Wirtschaft oder Sozialstaat: Am Mittwoch will sich die Ampel entscheiden
"Wachstumschancengesetz" soll Wirtschaft ankurbeln. Doch das Familienministerium blockiert. Welche Bedeutung hat der Sozialstaat für die Ampel noch?
Am Mittwoch soll das sogenannte Wachstumschancengesetz vom Bundeskabinett verabschiedet werden. Es soll Impulse geben, damit Unternehmen mehr investieren und wettbewerbsfähig bleiben.
Ob es am Mittwoch tatsächlich zur Abstimmung kommt, ist derzeit allerdings fraglich. Das von Lisa Paus (Grüne) geführte Familienministerium habe einen Leitungsvorbehalt eingelegt, berichtete das Handelsblatt am Dienstag.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) will mit dem "Wachstumschancengesetz" die Wirtschaft um rund sechs Milliarden Euro entlasten. Lisa Paus hält diese Summe für zu hoch und hat deshalb ihr Veto eingelegt. Die Familienministerin will damit erreichen, dass auch mehr Geld für die Kindergrundsicherung zur Verfügung steht.
Der Streit zwischen Lindner und Paus belastet nicht nur das Verhältnis zwischen SPD, Grünen und Liberalen. Auch unter den grünen Regierungsmitgliedern könnte es zu Verstimmungen kommen.
Nach Informationen des Handelsblatts hat das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium dem Gesetz bereits zugestimmt. Dort habe man sich über das Veto aus dem Familienministerium verwundert gezeigt.
"Es wäre wirklich absurd, wenn die Familienministerin ein Gesetz blockieren könnte, das die Wirtschaft dringend erwartet und dem ihr eigener Wirtschaftsminister intern bereits zugestimmt hat", wird ein Regierungsvertreter zitiert.
Ein anderer Regierungsvertreter wird mit den Worten wiedergegeben, dass man nicht Geld für Soziales gegen Mittel aufrechnen dürfe, "die unsere Wirtschaftskraft erhalten".
Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen. Coronapandemie, Energiekrise, verstärkte Aufrüstung und Hilfszahlungen an die Ukraine belasten die Staatskasse. Gleichzeitig soll die Schuldenbremse bald wieder eingehalten werden. Lindner hatte deshalb alle Ressorts außer dem Verteidigungsministerium zum Sparen aufgefordert.
So wurde auch bei der Kindergrundsicherung, einem Projekt von Lisa Paus, der Rotstift angesetzt. Ihre ursprüngliche Schätzung zur Finanzierung der Reform lag bei zwölf Milliarden Euro pro Jahr.
Diese Summe wurde von Lindner abgelehnt. Als Kompromiss sind derzeit zwei Milliarden Euro als Platzhalter in der Finanzplanung für das Jahr 2025 vorgesehen, obwohl Paus zuletzt von zwei bis sieben Milliarden Euro ausgegangen war.
Aber auch diese Summe dürfte kaum ausreichen, um Kinder vor Armut und sozialer Ausgrenzung zu schützen. So rechnet der Sozialverband VdK mit bis zu 24 Milliarden Euro jährlich, um eine umfassende Kindergrundsicherung zu gewährleisten.
Verbandspräsidentin Verena Bentele sieht eine höhere Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften als mögliche Gegenfinanzierung und fordert eine automatische Auszahlung der Kindergrundsicherung.
Unterstützung erhält Paus auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). DGB-Vize Anja Piel appellierte im Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag) an Lindner und die gesamte Ampel-Koalition, die Kindergrundsicherung umzusetzen. Sie betonte, dass die FDP, aber auch die anderen Koalitionspartner einschließlich Bundeskanzler Scholz in der Verantwortung stünden, aus den bisherigen Plänen ein wirksames Gesetz zu machen.
Ein weiterer Streitpunkt ist das sogenannte Teilhabepaket. Die monatlichen 15 Euro sollen nach Piels Vorstellungen in die Kindergrundsicherung integriert werden. Laut Piel kommt die Unterstützung, etwa für Sportvereine oder Ferienfreizeiten, nur bei jedem sechsten anspruchsberechtigten Kind an. Die Sorge, dass Eltern das Geld aus der Kindergrundsicherung zweckentfremden würden, sei ebenso vorurteilsbeladen wie unbegründet.
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