Millennium Dom - Die New Labour Experience

Jahrtausendwendespektakel soll die Nation vereinen helfen

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Wenn am Abend des 31. Dezember 1999 die Uhren in Greenwich auf 00:00 umspringen und das neue Jahrtausend christlicher Zeitrechnung beginnt, dann soll ebenda, am Nullmeridian in Greenwich, die größte Jahrtausendwende-Party der ganzen Welt stattfinden. Veranstaltungsort wird ein Platz vor dem Millennium Dom sein, ein gigantisches Kuppeldach, unter dem das Wembley-Stadium zweimal Platz hätte. Ende Februar wurden nun in der Royal Albert Hall von der Labour Regierung zum ersten Mal konkretere Pläne für den "Dom" der Öffentlichkeit präsentiert.

Modell des Millenium Dome

Was dabei zum Vorschein kam, bietet derartig viel Angriffsfläche, daß es nur allzuleicht wäre, dieses Vorhaben rhetorisch in Grund und Boden zu stampfen. Die Gigantomanie des Vorhabens, die Kosten, die Marketing-Rhetorik seiner Macher, die fragwürdige Qualität des Designs, die desolaten sozialen Rahmenbedingungen in der "flexiblen" Marktwirtschaft Grossbritanniens und der Verdacht einer essentiellen inhaltlichen Leere, welcher trotz aufwendig verpackten Präsentationszaubers nicht ausgeräumt werden konnte, bieten zahlreiche Optionen, mit spitzer Feder in die Seifenblase Millennium Dom zu stechen. Diese Optionen wurden im Vorfeld von der britischen Presse bereits ausgiebig wahrgenommen und Skepsis und Zynismus erlebten nach der Präsentation einen neuen Höhepunkt. (siehe z.B. den kontroversiellen Artikel "Back to the future with Dome of the Seventies , The Guardian, 25.02.1998)

Doch irgendwie erschiene es mir zu einfach, ins selbe Horn zu blasen. Nicht weil ich Angst hätte, in die von Tony Blair in seiner Ansprache zur Projektpräsentation gegeißelte Fraktion der ewigen "Zyniker" und "Heckenschützen" eingereiht zu werden, die nur pessimistisch jeden Ehrgeiz unterwandern würden. Und auch nicht, weil es trotz aller journalistischen Giftspritzerei klar ist, daß das Ereignis ob seiner puren Größe und der Kraft des Spektakels ein Erfolg sein wird. Mir scheint daß es hier um Grundsatzfragen geht, die im Umfeld kultureller Großveranstaltungen immer wieder aufgeworfen werden und die sich um das Beziehungsgefüge zwischen Staat, Kultur (im weitesten Sinn verstanden), Wirtschaft und BürgerInnen drehen.

Ähnliche Fragen begleiten die Ausrichtung der Expo 2000 in Hannover und wurden begleitend zu den "Grands Traveaux", den fünf kulturell-architektonischen Großprojekten im Paris der achtziger Jahre bereits ausführlich diskutiert. Es geht dabei um nationale Identität, die Frage der Bedeutung der Nation im Zeitalter fortschreitender Globalisierung und um die kulturellen Werte, für die eine Nation steht. Eigentlich, so dachten wir, wäre dieses Thema bereits erschöpfend behandelt worden. Schluß mit den Wahrzeichen nationaler Identifikation, aus basta, Deckel drauf. Doch nun erleben wir die britische Variante davon.

Facts and Figures

Themseinsel mit Millenium Dome

New Labour hat den Dom von der vorhergehenden Tory-Regierung geerbt. Bereits 1994 wurde die Idee einer nationalen Ausstellung begleitend zur Jahrtausendwende aufgeworfen, 1996 die Halbinsel von Greenwich als Veranstaltungsort festgelegt. Der Ort selbst war bis zum Baubeginn ein Stück verseuchtes urbanes Brachland. Nach der Wahl im Mai 1997 unterzog die neugewählte Labour Regierung das Projekt einer Prüfung und entschied sich im Juni 1997 dafür, sich die Sache zu Eigen zu machen. Peter Mandelson, ungeliebter "Minister ohne Portfolio", wurde zum Sonderprojektverantwortlichen. Die ausführende Managment-Firma, die sich zu 100 Prozent in Staatsbesitz befindet, wurde in "New Millennium Experience" umgetauft. (Die Frage, ob man sich dabei auf "The Jimi Hendrix Experience" bezog, blieb allerdings unbeantwortet.)

Damit wurde ein Signal zum Durchstarten des zuvor eher dahinkränkelnden Projekts gesetzt und Tony Blair gab 5 Leitmaximen aus:

  1. Die "Experience" sollte ein dauerhaftes Vermächtnis darstellen
  2. Design und Inhalte der Ausstellung sollten komplett überarbeitet werden und ein "Fenster in die Zukunft" darstellen
  3. Die "Experience" solle sich an die ganze Nation richten, ein starkes Bildungselement beinhalten und Akzente in Informationstechnologie setzen
  4. Die Managment-Struktur der durchführenden Gesellschaft solle vergrößert werden, um ihr mehr Gewicht und Durchsetzungsvermögen zu geben
  5. Das Projekt solle den Steuerzahler keinen Penny kosten

Die Finanzierung des Projekts erfolgt durch eine Förderung aus den Mitteln der staatlichen Lotterie in Höhe von 399 Millionen Pfund Sterling (ca. 1.2 Milliarden DM). Weitere 359 Millionen Pfund sollen durch Sponsoring, Eintrittskartenverkauf, begleitende kommerzielle Einnahmen und Merchandising eingenommen werden.

Der Dom ist ein Entwurf von Richard Rogers & Partner. Es handelt sich um einen runden Kuppelbau mit 320 m Durchmesser und 50 m Höhe am höchsten Punkt. Die Konstruktion selbst wird von zwölf 100 m hohen Stahlträgern gehalten (die übrigens bereits stehen) und durch mehr als 70 km von superstarkem Stahlkabel verspannt sein. Damit handelt es sich zur Zeit um das größte Bauwerk seines Typs auf der ganzen Welt.

Das Dach selbst wird aus zwei Schichten (um Kondensation zu vermeiden) von selbstreinigendem Spezialfiberglas bestehen. Den Stahlträgern wird eine Lebensdauer von 60 Jahren, dem Dach eine von 25 Jahren vorhergesagt, wobei diese Zeiträume durch entsprechende Wartung deutlich verlängert werden können sollten.

Das Vorhaben ist von infrastrukturellen Projekten, vor allem im Bereich Transport und Verkehr, begleitet. Der seit langem anhängige Ausbau der Jubilee Extension U-Bahnlinie soll zügig vorangetrieben, die Station Greenwich Nord zur größten U-Bahnstation Europas ausgebaut werden. Damit gibt es eine dringend benötigte Nord-Südverbindung über die Themse mehr. Eine Schiffsanlegestelle wird geschaffen, Park & Ride Plätze und Anbindungen an das Eisenbahnnetz sind angedacht.

2500 bis 5000 neue Arbeitsplätze sollen in einer Stadtregion geschaffen werden, die zu den ärmsten in ganz Grossbritannien zählt. Allein zwischen 1991 und 1993 sind an die 10.000 Arbeitsplätze in Herstellungsbetrieben im Raum Greenwich verlorengegangen. Neben den direkt erzielten Einnahmen wird ein wirtschaftlicher Ausstrahlungseffekt von einer Milliarde Pfund zusätzlicher touristischer Einnahmen erwartet. Berechnungen beruhen auf 12 Millionen Besuchern, doch diese Zahl wird als "vorsichtige Schätzung" bezeichnet und eigentlich erwartet man sich mehr. Allein 12 - 15 Millionen Briten spekulieren derzeit mit einem Besuch des Doms.