Mit Biberschwanz und Seehundzähnen
Die Säugetiere haben das Wasser um 100 Millionen Jahre früher erobert, als bislang angenommen.
Die Säugetiere des Mesozoikums (248 bis 65 Millionen Jahre) galten lange als kleine, primitive, eher uninteressante Tierchen, die im Schatten der Dinosaurier lebten, bis mit deren Aussterben ihre große Stunde schlug und sie ihren Siegeszug über die Erde antreten konnten. Jetzt haben chinesische Paläontologen ein weiteres Skelett entdeckt, das an dieser Annahme rüttelt. In der aktuellen Ausgabe von Science (Vol. 311, vom 24. Februar 2006) stellen sie ihren Fund vor.
Artenwachstum gegen Ende des Juras
Maus- bis rattengroß, nachtaktiv, insektenfressend – unterm Strich also ziemlich einheitlich gestrickt und mithin unspektakulär, so lautete die wissenschaftliche Einschätzung über die ersten Säugetiere. Dieses eindimensionale Bild konnte nicht anders ausfallen, weil sich die spärlichen Überreste, die man von den Ursäugern fand, überwiegend auf einzelne Zähne und Kieferknochen beschränkten. Und die lassen nur bedingt Rückschlüsse auf den Rest des Tieres und seine Lebensweise zu. Funde wie der Monodelphis mit seinen typischen Insektenfresser-Zähnen bestätigten dieses Bild.
Doch jüngere Fossilfunde weichen das starre Konzept zunehmend auf: Auf Haldandon, der eine Ähnlichkeit mit heutigen Wassermaulwürfen aufweist, folgten Repenomanus giganticus und der Termitenfresser Fruitafossor windscheffelia.
Dicht behaarter Schwimmer
Jetzt hat der mesozoische Tiergarten erneut Zuwachs erhalten: durch einen semi-aquatischen Schwimmer und Fischfresser. Castorocauda lutrasimilis belegt beispielhaft, dass die ersten Säugetiere nicht nur spezialisierter waren als gedacht, sondern auch den Lebensraum Wasser früher eroberten als bislang angenommen. Das Fossil wurde in der Jiulongshan-Formation in Daohugou in der Provinz Ningcheng (Innere Mongolei) geborgen. Qian Ji von der Abteilung für Erdwissenschaften der Universität Nanjing/China und Kollegen datieren es auf ein Alter von 164 Millionen Jahren. Castorocauda gehört zu den so genannten Docodonten – einem ausgestorbenen Zweig des Säugerstammbaums mit maulwurfsähnlicher Lebensweise.
Das Skelett ist vorzüglich, wenn auch nicht vollständig erhalten; Teile des Rückens und des Schädels fehlen. Castorocauda war etwa 42 Zentimeter lang und wird auf ein Gewicht von bis zu 800 Gramm geschätzt. Besonders markant: sein flacher, mit Hornschuppen besetzter Schwanz, der an den eines modernen Bibers oder Otters erinnert. Deutlich erkennbar zeichnen sich Schwimmhäute zwischen den Hinterzehen ab. Seine Backenzähne, mit denen er sowohl schneiden als auch mahlen konnte, ähneln laut Ji denen moderner Seehunde. Ein weiteres herausragendes Merkmal ist das relativ dichte Fell, bei dem sogar Ober- und Unterfell unterscheidbar sind. Diese Behaarung ist ein Gegensatz zu den Säugern, die in der Yixian Formation in Liaoning gefunden wurden und deutlich spärlicher behaart sind.
Nach Angaben von Ji und seinem Team ist Castorocauda am engsten verwandt mit Krusatodon und Simpsonodon, beides Docodonten, die in England gefunden wurden. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass es während des mittleren Jura einen Austausch der Arten auf der Eurasischen Landmasse gegeben hat.
Aufbruch ins Wasser
Die Körpermerkmale zeigen sehr klar, dass Castorocauda an das Leben im Wasser angepasst war. Damit ist der Docodont eine ziemliche Sensation: Dass Säugetiere im Wasser leben und sich von Fischen ernähren, hatte die Forschung bislang auf die frühe Kreidezeit datiert. Aus dieser Zeit stammen Zähne von Triconodonten, die in Marokko geborgen wurden. Wie Thomas Martin vom Forschungsinstitut Senckenberg in einem begleitenden Perspektive-Artikel beschreibt, verschiebt sich damit die Eroberung der Meere durch die Säugetiere um mehr als 100 Millionen Jahre nach vorne.
Überhaupt ist dieses aufregende Fossil ein weiteres Puzzleteil in einer Reihe früherer Entdeckungen, die zeigen, dass die Vielfalt und die frühe Evolutionsgeschichte der Säugetiere viel komplexer waren, als noch vor einem Jahrzehnt angenommen. Das neue Fossil widerspricht auf eindrucksvolle Weise, der verbreiteten Ansicht, dass die frühen Vorfahren der modernen Säugetiergruppen im Allgemeinen primitiv und unspezialisiert waren
Thomas Martin
Für Martin gibt Castorocauda eine Vorgeschmack auf die Funde, die noch zu erwarten sind. Denn die fossilreichen Schichten der Jehol-Gruppe (sie besteht aus der Yixian-Formation und der jüngeren Jiufotang-Formation) und der Jiulongshan-Formation (beide in der Inneren Mongolei/China gelegen) stehen noch immer am Anfang ihrer Erschließung. Und die Erwartungen der Forschung sind riesig, vor allem hofft man auf gut erhaltene, vollständige Skelette. Spannende Zeiten also, nicht nur für Evolutionsbiologen.