"Merken Sie eigentlich jenseits Ihrer Blase, dass Sie gerade das letzte Quäntchen Vertrauen verspielen?"

Mediensplitter (38): Ein außergewöhnliches Interview im Deutschlandfunk zeigt die prekäre Lage der Ampel – Protokoll eines Kommunikationsproblems.

Ein vorbildliches Interview im Deutschlandfunk legte am Donnerstagmorgen die akute Lähmung der Ampelkoalition und die politische Schizophrenie des Koalitionspartners Die Grünen offen.

Zugleich ist das elf-minütige Stück ein guter Beleg dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Medien keineswegs so linkslastig und Grünen-freundlich sind, wie Rechtsextremisten und CDU-Populisten ihnen bei jeder Gelegenheit gern unterstellen. Man könnte es an Journalistenschulen als Lehrbeispiel für eine mögliche Kunst der Interviewführung präsentieren.

Am Donnerstagmorgen, einen Tag nach der erpresserischen Verweigerung der Zustimmung der grünen Familienministerin Lisa Paus, zu einem vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck ausgehandelten Wirtschaftspaket, wurde der stellvertretende grüne Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch von Philipp May, Moderator der Informationen am Morgen, regelrecht gegrillt – und zwar überaus angemessen.

Denn Audretsch beantwortete nicht eine Frage des Moderators und flüchtete sich stattdessen immer wieder in Floskeln und Wiederholungen von Allgemeinplätzen, nach denen nicht gefragt worden war.

"Sie lesen jetzt gerade ihren Sprechzettel vor"

Die Hörer wurden Zeugen eines Moderators, der, an den Rand der Verzweiflung getrieben, weil er auf sechs Fragen und sechs Nachfragen nicht eine einzige Antwort bekam, zunehmend ungehalten wurde.

"Okay, Sie wollen die Frage nicht beantworten", hieß es zunächst, dann: "Sie lesen jetzt gerade ihren Sprechzettel vor". Schließlich: "Ganz ehrlich: Merken Sie eigentlich jenseits Ihrer Blase, dass Sie gerade das letzte Quäntchen Vertrauen verspielen mit sowas?"

Der Auftritt des 39-jährigen Audretsch, der seit 2021 im Bundestag sitzt, im grün-lila Westberlin überaus gut vernetzt ist und ein politischer Ziehsohn der grünen Fraktionsvorsitzenden Britta Hasselmann, wirkte vor allem abgehoben und ignorant.

Eine Beleidigung sowohl des Fragestellers wie des Publikums. Man fragte sich, warum Audretsch sich überhaupt in die Sendung schalten ließ.

Floskeln und klassisches Politsprech

Das Gespräch lohnt einen detaillierten Blick, gerade weil sich der grüne Abgeordnete durch seine technokratische Floskelsprache, die statt Inhalten nur beliebig Austauschbares enthielt, selbst entlarvt. Moderator May begann das Interview mit einer Frage nach dem Kabinetts-Veto der Familienministerin: "Was sollte das mit dem Veto?"

Audretsch vermied eine Antwort und flüchtete sich in klassisches Politsprech:

Wir haben doch zwei große Aufgaben: Die eine Aufgabe ist, dass wir jetzt starke Investitionsimpulse für die Wirtschaft auf den Weg bringen. Dazu ist das Wachstumschancengesetz sicher ein wichtiger Schritt. Robert Habeck hat da in den letzten Wochen der Verhandlungen auch wichtige Schritte noch mal nach vorn gemacht.

Das Zweite ist, dass wir investieren in die Zukunft von Kindern in Deutschland. Dass wir Kinder aus der Armut holen, dass wir Kindern eine Perspektive bringen, beides ist gleichermaßen wichtig.

Insofern ist es auch gut, dass beides jetzt im Kabinett gemeinsam beraten wird, und dann wird man gegen Ende des Monats auch sehen, wie wir mit beiden Punkten gute Fortschritte machen können.

Andreas Audretsch

May hakte nach und erinnerte an seine Frage: "Aber das Veto – das ist ja meine Frage – da ging es schon um die Kindergrundsicherung?"

Audretsch antwortet mit der Beschreibung der Aufgaben des Bundesfamilienministeriums und verweist auf den Brief des Bundeskanzlers. Er behauptet, ein ministerieller Gesetzentwurf liege vor – obwohl der tatsächlich nicht da ist.

Zickiger grüner Politiker auf Autopilot

Dritte Frage: "Was hat das mit dem Entlastungspaket von Christian Lindner zu tun, ganz konkret?"

Dritte Antwort, wieder unverbindliche Allgemeinplätze:

Wir haben zwei Fragen: Wir haben zum einen die Frage der Kindergrundsicherung, wir haben zum anderen die Frage der Wirtschaft. Und bei der Wirtschaft gibt es Beratungsbedarf. Robert Habeck hat in den letzten Wochen sehr viel vorangebracht ...

Andreas Audretsch

Jetzt unterbricht Philipp May, ein preisgekrönter Moderator, zum ersten Mal das gestanzte Gerede des Politikers mitten im Satz:

Entschuldigung, das war ja nicht meine Frage. Meine Frage war: "Was hat die Kindergrundsicherung und das Veto von Lisa Paus mit dem Entlastungspaket, dem sogenannten Wachstumschancengesetz von Christian Lindner zu tun?"

Philipp May

Fortsetzung der Antwort:

Ich halte nichts davon, dass wir diese zwei Sachen gegeneinander diskutieren, das ist nicht der richtige Weg ...

Andreas Audretsch

Zum zweiten Mal unterbricht der Moderator:

Aber genau das passiert doch wegen des Vetos von Lisa Paus, die das ja ganz offensichtlich miteinander verknüpft.

Philipp May

Und so geht es weiter: Audretsch wird zunehmend zickig und schaltet auf Autopilot. Er redet weiter über alles Mögliche und um die Frage herum - er redet von Beratungsbedarf, er redet von "wichtigen Schritten", er redet von China und den USA, von Klimatechnologien und Wasserstoffwirtschaft, er zählt alle grünen Techniken auf, um Zeit zu gewinnen, und mündet ein in die Frage:

Wollen wir in Zukunft diese Investitionen auch in Deutschland haben?

Andreas Audretsch

Da versucht der Moderator zum dritten Mal zu unterbrechen, worauf Audretsch mit heller Stimme erregt darauf beharrt:

Ich erkläre Ihnen gerade den Zusammenhang.

Andreas Audretsch

Immer wieder redet er nur über Wirtschaft und Investitionen und Anreize, er redet aber nie vom Veto. Dafür erklärt er "die Klausur in Meseberg findet Ende des Monats statt".