Militärische Klänge
Die Bundeswehr versucht, mit Unterstützung einer Baden-Württembergischen Kreisstadt einen jährlichen Musikwettbewerb zu etablieren und stößt dabei nicht nur auf Zustimmung
Musik spielt im Militär seit jeher eine große Rolle – schon in der Antike entstand die erste Militärmusik und noch heute wird jeder Staatsgast mit militärischen Klängen empfangen. Die Bundeswehr unterhält heute 18 Musikkorps die jährlich über 3.000 „Einsätze“ durchführen – davon in diesem Jahr über 1.300 außerhalb militärischer Liegenschaften. Musik ist „ein besonders attraktives Mittel der Öffentlichkeitsarbeit: Musik geht unter Umgehung des Verstandes direkt ins Gemüt und schafft ein positives Klima“, stellte der Reservistenverband der Bundeswehr in seinem Veranstaltungs- und Organisationshandbuch für den „Tag der Reservisten“ 2008 klar.
Um Nachwuchs für die Militärorchester - und auch darüber hinaus - zu gewinnen, veranstaltet die Bundeswehr im November zum vierten Mal das Jugendevent „Bw-Musix“. Kritiker werfen der Bundeswehr vor mithilfe des Events Minderjährige für den Dienst an der Waffe rekrutieren zu wollen - die austragende Kreisstadt Balingen unterstütze das Vorgehen.
Rund 800 Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren nahmen an den ersten „Bw-Musix“ im Jahr 2003 in der Luitpold-Kaserne in Dillingen an der Donau teil (vgl. Bundeswehr sucht den Superstar). 34 Schülerbands, 9 Disc-Jockeys und 11 Jugendblasorchester waren an dem „grandiosen Musikwochenende“ dabei, berichtet die Bundeswehr-Zeitung aktuell. In der Jury saßen Moderatoren zweier großer Musikfernsehsender und neben dem Wettbewerb wurde ordentlich gefeiert: „Dank einer Schaltung von Radio Andernach [dem Radio-Sender der Bundeswehr] wurde die Party live sogar in die Einsatzgebiete nach Bosnien-Herzegowina, in das Kosovo und nach Afghanistan übertragen“, erfreuten sich die Militärs.
Im Rahmen des „Deutschen Musikfestes“ fanden 2007 in Würzburg die zweiten „Bw-Musix“ statt – diesmal jedoch ohne moderne Klänge von DJs und Schülerbands. Diesmal nahmen 12 Jugendblasorchester an dem Militärspektakel teil. Die Ankündigung, den Wettbewerb von nun an jährlich durchzuführen, machten die Militärs wahr. Schon im November 2008 spielten 1.300 Jugendliche und auch Kinder bei „Bw-Musix“ auf. Die 22 Orchester spielten im Rahmen der internationalen Musik-Expo „MyMusic“ auf der Bundeswehr-Veranstaltung. Auch 2009 sollen die „Bw-Musix“ wieder stattfinden. Die Kreisstadt Balingen in Baden-Württemberg bietet der Armee ein Forum – nicht ohne Protest.
In der Stadt tobt ein handfester Streit über den Sinn des Militärmusik-Spektakels. Zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer der städtischen Jugendmusikschule protestierten im Frühjahr in einem gemeinsamen Brief an die Stadt, als das Logo der Bundeswehr-Veranstaltung samt Informationsblättern, Anmeldebogen und Wettbewerbsordnung auf der Website der Balinger Musikschule prangte. „Wir befürchten, dass Jugendliche für den Militärdienst umworben werden“, erklärte dazu eine Balinger Musikschullehrerin, die den Protest mitorganisiert. Schon beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ habe die Bundeswehr um Minderjährige geworben. Auch die Baden-Württembergische Fachgruppe Musik in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nahm im Juli in einem Brief an den Balinger-Oberbürgermeister Reitemann und den Gemeinderat Stellung: „Werbeaktionen der Bundeswehr dürfen an Jugendmusikschulen, an denen Minderjährige, Kinder und Jugendliche unterrichtet werden, keinen Raum einnehmen.“
Mittlerweile ist das „Bw-Musix“-Logo wieder von der Website der Jugendmusikschule verschwunden. Dafür prangt es jetzt – ebenso wie die Informationsblätter und die anderen Formulare - auf der wohl noch öfter besuchten Website der Stadt Balingen. Die Stadt macht aber nicht nur Werbung für die Olivgrünen, sondern stellt für die „Bw-Musix 2009“ ein ganzes Messegelände sowie einen Proberaum zur Verfügung. Im Vordergrund der Veranstaltung stehe „der Wettbewerb der Jugendblasorchester sowie eine Musikinstrumentenmesse“, teilte der konservative Oberbürgermeister Balingens mit. „Gezielte Nachwuchswerbung“ werde es nicht geben, es werde „auch niemand gezielt angesprochen“, so Reitemann.
In einem Anfang Juni erschienenen Artikel der Balinger Lokalzeitung „Schwarzwälder Bote“ hört sich dies von Seiten der Bundeswehr jedoch differenzierter an:
Bei Workshops, Konzerten und Ausstellungen in den Gewerblichen Schulen könnten die Besucher ausgiebig schnuppern, stöbern und Instrumente ausprobieren. Dass die Bundeswehr dabei auch Nachwuchs gewinnen möchte, hält [Militärmusik-Dezernent] Langendorf für selbstverständlich. „Wir möchten uns als Arbeitgeber präsentieren“, verteidigt er die Idee, auch allgemeine Info-Stände aufzustellen.
Auch Stabsfeldwebel Dirk Freutel vom veranstaltenden Bundeswehr „Zentrum für Nachwuchsgewinnung“ gab zu den „Bw-Musix 2009“ auf Nachfrage Auskunft. Ziel sei es, das „sich die Vereine im Wettbewerb messen können und natürlich auch, dass wir [die Bundeswehr-Veranstalter] sehen wo es geeignetes Potential für uns gibt“, das müsse man ganz klar sagen, betonte der Stabsfeldwebel. Schon im Bericht über die Bw-Musix 2008 spricht die Armee ungewöhnlich offen über die Intention des Events: „Aus Sicht der Bundeswehr sind natürlich auch die Öffentlichkeits- und Nachwuchsarbeit Gründe für diesen Wettbewerb: 'Wir wollen unaufdringlich mitteilen, dass die Bundeswehr berufliche Möglichkeiten in vielen Bereichen bietet – vor allem auch im Militärmusikdienst der Bundeswehr'“, zitierte die Bundeswehr-Presseabteilung damals den Leiter des Militärmusikdienstes, Oberst Dr. Michael Schramm.
So kann es denn auch für die Kinder und Jugendlichen die während der „Bw-Musix 2009“ in 22-Orchestern gegeneinander antreten riskant werden, wenn sie sich auf die Bundeswehr einlassen: Junge Musiker die in die Armee eintreten müssen die gleiche militärische Grundausbildung durchlaufen wie alle anderen Soldaten und neben dem Instrument die Waffe in die Hand nehmen: „Kampfeinsätze haben die aber nicht“, beschwichtigt Stabsfeldwebel Freutel. Allerdings könne es vorkommen, dass die Militärmusiker für Konzerte zur Truppenbetreuung ins Ausland geschickt würden – auch nach Afghanistan.