Mit Frühstück und Schokolade gegen Herzkrankheiten
"Frühstücksmuffel haben ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko" - so oder ähnlich titelten es die letzten Tage fast alle Medien. Doch die Studie, auf die sich die Meldungen berufen, lässt diesen Schluss kaum zu
Die ersten Nachrichten erschienen am vergangenen Dienstag früh, mutmaßlich ausgelöst durch eine Meldung der Deutschen Presseagentur. Im Laufe der Woche berichteten fast alle Medien darüber: Männer, die auf das Frühstück verzichten, gefährden ihr Herz. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steige drastisch, um 27 Prozent.
Zu diesem Schluss gelangte eine Studie, die das Fachmagazin Circulation publiziert hatte. Ein Team von US-Wissenschaftlern hatte hierfür Beobachtungsdaten von 27.000 Männer über 20 Jahre ausgewertet. Das Problem dabei: Derartige Beobachtungsstudien sind praktisch nicht in der Lage, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einzelnen Faktoren zu beweisen.
Die Schwierigkeiten werden schnell deutlich, wenn man einen Blick in die Studie selbst wirft. Demnach hätten Männer, die auf ihr Frühstück verzichten, häufiger Vollzeitjobs, waren seltener sportlich aktiv, häufiger Raucher und stärkere Alkoholkonsumenten. Alles bekannte Risikofaktoren für Herzkrankheiten. Wissenschaftler sprechen hier von sogenannten Confoundern. Man kann - was die Studienautoren auch versucht haben - alle bekannten derartigen Effekte auszuschließen. Allerdings ist immer davon auszugehen, dass es weitere Confounder gibt, die unbekannt sind.
"Aus diesem Gebilde von untrennbaren Faktoren jetzt das Frühstück herauszupicken, ist natürlich abenteuerlich", erklärt Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum in Freiburg. "Die Studie ist mal wieder ein perfektes Beispiel, wie Assoziation oder Korrelation als Kausalzusammenhang missbraucht wird." Gerd Antes gilt als einer der führenden Fachleute der evidenzbasierten Medizin in Deutschland.
Anders ausgedrückt: Man hätte auch behaupten können, dass diejenigen, die auf ihr Frühstück verzichten, ein höheres Risiko haben, Raucher zu werden oder ein schlechter Sportler. Die Aussage wäre aufgrund der vorhandenen Daten ebenso gut oder schlecht begründbar.
"Die Studie hat aber noch viel grundlegendere Probleme", erklärt Antes. "So wurde hier eine Gruppe von Mitarbeitern in medizinischen Einrichtungen untersucht. Menschen, die häufig Überstunden machen und auch sonst erhöhten Risikofaktoren ausgesetzt sind. Daraus auf die Gesamtbevölkerung zu schließen ist kaum zu rechtfertigen."
Das Problem mit der Ernährungsforschung
Die hier vorliegende Studie ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die Auswirkungen von Ernährungsgewohnheiten auf spätere Erkrankungen zu untersuchen. Medikamente werden üblicherweise in sogenannten randomisierten Doppelblindversuchen getestet. Dabei teilt man möglichst vergleichbare Patienten zufällig in Gruppen ein und vergleicht ein zu testendes Medikament mit einem Placebo, also einer wirkungslosen Pille.
Erfolgt die Zuteilung der Patienten zu den Gruppen wirklich zufällig, sind Confounder ausgeschlossen, denn es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Lebensgewohnheiten der Studienteilnehmer und der Frage, ob sie in der Placebo- oder der Medikamentengruppe landen. Ähnliches ist bei Ernährungsgewohnheiten unmöglich. Es scheitert schon daran, dass niemand ein Placebo-Frühstück essen kann, ohne es zu merken. Auch ist es schwierig, zufällig ausgewählte Menschen dazu zu bewegen, über einen längeren Zeitraum bestimmten Ernährungsgewohnheiten zu folgen.
Das führt ganz grundsätzlich dazu, dass es sehr schwierig ist, in der Ernährungsforschung zu soliden Studienergebnissen zu kommen. Von den vielen Empfehlungen zur gesunden Ernährung sind nur sehr wenige mit guter Evidenz belegt. Die Schwierigkeit zeigt sich auch darin, dass bei vielen Menschen der Eindruck entsteht, die Wissenschaft wisse nicht, was sie wolle. Empfehlungen von einst gelten heute als überholt und sich widersprechende Empfehlungen sind nicht selten.
Im Guardian äußert sich Studienautor Eric Rimm zur Kritik an den Studienergebnissen. Er sei sich über die Grenzen einer Beobachtungsstudie im Klaren, gehe aber trotzdem davon aus, dass es sich hier um einen ursächlichen Zusammenhang handelt. Vor allem deshalb, weil es bereits eine große Menge von Studien gibt, die auf ähnliches hindeuten. In ihrer Studie verweisen die Autoren auf frühere Arbeiten, die einen Zusammenhang zwischen fehlendem Frühstück und anderen Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes zeigten.
Publication Bias
Doch Gerd Antes überzeugt das nicht: "In diesem Bereich gibt es ein großes Problem mit dem sogenannten Publication Bias. Man weiß nicht, wie viele Studien dieser Art bereits durchgeführt wurden."
Publication Bias bezeichnet ein Phänomen in der Wissenschaft, bei dem viele Studien zu einem Thema durchgeführt, aber nur wenige davon später auch veröffentlicht werden. Dadurch entsteht ein verzerrter Eindruck. Eine Studie, die den Zusammenhang des fehlenden Frühstücks mit Herzkrankheiten untersucht und zu dem Ergebnis kommt, dass kein Zusammenhang besteht, würde vermutlich nicht in einer Fachzeitschrift erscheinen, weil das Ergebnis völlig unspannend ist.
Bei Medikamentenstudien gilt es inzwischen als gute Praxis, Studien vor der Durchführung bei einem öffentlichen Studienregister anzumelden. Dadurch ist es später zumindest möglich, nachzuvollziehen, wie viele Studien es zu einem Thema gab, die nicht veröffentlicht wurden. Auch das funktioniert nur teilweise und längst nicht alle Pharmastudien werden vorher registriert. Bei Ernährungsstudien ist die vorherige Registrierung aber bislang die absolute Ausnahme.
Gerd Antes weiß davon ebenfalls zu berichten, denn er leitet das Deutsche Register für klinische Studien. "Studien zu Ernährungsfragen können bei uns ebenfalls angemeldet werden", erklärt Antes. "Allerdings macht das bislang fast niemand."
Studien, die einen Zusammenhang zwischen bestimmten Ernährungsgewohnheiten und positiven Gesundheitseffekten werden von Medien häufig aufgegriffen. Besonders wenn eigentlich als ungesund geltende Lebensmittel positive Effekte haben, wird gerne darüber berichtet.
"Im vergangenen Jahr gab es einen ähnlichen Fall: Dunkle Schokolade sollte angeblich vor Herzinfarkten schützen", erklärt Gerd Antes. "Das ging so weit, dass die Deutsche Gesellschaft für innere Medizin darüber diskutierte, ob Krankenkassen Patienten dunkle Schokolade erstatten sollen. Leider sind es nicht nur Journalisten, sondern oft auch medizinische Fachgesellschaften, die fragwürdige Studienergebnisse verbreiten und überinterpretieren."