Minima Moralia des Urbanen
Wie lebt man richtig? - oder: Stadtentwicklung neu denken
Es gibt eine wunderbare kleine Erzählung des Schriftstellers Herman Melville. Sie heißt in der deutschen Übersetzung "Bartleby, der Schreiber" und handelt von einem jungen Mann, der bei einem Anwalt an der Wall Street einen Job als Hilfskraft gefunden hat. Bartleby erweist sich im Büroalltag zwar als willig, sagt aber bei jeder Aufgabe, die seiner Ansicht nach nicht zu seinem Arbeitsgebiet gehört, den Satz: "I would prefer not to." Auf hintergründige Weise erinnert der derzeitige Hype um die Nachhaltigkeit auch an Bartleby. Zwar wird sie allenthalben postuliert, aber wenn es um den - möglicherweise einschneidenden - Eigenbeitrag dazu geht, dann denken viele insgeheim: "Ich möchte lieber nicht."
Ehrlicherweise muss man jedoch einräumen, dass die Dinge gerade beim Planen und Bauen nicht so einfach liegen, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. So werden etwa die sogenannten "Endverbraucher", deren Investitions- und Nutzerverhalten doch eine entscheidende Determinante darstellt, bei der Debatte um die Zukunftsfähigkeit vielfach ausgeblendet. Die Potenziale von privaten Haushalten, ob nun zur Steigerung der Energieeffizienz oder zur Reduktion der Treibhausgase, hebt man so wohl kaum. Dennoch wird paradoxerweise große Hoffnungen auf den "bewussten Konsumenten" gesetzt: Dessen zum Lebensstil werdende Orientierung an Nachhaltigkeit möge einen Ausweg bieten. Allein, gibt es wirklich einen Mainstream-Trend zur Askese?
Man darf skeptisch sein. Das Ziel der meisten Menschen dürfte eher darin liegen, ein wenig zu ändern, um das meiste nicht ändern zu müssen - polemisch gesagt: Ein Leben in Saus und Braus, das schon bald mit erneuerbaren Energien funktioniert. Womit sich die Frage stellt, ob "Nachhaltigkeit" auf nicht-dirigistische Weise herstellbar ist. Dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, ist eine eherne Weisheit der Marktwirtschaft, und sie scheint auch unserer Gesellschaft in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Problematisiert jedenfalls wird sie kaum je mehr, so als sei die Nachfrage etwas Festgelegtes, nicht wiederum das Ergebnis von Wünschen, also Bedürfnissen, die erneut und immer wieder neu erzeugt werden (können).
Demographie und gesellschaftlicher Wandel
Die Wechselwirkung mit der Gesellschaft jedenfalls ist enorm. Dabei muss man sehen, dass die Alterung eine Fundamentalentwicklung darstellt: Die Doppelwirkung aus anhaltend niedriger Geburtenhäufigkeit und zunehmender Lebenserwartung der "Babyboomjahrgänge" führt insgesamt in eine rasch alternde Gesellschaft. Und die wird bestehen aus körperlich und geistig leistungsfähigen Alten, vor allem aber auch aus pflegebedürftigen "alten Alten". Diese Entwicklung wird weit schneller verlaufen, als jede politische Initiative zu ihrer Bewältigung. Dabei schlägt sich der Alterungsprozess überall nieder, freilich im Osten stärker und schneller als im Westen, im Umland und ländlichen Raum stärker als in den Kernstädten.
Erforderlich sind deshalb Anpassungsleistungen in vielen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, etwa beim "Wohnen": Die Alterung der Bevölkerung und die zugleich zunehmende Individualisierung der Gesellschaft führen zu mehr kleineren Haushalten. Für die kleinen Haushaltstypen, d. h. Ein- und Zweipersonenhaushalte, sind noch erhebliche Zunahmen durchaus realistisch, selbst in Regionen mit größeren Bevölkerungsabnahmen. Für die großen Haushalte sind dagegen im Umkehrschluss die Schrumpfungs- und Stagnationsszenarien umso gravierender. Es wird deshalb eine noch weitergehende räumliche Ausdifferenzierung der Wohnungsmärkte geben, die eine individuelle Anpassungsstrategie in den einzelnen Regionen notwendig macht.
Zudem muss man sehen, dass es vor allem um die rapide Zunahme der Zahl hoch betagter Menschen (über 75-Jährige) geht, die im Gegensatz zu früher oft aktiv und zahlungskräftig sind und somit gerade im Alter in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können. Allerdings sind sie im Wohnbereich auf besondere Angebote angewiesen, wie zum Beispiel eine alters- und behindertengerechte Gestaltung von Wohnung und Wohnumfeld oder die Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten. Studien haben gezeigt, dass gute nachbarschaftliche Beziehungen und ein positives Wohnumfeld die Pflegekosten um 30 Prozent senken können, vor allem deshalb, weil die Menschen länger aktiv bleiben. Konzepte zu entwickeln, die Wohnen in den eigenen vier Wänden mit sozialen Dienstleistungen und Technik verknüpfen, sind daher eine Schlüsselaufgabe und eine kluge Investition zugleich.
Dass Siebzigjährige Marathon laufen, Achtzigjährige ehrenamtlich Firmen beraten und Neunzigjährige über Skype mit ihren Enkeln telefonieren, mag zwar heute noch die Ausnahme sein. Aber in zwanzig Jahren, wenn jeder dritte Deutsche über 60 ist, wird die Welt ohne diese gesunden, aktiven Alten nicht mehr vorstellbar sein. In kaum einen anderen Bereich wäre eine Anstoßwirkung so sinnvoll wie beim Wohnen bzw. im Wohnungsbau.
Doch auf solche Tendenzen - wie auch auf veränderte Familienstrukturen (Stichwort: Patchwork-Familien) - hat die Architektur bislang kaum reagiert. Noch immer gibt es hochgradig standardisierte Drei-Zimmer-Wohnungen für Eltern und Kind, obwohl diese Gattung auf der roten Liste für akut bedrohte Arten steht. Gerade deswegen ist die aktuelle Beliebtheit der gründerzeitlichen Altbauwohnungen auch so verständlich: Gleich große Räume ohne Hierarchie lassen sich für unterschiedliche Familien- und Lebensformen besser nutzen als die passgerechte Wohnung für die traditionelle Kleinfamilie. Der "verdichtete Wohnungsbau" wird in Zukunft wieder Thema, wobei seine Qualität insbesondere in den an die Wohnungen angebundenen, geschützten und uneinsehbaren Freiplätzen im Außenbereich zu sehen ist.
Stadtplanung, Architektur und Technik
Nachhaltiger Urbanismus gehört fraglos zu den zentralen Zukunftsaufgaben. Doch ist etwa die "CO2-freie Stadt" ein starke Vision, die politische und gesellschaftliche Energien freisetzen und bündeln kann oder ein Trugbild, das eine falsche Harmonie von der Vereinbarkeit modernen technikbasierten Lebens und Wirtschaftens mit nachhaltiger Entwicklung nur vorgaukelt und damit ein trügerisches "Weiter-so" vermittelt?
Schaut man auf die unterschiedlichen Maßstabsebenen von Planung, dann kann jedenfalls von einem reibungslosen Ineinandergreifen der Kriterien und Abläufe nicht die Rede sein. Fraglos hat man sich in den letzten Jahren erfolgreich um eindeutige, messbare Indikatoren für das "nachhaltige Gebäude" bemüht. Tragfähige Ansätze zur Bestimmung und Realisierung einer optimalen Relation aus Dichte, Stadtgröße, Umwelt- und Lebensqualität indes gibt es nicht. Schon die Frage nach Art und Lage des Grundstücks kann die Parameter für ein "nachhaltiges Bauprojekt" entscheidend verändern.
Hierzu eine kleine Anekdote: Von Thomas Herzog, dem renommierten Münchner Architekten und Verfasser der "Solar Charta", wird berichtet, er habe einmal den Auftrag für den Bau eines durch und durch ökologischen Einfamilienhauses verweigert, weil die Bauherrin dafür eine Stadtwohnung aufgeben, fünfzig Kilometer entfernt aufs Land ziehen und täglich pendeln wollte. Das sei, so Herzog, alles andere als nachhaltig. Tatsächlich führen die einzelnen Standortentscheidungen von Haushalten und Betrieben in Richtung Stadtumland zu erheblichen ungedeckten Folgekosten, die irgendwie kaschiert werden.
Ziele der Nachhaltigkeit dürfen nicht länger in der Unverbindlichkeit von Sonntagsreden verbleiben. Ihre Umsetzung muss durch klare Maßstäbe überprüfbar gemacht werden; es braucht "Anzeiger" für die Aufrichtigkeit und Konsequenz wohlfeiler Vorstellungen. Diese Indikatoren müssen mit Bedacht gewählt werden; zumal sie als Leitplanken und Wegweiser dienen. Zudem braucht es ein überschaubares Bündel an konkreten Zielen, die wiederum im Konsens aller relevanten Gruppen zu erstellen sind. Doch an dieser Stelle wird es schwierig; nicht nur, weil Zielkonflikte unvermeidlich sind.
Einerseits, und aus gutem Grund, wird in der Stadtentwicklung (wie in zahlreichen anderen Disziplinen auch) die Komplexität von Informationen durch Kennziffern, Durchschnittswerte, Benchmarks etc. handhabbar gemacht; wird anhand von "Zahlen" gemessen, verglichen und bewertet. Diese sind selbstverständliche Grundlage und Voraussetzungen für Gutachten, Wirtschaftlichkeitsberechnungen oder für städtebauliche Konzepte und Maßnahmen. Andererseits, und umgekehrt, muss klar sein, dass Stadt mehr ist als die Zusammenschau (wie auch immer) nachhaltiger Gebäude. Standortqualitäten sind ein komplexes Gebilde von Wertschätzungen. Subjektive Zufriedenheit und Imagebildung indes unterliegen einem dynamischen Wertewandel. Die Vielfalt unserer Städte lebt gerade davon, dass es keine verbindliche DIN-Norm oder technische Ausführungsbestimmung auf der Ebene der Stadt und des Stadtquartiers gibt und geben kann.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass eine tabula rasa noch immer als planerischer Idealzustand gesehen wird: Ein Neuanfang gleichsam im freien Feld, bei dem alles - baulich, technisch und gesellschaftlich - "besser" gemacht werden kann. Der Bestand (d.h. die vorhandene, zumeist wenig spektakuläre Stadt-, Siedlungs- und Baustruktur) hingegen galt immer als Stiefkind. Freilich muss der Ansatz heute gerade darin liegen, einen behutsamen und schonenden Umgang mit dem bereits Gebauten zu (er)finden. Was aber umgekehrt nicht heisst, dass das Bestehende unantastbar ist. Vielmehr geht es um Strategien des Umbaus: Um neue Funktionen in, um moderne Strukturen an und auf bestehenden Gebäuden.
Der Architektur schließlich kommt die Aufgabe zu, die Kluft zwischen einer eine gewissen Entsagung im Lebensvollzug, die der ökologische Purismus diktiert, und unserem Dasein, das Behaglichkeit, Komfort und Bequemlichkeit zwingend voraussetzt, zu schließen. Das Gleichgewicht zu finden und zu halten dürfte das Entscheidende sein.
Zum einen braucht "nachhaltiges Bauen" eine überzeugende sinnliche Präsenz und ästhetische Anmutung. Der dänische Architekt Bjarke Ingels, dessen Büro das programmatische Kürzel BIG trägt, hat vor einiger Zeit einen großen Wettbewerb in Kopenhagen gewonnen - ein Müllheizkraftwerk in Form eines Skibergs. Er erklärt seinen Entwurf folgendermaßen:
Wir wollten die Idee widerlegen, dass Nachhaltigkeit zwingend mit einem Verlust von Lebensqualität einhergeht. Es gibt so eine Art protestantische Einstellung, wonach es schmerzen muss Gutes zu tun. Wir fragen, wie Nachhaltigkeit die Lebensqualität verbessern und Spaß machen kann.
Und Dietmar Eberle, ebenfalls ein namhafter Architekt und Professor an der ETH Zürich, hält es für die zentrale Aufgabe, ein Haus zu entwerfen und zu bauen, "das in seiner Konstitution Qualitäten bereitstellt, die auch in Zukunft gelten werden: etwa eine gute Beziehung nach außen, frische Luft aus der Umgebung, ein hohes Maß an Selbstverständlichkeit im Gebrauch, ohne banal, gestaltlos zu werden. Ich glaube, dass die Atmosphäre, die durch Gestalt entsteht, etwas ist, das 'unendlich' lange gültig ist. Darum spielen die klassischen Fragen der Architektur - Proportion, Verhältnismäßigkeit, Materialität, Licht - eine Schlüsselrolle."
Zum anderen muss eine weitere (Über-) Spezialisierung vermieden werden. So haben etwa die Fortschritte in der Klimatechnik im 20. Jahrhundert dazu geführt, dass Gebäude jedweder Architektur in jeder Klimaregion dieser Erde unabhängig vom Außenklima gebaut werden konnten. Der Architekt entwarf, anschließend installierte der Haustechniker soviel Technik, wie benötigt wurde, um ein angeblich angenehmes Klima im Inneren zu schaffen. Was zunächst ein Segen scheint, erweist sich schnell als Fluch - wenn sich nämlich herausstellt, dass die Technik häufig doch überfordert ist, die Betriebskosten in die Höhe schnellen und oder mit dem "Sick-Building-Syndrom" ein neues Krankheitsbild auftaucht. Zugleich bewirkte dies eine fast völlige Trennung der Arbeit von Architekt und Haustechniker. Das aber ist entschieden der falsche Weg. Denn es geht nicht an, Fragen der Nachhaltigkeit an einzelne Spezialisten weiter zu delegieren oder als Aufgabe von einzelnen Fachingenieuren zu begreifen.
Die "europäische Stadt" als Perspektive?
Mit dem Begriff "europäische Stadt" sind in aller Regel historisch gewachsene, klar voneinander abgegrenzte Zentren gemeint, für die der öffentliche Raum - Straße, Platz und Park - konstitutiv ist. Diese identitätsprägende Tradition taugt, gerade im Sinne der Nachhaltigkeit, als Leitbild auch für die weitere Entwicklung; aber sie muss stets standortspezifisch hinterfragt werden. Wir dürfen Stadt nicht nur als gewachsenes Kulturgebilde in historischer Bestimmheit sehen - und alle Lösungen daraus ableiten -, sondern müssen das Neue oder genuin Andere darin (an)erkennen.
Erforderlich ist nicht Städtebau-Ideologie, sondern ein unverstellter Blick auf reale Gegebenheiten. Zudem handelt es sich bei jeder Planung, bei jeder Bauentscheidung stets um subjektive Wertungen, die durch keine Kosten-Nutzen-Analyse ersetzt werden kann. In der öffentlichen Planung geht es also um kollektive Werturteile, die sich letzten Endes in politischen Entscheidungen niederschlagen. Hier ist Transparenz erforderlich, die sich am besten über adäquate Verfahren, über Wettbewerbe und öffentliche Diskussionen herstellen lässt.
Was freilich nicht heißt, dass Konflikte dann ausbleiben. Wie man überhaupt einräumen muss, dass selbst Begriffe wie Teilhabe und Partizipation ein Janusgesicht offenbaren. Seit Ende der siebziger Jahre ist das zweistufige Bürgerbeteiligung fester Bestandteil des deutschen Planungsrechts. Das Modell zeigt allerdings Grenzen: Bürger unterstellen nicht selten eine fehlende Ernsthaftigkeit des Beteiligungsangebots. Investoren beklagen den zeitlichen - und damit auch finanziellen - Aufwand der Verfahren (und implizit die Unsicherheit von dessen Ausgang). Und von fachlicher Seite bestehen oft Vorbehalte wegen der Qualität der Ergebnisse ("Konsens bis zum Nonsens") bzw. wegen der Selektivität des Beteiligungsverfahrens ("die üblichen Verdächtigen").
Indes, auch Bewohner und Bürger selbst tragen zur unbefriedigenden Situation bei: Denn ein heute weitverbreitetes Verhaltensmuster ist das "Not-in-my-back-yard-Syndrom", das sich auf die simple Abwehr eines als nachteilig erkannten Planungsvorhabens beschränkt. Gerade sozial besser gestellte Schichten, die zur Verteidigung ihrer Besitzstände eher in der Lage sind, vertreten oft eine solche "Nimby"-Haltung. Es braucht also neue Antworten auf alte Fragen. Dabei darf Partizipation nicht nur Befriedigung von Einzelinteressen bedeuten, sondern aktivierende Auseinandersetzung mit Vorstellungen und Wünschen möglichst vieler Bürger.
Dem öffentlichen Raum kommt dabei eine überragende Bedeutung zu. Freilich ist es mit ansprechender Gestaltung allein nicht getan. Öffentliche Räume entstehen durch Nutzungen. Deshalb stellt sich die Frage, welche Nutzungen werden durch bestimmte Planungen, Infrastrukturen und Bauten erzeugt? Entscheidend ist, wie ein Raum empfunden wird. Es braucht also entschiedene Anstrengungen, an bestimmten Orten gewissermaßen eine "gefühlte Öffentlichkeit" zu entwickelt. Auch ein de jure privater Raum kann höchst urbane Gefühle erzeugen. Aber er müsste der Öffentlichkeit entsprechend "angeboten" werden.
Städtebau und Stadtpolitik müssen zudem in die Vitalisierung polyzentraler Strukturen (Bibliotheken, Schwimmbäder etc.) investieren. Qualitäten, die landläufig den Eigenschaften "Europäischer Städte" gut geschrieben werden, sind hier wichtig: ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr und viele, am besten gewachsenen Zentren, in denen Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote, Betreuungs-, Gesundheits- und Serviceleistungen schnell erreichbar sind. Für die städtische Bevölkerung sind kurze Wege entscheidend. Stadtgestalt, Freiraumqualitäten und Aufenthaltsmöglichkeiten in öffentlichen Räumen sind ganz offensichtlich ein weiteres Plus. Studien belegen, dass der Aufenthalt in öffentlichen städtischen Räumen - um sich zu treffen, um Freizeitaktivitäten nachzugehen, oder einfach, um zu sehen und gesehen zu werden - gegenüber dem Rückzug in die eigene Wohnung an Häufigkeit, Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit gewonnen hat. Also: Wer das Wohnen in der Stadt stärken will, der hat für eine adäquate Infrastruktur und urbane Umgebungsqualitäten zu sorgen.
In diesem Zusammenhang braucht es vielleicht auch eine unverkrampfte, über bloße Ressentiments hinausgehende Position hinsichtlich des Baus von Hochhäusern. Zwar weiß man, dass bei über 50 Stockwerken das Verhältnis zwischen (Büro)Nutzfläche und Aufzügen völlig unwirtschaftlich wird, dass Häuser mit mehr als 20 Geschossen nicht wirklich umweltfreundlich sind und zudem für viele Benutzer zur psychischen Belastung werden können. Aber es gibt auch andere, übergeordnete Betrachtungen, die ihren Bau durchaus sinnvoll erscheinen lassen können. Selbst Umweltgruppen drängen in New York auf den Bau neuer skyscraper im Zentrum, weil sie zusätzliche Luftverschmutzung und unnötigen Berufsverkehr befürchten durch den Wegzug der Firmen ins Umland. Das ist nicht ohne Ironie - hatten doch die Ölkrise und die vom Club of Rome prognostizierten "Grenzen des Wachstums" das Hochhaus Mitte der siebziger Jahre in Verruf gebracht. Heute lässt sich eine solche Verdichtung - gute Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorausgesetzt - als Antwort auf den suburban sprawl der endlosen Vorstadtteppiche mitunter neu rechtfertigen.
Melvilles Erzählung von dem Schreiber Barleby geht übrigens nicht gut aus. Der Einsame, der den Satz "Ich möchte lieber nicht" zu seinem Credo erhoben hat, stirbt schließlich an seiner kompromisslosen Verweigerung. Damit unseren Städten nicht das gleiche Schicksal droht, benötigen wir heute mehr denn je den konstruktiven Dialog, in den sich alle Beteiligten einbringen, zugleich aber auch den Mut zu unkonventionellen Lösungen und zu experimentellen Ansätzen. Wir müssen begreifen, dass es keinen Anspruch auf eine zukunftsfähige und lebenswerte Stadt gibt. Sondern eine Verantwortung, diese mitzugestalten.