Militärische Klimapolitik in Brüssel
Die EU will ihre Streitkräfte ausbauen, um sich gegen Umweltkatastrophen zu wappnen und für Energiesicherheit zu sorgen
Manchmal sind es unscheinbare Meldungen, die Sicherheitsstrategen aufhorchen lassen. Vor wenigen Tagen berichtete die türkische Tageszeitung Today's Zaman über bevorstehende Stromsperren in dem Bosporus-Staat. Die anhaltende Dürre in der Türkei habe die Funktion der Wasserkraftwerke massiv eingeschränkt, hieß es in dem Bericht. Bei Sicherheitspolitikern in der EU werden solche Nachrichten aufmerksam verfolgt. Denn der Klimawandel wird in Brüssel inzwischen als eine der größten Gefahren für die öffentliche Ordnung auf dem eigenen Territorium gesehen. In strategischen Überlegungen wird das Problem des Klimawandels inzwischen immer öfter in einem Atemzug mit dem Ziel der Energiesicherheit genannt. Die Folge: Umweltschutz und Klimapolitik wird unwillkürlich zum Bestandteil sicherheitspolitischer Überlegungen - und damit auch zu einem Faktor militärischer Szenarien.
"Ein wirksamer, voll funktionsfähiger und vernetzter Energiebinnenmarkt", hieß es in den Schlussfolgerungen des EU-Vorsitzes noch Mitte März, "ist eine entscheidende Voraussetzung für eine sichere, nachhaltige und wettbewerbsfähige Energieversorgung in Europa."
Nachdrücklich forderte der EU-Rat die 27 Mitgliedsstaaten während seiner Tagung in Brüssel dazu auf, den Binnenmarkt für Gas und Elektrizität auszubauen. In dem Abschlussdokument wird zudem die "Fortentwicklung der externen Dimension der Energiepolitik für Europa 2007-2009" angesprochen. Anfang kommenden Jahres müsse der EU-Rat die Strategie vor allem in Hinblick auf zwei Themen überprüfen: Versorgungssicherheit und externe Energiepolitik.
Scheinbar willkürlich wird in den Ratsschlussfolgerungen auch ein Bericht über die Auswirkungen des Klimawandels auf die internationale Sicherheit erwähnt. Das entsprechende Papier war von dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, sowie der EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner Anfang März vorgelegt worden. Die beiden Autoren beweisen damit vor allem: Die Vermengung von Klima- Sicherheits- und Energiepolitik hat System. Der Rat forderte beide nun auf, bis "spätestens Dezember 2008 Empfehlungen für geeignete Folgemaßnahmen vorzulegen".
Mit dem Militär gegen Migrantenströme
Sicherheitspolitisch betrachtet sei der Klimawandel nichts als ein "Bedrohungsmultiplikator, der bestehende Tendenzen, Spannungen und Instabilität noch verschlimmert", schreiben die beiden hochrangigen Autoren der Analyse mit dem Titel "Klimawandel und internationale Sicherheit". Solana und Ferrero-Waldner rekurrieren zunächst auf humanitäre Katastrophen durch Dürren oder Überschwemmungen. Eine Zunahme solcher verheerender Klimaphänomene würde die Migration etwa aus Afrika in die EU in einem derartigen Maß ansteigen lassen, dass gesellschaftliche Probleme in den Unionsstaaten entstehen würden.
"Es geht auch um politische Risiken und Sicherheitsrisiken, die europäische Interessen unmittelbar berühren", heißt es daher bereits in der Einleitung, die den Trend der Studie andeutet: Es müsse der Frage nachgegangen werden, "wie das gesamte Spektrum der EU-Instrumente" genutzt werden kann. Die Konzepte der Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden ausdrücklich eingeschlossen. Was bedeutet: Gesellschaftliche Folgen von Klimakatastrophen werden dann zum sicherheitspolitischen (also militärischen) Problem der EU, wenn die betroffenen Staaten mit den Folgen nicht mehr fertig werden.
Nahtlos verbinden die EU-Politiker Javier Solana und Benita Ferrero-Waldner die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels mit der Ressourcenfrage. Wasserknappheit etwa berge "Unruhepotential und kann selbst in robusten Wirtschaftssystemen zu signifikanten wirtschaftlichen Einbußen führen". Gerade im Nahen und Mittleren Osten könnten sich die "bestehenden Spannungen bezüglich des Wasserzugangs (…) verschärfen, was weitere politische Instabilität mit negativen Auswirkungen für die Energiesicherheit Europas und andere europäische Interessen zur Folge hätte".
Obwohl der Zugriff auf Wasserressourcen nur mittelbar und in denjenigen Staaten mit der Energiesicherheit verbunden ist, die über hydroelektrische Kraftwerke verfügen, schließen Solana und Ferrero-Waldner die Energieversorgung in ihre sicherheitspolitischen Überlegungen ein.
Wettlauf um Ressourcen als Teil der Sicherheitspolitik
Einer der signifikantesten potenziellen Konflikte entstehe "aus dem verstärkten Ringen um den Zugang zu Energieressourcen und die Kontrolle darüber", heißt es in dem Papier. Der Trend würde dadurch verstärkt, dass ein Großteil der weltweiten Energiereserven in Regionen zu finden ist, die durch die Auswirkungen des Klimawandels gefährdet sind. Auch stünden zahlreiche Erdöl und Erdgas produzierende Staaten vor bedeutenden sozioökonomischen und demographischen Herausforderungen.
Dieser Umstand birgt wiederum das Potenzial einer erhöhten Energieunsicherheit und eines verstärkten Kampfes um die Ressourcen. Eine eventuelle Ausdehnung der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung könnte angesichts eines bereits gefährdeten Nichtverbreitungsregimes neue Proliferationsbefürchtungen hervorrufen.
EU-Strategiepapier ?Klimawandel und internationale Sicherheit
Auf den Passus folgt eine zentrale Idee des Dokuments: Bislang schwer zugängliche Regionen könnten aufgrund der Folgen des Klimawandels erschlossen werden. Gemeint ist die Arktis. Nach internationalen Schätzungen befinden sich ein Viertel der weltweiten Energieressourcen unter dem "ewigen Eis", dessen Ende angesichts der Erderwärmung nun doch absehbar wird. Das rapide Abschmelzen der Poleiskappen verändere die "geostrategische Dynamik dieser Region", ist in dem EU-Strategiepapier zu lesen. Die Absetzung der russischen Flagge unter dem Nordpol wird von Solana und Ferrero-Waldner als "anschauliches Beispiel für die neuen strategischen Interessen" gedeutet.
Diese Überlegungen, die bis zum Jahresende als Handlungsgrundlage für die konkrete Außen- und Sicherheitspolitik der EU herangezogen werden sollen, stehen in krassem Widerspruch zu den Positionen, die von EU-Vertretern nur wenige Wochen später auf einem Arktis-Gipfel in Grönland vertreten wurden. Bei dem Treffen der fünf Arktis-Anrainerstaaten im grönländischen Ilulissat wurde Ende Mai der Zugriff auf die Ressourcen und die damit verbundenen Gebietsansprüche bewusst heruntergespielt. Der Blick in die EU-Papiere zeigt, dass solchen Deklarationen wenig Wert beizumessen ist. Auch bei der Reaktion der EU auf die freiwerdenden Ressourcen in der Arktis müsse dem Verhältnis zu den Arktis-Anrainern Russland und USA besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, schreiben Solana und Ferrero-Waldner:
Bei der anstehenden Prüfung der Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie sowie etwaiger Vorschläge zu ihrer Ergänzung sollte der Sicherheitsdimension des Klimawandels Rechnung getragen werden.
Ausbau der militärischen Kapazitäten
Ganz neu ist die Verquickung von Energie- und Militärpolitik nicht. Schon im Jahr 2006 hatte das deutsche Verteidigungsministerium ein Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr herausgegeben, in dem der Frage der Energieversorgung eine "strategische Bedeutung" und "sicherheitspolitische Relevanz" beigemessen wurde.
Nur wenige Monate später brachte Polen das Konzept einer Energie-NATO ins Spiel, die deutsche Bundesregierung konterte mit dem Entwurf einer Energie-KSZE. Während beide Modelle selbst nach Ansicht der regierungsnahen Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) "stark von Grundmustern des Kalten Krieges" geprägt waren, hatten sie eines gemein: Die Frage der Energiesicherheit wird nicht nur bündnispolitisch definiert, sondern auch militärisch unterlegt.
Der Einsatz von NATO-Kräften "zur Erhöhung der Energieversorgungssicherheit kann als ein mögliches Aufgabenfeld für die NATO gesehen werden", heißt es bei der SWP. Denkbar wären in diesem Zusammenhang ein Militäreinsatz "zur Überwachung und zum Schutz der Energieversorgung" wie etwa der Einsatz von Seestreitkräften zur Sicherung von Transportrouten für Öltanker oder der Schutz wichtiger Versorgungseinrichtungen.
Ähnlich, wenn auch auf einer höheren Stufe, wird nun innerhalb der EU diskutiert. In dem Papier "Klimawandel und Internationale Sicherheit" empfehlen Solana und Ferrero-Waldner den "Ausbau der EU-Kapazitäten" in den Bereichen Forschung, Analyse, Überwachung und Frühwarnung. Einbezogen werden solle unter anderem das Institut für Sicherheitsstudien, das Satellitenzentrum der EU (EUSC), das Gemeinsame Lagezentrum der EU (SITCEN) - allesamt militärisch und geheimdienstlich ausgerichtete Institutionen.
Das neue Überwachungsnetzwerk würde nicht nur bei Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen zum Einsatz kommen, sondern auch bei "Situationen staatlicher Fragilität und politischer Radikalisierung". Mit Umweltschutz haben die Ziele auf einmal nichts mehr zu tun. Das Überwachungssystem, das sich eng an der Globalen Überwachung für Umwelt und Sicherheit (GMES) orientiert, soll den strategischen Überlegungen zufolge auch bei "Spannungen um Rohstoffe" eingesetzt werden sowie bei "Bedrohungen für kritische Infrastrukturen und Wirtschaftsgüter", "Grenzstreitigkeiten" und zur Überwachung "potentieller Migrationsbewegungen".