religion, in der dieses Relikt durch ein "öffentliches Register" ersetzt wird, "in dem sich eintragen und austragen kann, wer seinen Partnerschaftsvertrag befristet oder unbefristet für den Verwaltungsweg maßgebend machen will."
Solche Partnerschaftsverträge könnten sich freier gestalten lassen als der aktuell staatlich vorgegebene Einheitsrahmen, der es beispielsweise nicht erlaubt, das 1976 vom SPD-Politiker Peter Glotz eingeführte "Zerrüttungsprinzip" wieder durch das Schuldprinzip zu ersetzen oder Vertragsstrafen für Verstöße wie Ehebruch festzulegen. Solche zivilrechtlich durchsetzbaren Vertragsstrafen könnten potenziell dafür sorgen, dass Parallelstrukturen an Bedeutung verlieren, in denen solche Ansprüche nicht mit dem Rechtsapparat, sondern via Selbst- und Sippenjustiz angedroht und durchgesetzt werden.
Weniger kontrovers als die Rente
Eine Deregulierung der Ehe steht derzeit allerdings weder im Wahlprogramm der FDP, noch in den Broschüren der anderen Parteien, die Chancen haben, in den Bundestag einzuziehen. Sie würde wahrscheinlich stärker polarisieren als die 2017 nur mehr wenig kontroverse Forderung, die staatlich anerkannte Monogamie von Homosexuellen der von Heterosexuellen gleichzustellen. Gleichgeschlechtliche Ehen gibt es inzwischen in den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien, Portugal, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Island, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Mexiko, Südafrika, Neuseeland und mehreren weiteren Staaten.
Selbst im traditionell sehr katholischen Irland, wo aktive Homosexualität bis 1993 unter Strafe stand, entschieden sich in einer Volksabstimmung vor zwei Jahren gut 62 Prozent der Bürger dafür, die Homo-Ehe zu erlauben (vgl. Erster Volksentscheid pro Homo-Ehe). Im ebenfalls katholischen Kolumbien wurde unlängst sogar eine Ehe zwischen drei Männern anerkannt. Das weiß auch Merkel, die nicht eine Debatte über diese "Ehe für alle", sondern Debatten über andere Themen fürchtet - zum Beispiel über die Rente, die ihr verbundenen Medien nach nicht zum Wahlkampfthema werden soll.
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