Merkwürdige VIP-Aktivitäten
Bin Laden in US-Gewahrsam?
Es gibt Wörter und Namen, die auf einmal "Möglichkeiten eröffnen", wenn er sie in ein paar Leute hineinspräche, meinte der österreichische Dramatiker Thomas Bernhard; "Afghanistan" sei z.B. so ein Wort. Und "Osama Bin Laden" ist so ein Name. Das weiß US-Präsident Bush sehr gut: Die Frühjahrs-Order, den Chef der Schurken bald möglichst zu schnappen, kommt beim Publikum an und könnte für eine Peripetie bei den Popularitätsmarken sorgen. Dass man nur "Bin Laden ist gefangen" rufen muss, um eine weltweites Echo auszulösen, wissen auch Journalisten. Einer hat's getan und weil es einem iranischen Radiosender ganz plausibel erschien, dass der Fang zunächst geheimgehalten wird, bis er ins Timing des Bushschen Wahlkampfes passt, sprach man die Meldung frei ins Publikum hinein.
Iranische Nachrichtenquellen sind obskur; sie haben exotischen Status. Weswegen ihnen ein Reiz zukommt, vor allem wenn es um Ereignisse in der geheimnisumwitterten islamischen VIP-Szene geht. So sorgte eine Nachricht an diesem Wochenende, wonach "Bin Laden" von US-Truppen gefangen genommen wurde und zwar "seit längerer Zeit", für einigen Wirbel, zumal sie mit dem plausiblen Argument gewürzt wurde, dass die Sache vorerst geheim gehalten würde, weil die amerikanische Regierung warten wolle, bis die Meldung einen entsprechenden dramaturgischen Effekt auf die Wählergemeinde hätte.
Da in der Woche zuvor englische Zeitungen darüber berichtet hatten, dass Bin Laden so gut wie eingekreist in den Bergen nördlich von der pakistanischen Stadt Quetta festsitzen würde und die neueste militärische Aktion "Hammer und Amboss" von pakistanischen Einheiten im Grenzgebiet und amerikanischen in Afghanistan den lang Gesuchten in eine Zwangslage bringen würde, der er nicht ausweichen könne, hatte die Meldung einen glaubwürdige Einleitung bekommen, weswegen sie schnell in alle Welt verbreitet wurde (vgl. hier).
Wie sich jetzt herausstellt, wurde das sensationelle, neue Kapitel aus der "Jagd auf den Terroristen in weißen Bettlaken" (Bill Clinton) von iranischen Rundfunkjournalisten in Zusammenarbeit mit einer pakistanischen Quelle aus Peshawar gestrickt. Der Mann aus Peshawar, wo gerne mal neue - und sensationelle - Meldungen zu Bin Laden erzählt werden (vgl. "Ich gebe den Durstigen einen tiefen Schluck"), gab bei einem Interview mit dem iranischen Radio zu verstehen, dass "Bin Laden möglicherweise gefangen genommen wurde", weil er (der Journalist, Anm. d. A.) einige "VIP Aktionen in der fraglichen Region ausgemacht" habe. Der iranische Rundfunksender habe ihn falsch verstanden und eine "große Story" daraus gemacht, die für "Schlagzeilen auf der ganzen Welt " sorgte.
Ganz sicher, tönte der amerikanische Militärssprecher Col. Brian Hilferty Ende Januar, werde man Osama Bin Laden dieses Jahr fassen. Wenn die Bin Laden-Story kein Karl May-Fortsetzungsroman ist, sondern eher in der Tradition der besessenen Jagd auf "Moby Dick" steht, gibt es noch einige Hoffnung für die Task Force 101 (die ja schon Saddam Hussein geschnappt haben soll): bevor es zum Kampf mit dem Weißen Wal kam, hatten die Späher im Topp nächtelang einen ominösen Geisterstrahl gesehen. Schließlich fanden sie ihn tatsächlich. Vielleicht kommt es in der neuen Auflage zu einem besseren Ende für die Jäger.