Microsoft-Prozess: Chronologie eines Machtmissbrauchs

Richter Jackson bezeichnet in seiner abschließenden Tatsachenfeststellung Microsofts Argumente als "fadenscheinig".

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Die gestern veröffentlichte Tatsachenfeststellung von Richter Thomas Penfield Jackson in dem Antitrust-Verfahren gegen Microsoft widerspricht deren Argumentation in praktisch allen Punkten. Urteil ist damit noch keines gesprochen, dieses ist erst in einigen Wochen zu erwarten. Doch die in dem 207 Seiten langem Dokument erhobenen Vorwürfe weisen zumindest in eine klare Richtung.

MS hätte seine Marktstellung missbraucht, Konkurrenten Schaden zugefügt, Innovation behindert und dem Verbraucher Nachteile gebracht, sagte der Richter. Nach den Regeln eines Antitrust-Verfahrens ist die Feststellung wichtig, dass MS tatsächlich ein Monopol innehabe. Drei Gründe werden genannt, weshalb MS sich einer Monopolstellung erfreuen könne. Erstens sei Microsofts Anteil am Markt für Betriebssysteme für Intel-kompatible Computer extrem hoch und stabil. Zweitens werde dieser Marktanteil durch eine sehr hohe Eintrittsbarriere für potentielle Konkurrenten geschützt. Drittens gebe es für Microsoft-Kunden keine wirtschaftliche Alternative zu Windows.

Ein Monopol zu haben, ist zwar nicht illegal, wohl aber es einzusetzen, um die Dominanz zu erhalten oder auf neue Gebiete auszuweiten. Microsoft hatte in seiner Verteidigung große Anstrengungen darauf gelegt zu beweisen, dass das Unternehmen kein Monopol besitze. Der Richter sieht in neuen Technologien wie Palmtops, Netzwerk-Computern und alternativen Betriebssystemen wie BeOS und Linux zwar ein Potential für einen Paradigmenwechsel in der Computertechnologie (was eine mögliche Bedrohung des Microsoft-Monopols impliziert), doch sei echte Konkurrenz noch in sehr weiter Ferne.

Auch der Behauptung Microsofts, die Bündelung von Win95 und Win98 mit dem Internet Explorer (IE) wäre nur zum Besten der Konsumenten, wird widersprochen. Web-Browser und Betriebssysteme sind verschiedene Produkte, schreibt Richter Jackson, es gebe keinen technischen Grund, warum es keine vorinstallierten Windows-Betriebssysteme ohne Browser geben könne. Dem Nutzer wird durch die Bündelung sogar geschadet, da die Rechner dadurch verlangsamt werden und Kunden, die gar keinen Browser oder einen andern wollen, sich die Mühe der De-Installation machen müssen. Selbst wenn der Browser de-installiert wurde, würde sich IE in manchen Situationen selbst öffnen.

Ausführlich wird dargelegt, wie MS auf große OEMs wie Gateway, Compaq, IBM u.a. Druck ausgeübt habe, dem IE als Default-Browser in Windows-Installationen den Vorzug zu geben. Apple wurde damit gedroht, die MAC-Version von MS Office nicht mehr weiterzuentwickeln, falls nicht die neueste Version des IE in allen Updates des MAC OS enthalten ist. In einem nahezu endlosen Sündenregister wird ausgeführt, an welchen Schlüsselpositionen MS seine Macht eingesetzt hatte, um den Marktanteil des IE auszuweiten. Zunächst wurde versucht, mit Netscape einen Deal zu schließen, um sich den Browser-Markt aufzuteilen. Als dies scheiterte, wurde dem Navigator-Hersteller das Leben so schwer wie möglich gemacht. OEMs, Zugangs- und Contentprovidern wurden für die Unterstützung des IE entweder Vergünstigungen wie z.B. besondere technische Unterstützung und Marketing-Allianzen versprochen, oder es wurde mit dem für den Wettbewerb so entscheidenden Entzug derartiger Kooperationsbereitschaft gedroht. Im Zweifelsfalle wurde immer wieder das Betriebssystem, an dem niemand vorbeikommt, als Trumpfkarte eingesetzt. So erhielt IBM Win95 erst Wochen später und zu einem teureren Preis als vergleichbare OEMs aus Strafe für IBMs Bemühungen, die Lotus Smartsuite als ernsthaften Konkurrenten zu MS Office zu etablieren.

Richter Jacksons Tatsachenfeststellung enthält eine Reihe von Erkenntnissen über das Funktionieren des Software-Marktes und wie dessen Gesetzmäßigkeiten Microsoft bisher zugute gekommen sind. Der hohe Verbreitungsgrad von Windows erzeugt in einer Rückkopplungsschleife einen sogenannten "positiven Netzwerkeffekt". Da Windows auf so vielen Maschinen läuft, ist es für Software-Entwickler wirtschaftlich sinnvoller, Windows-kompatible Anwendungen zu entwickeln, anstatt Programme für andere Betriebssysteme zu schreiben. Da es für Windows inzwischen so viel Software für praktisch jede erdenkliche Anwendung gibt, erscheint es für Computerkäufer sinnvoll, einen PC mit vorinstalliertem Windows zu erwerben. Durch diesen Kreislauf kann Windows nur immer weiter gewinnen, außer das Paradigma der Computerwelt verändert sich.

Sogenannte "Middleware" wie die Kombination von Netscapes Navigator und Suns Java könnte eine solche Veränderung der Computerlandschaft insgesamt auslösen. Deshalb geht es für MS im sogenannten Browser-Krieg nicht um den Web-Browser allein, sondern auch darum, die Eintrittsbarriere für Konkurrenten möglichst hoch zu halten. Durch einen hohen Verbreitungsgrat des IE wird auch die Stellung von Windows verteidigt, weil damit die Verbreitung betriebssystemunabhängiger, Browser-gestützter Technologien unterbunden wird. Und mit einem dominierenden IE käme auch wieder besagter positiver Netzwerkeffekt in Gang, weil dann Entwickler bevorzugt Anwendungen für den IE schreiben und Content Provider für den IE optimierte Pages kreieren werden. Der Richter beschreibt auch, wie Java und andere plattformunabhängige Software-Technologien durch proprietäre MS-Entwicklungen unterminiert wurden. Selbst bei weniger wichtigen Standardfragen im Multimediabereich (Quicktime) oder bezüglich Live-Streaming von Audio über das Internet (RealAudio) bekamen die entsprechenden Anbieter Microsofts Streben, den jeweiligen Standard innezuhaben, mit aller Vehemenz zu spüren.

So kommt der Richter im letzten Absatz zu folgenden Schlüssen: "Am schädlichsten ist die Botschaft, welche Microsofts Handlungen an alle Unternehmen ausgesandt haben, die ein Potential zur Innovation in der Computerindustrie aufweisen. Durch ihr Verhalten gegenüber Netscape, IBM, Compaq, Intel und anderen hat MS demonstriert, dass das Unternehmen seine Marktdominanz und seine riesigen Profite nutzen wird, um jeder Firma zu schaden, die darauf besteht, Initiativen weiterzuverfolgen, die zu einer Verschärfung des Wettbewerbs in einem von Microsofts Kernbereichen führen könnten." Er vertritt die Ansicht, dass durch Microsofts Verhalten Investitionen in die Computerindustrie behindert werden. Und der hammerharte Schlusssatz lautet: "Das Endergebnis all dessen ist, dass einige Innovationen, die den Konsumenten zugute kommen könnten, aus dem einzigen Grund nicht stattfinden, weil sie mit Microsofts Eigeninteresse nicht übereinstimmen."

Zu welchem Urteil diese Tatsachenfeststellung nun tatsächlich führt, ist noch offen. Wie nicht anders zu erwarten, sind Bill Gates und seine Mitstreiter in den oberen Führungsetagen ganz anderer Ansicht als Richter Jackson und haben bereits angekündigt, bei einem negativen Urteil auf jeden Fall in Berufung zu gehen. US-Beobachter bezeichnen es als ungewöhnlich, dass Tatsachenfeststellung und Urteilsspruch nicht gleichzeitig erfolgen und werten diesen Schachzug als Indiz, dass Richter Thomas Penfield Jackson den Parteien Zeit für einen möglichen Vergleichsschluss geben will. Das jubilierende Justizministerium und die 19 Nebenkläger ließen allerdings noch keine Vergleichsabsichten durchsickern. Wie auch immer das Urteil aussehen wird, so erscheint es immer wahrscheinlicher, dass das Verfahren großen Einfluss auf die Zukunft der Computertechnologie haben wird.

Nebenbei: Ob Bill Gates dennoch als der reichste Mensch auch der glücklichste ist, kann man sich angesichts einer eben veröffentlichten Untersuchung von zwei Ökonomen fragen, die behaupten, dass Geld glücklich macht - oder so etwas in der Art.