Mikrochip und Überwachung
Herzlich Willkommen im coolen Neototalitarismus der Gegenwart
Besonders erschreckend ist die Selbstverständlichkeit, mit der all das seitens der Informationsindustrie und seitens der modernen Untertanen, die von den eigenen Ketten begeistert sind, präsentiert und zelebriert wird. Der Sklave aller Sklaven ist der, dem nicht bewusst ist, ein solcher zu sein.
Die liberale Vulgata sättigt weiterhin den Raum des Symbolischen mit der großen selbstbeweihräuchernden Erzählung unserer Gesellschaft als freie Demokratie, die den verabscheuungswürdigen roten und schwarzen Totalitarismen des kurzen 20. Jahrhunderts entgegengesetzt wird. Währenddessen nimmt jedoch diese sogenannte Gesellschaft der freien Demokratie Tag für Tag selbst immer deutlichere totalitaristische Züge an. Und das in einem solchen Maße, dass wir vielleicht, ohne Übertreibung und abseits der gläsernen Schaubühne der großen Erzählungen, den Mut haben sollten, klar und deutlich die Behauptung zu verfechten, dass der Totalitarismus erst heute in vollem Umfang seine Verwirklichung erlebt.
Die Zelebration der Ketten
Eine Fundierung dieser Schlussfolgerung finden wir heute auch bezüglich der Frage der subkutanen Mikrochips, die in verschiedenen Teilen der Welt jüngstens eingeführt worden sind. Natürlich als strikt "liberal" etikettiert sind sie in die Kreisläufe der Free-Market-Democracy eingeschaltet worden. Unter jenen Teilen der Welt stechen, selbstredend, die Vereinigten Staaten von Amerika hervor, Sternenbanner-Vorposten der Globalisierung der freien Marktwirtschaft inklusive permanenter Liberalisierung der Verbräuche und der Bräuche.
Aber noch erschreckender als die neototalitaristische Apparatur der panoptischen Überwachung an sich (Mikrochip, 24-Stunden-Videoüberwachung etc.) ist die Selbstverständlichkeit, mit der all das seitens der Informationsindustrie und seitens der modernen Untertanen, die von ihren Ketten begeistert sind, erlebt, präsentiert und zelebriert wird. Der Sklave aller Sklaven ist der, dem das Bewusstsein fehlt, ein solcher zu sein.
Diese totale und totalisierende Kontrolle lässt die roten und schwarzen Totalitarismen der Vergangenheit im Vergleich zu dem glamourösen liberal-libertären Neototalitarismus des grenzenlosen Technokapitalismus der Gegenwart sogar dilettantisch erscheinen.
Die Norm des "Panoptismus" (Foucault) als politische Technik der allumfassenden und kontinuierlichen Überwachung repliziert nicht sic et simpliciter das archaische Prinzip der Überwachung und das des "Auges des Herrschers". Ganz im Gegenteil realisiert sie die Inkraftsetzung der neuen Regel der individualisierenden Kontrolle ohne räumliche noch zeitliche Unterbrechungen der gesamten Gesellschaft.
Eine totale und totalisierende Kontrolle, die die roten und schwarzen Totalitarismen der Vergangenheit im Vergleich zu diesem glamourösen liberal-libertären Neototalitarismus des grenzenlosen Technokapitalismus der Gegenwart sogar dilettantisch erscheinen lässt.
Von der Disziplinierung zur Kontrolle
In die neue panoptischen Strukturierung des flüssigen und flexiblen Kapitals, die den vollendeten Übergang - um es mit den Worten des Deleuze zu sagen - von einer "Disziplinargesellschaft" hin zu einer "Kontrollgesellschaft" einläutet, lassen sich die eben erwähnten Prozesse der Individualisierung einschreiben, die mit dem Instrument des subkutanen Mikrochips ihren Höhepunkt erreichen.
Diese Prozesse erzeugen eine Kondition mit starken Analogien zu der, die von Bentham bezüglich des Konstruktionsprinzips des Panopticons und dessen Gefängniszellen evoziert wurde. Zellen, in denen die einzelnen Gefangenen eingeschlossen sind, ohne jeglichen Kontakt miteinander zu haben: Das allerdings mit dem erschwerenden Umstand, dass die neuen "Gefangenen" der Konsumgesellschaft nicht einmal mehr das unterdrückende Spezifikum der eigenen Gefangenschaft wahrnehmen und sie viel zu häufig als die einzig möglichen Freiheit wahrnehmen. Herzlich willkommen im Zeitalter des trendy und coolen Neototalitarismus!
Übersetzung: Patrizia Herget
Diego Fusaro lehrt Philosophie an der Mailänder Universität. In seinen Büchern beschreibt er die Widersprüche des Systems und des Lebens des postmodernen Menschen. Fusaro betreibt die Website filosofico.net.