Mit Hochglanzbroschüren über den Terror nach Den Haag

Der Internationale Gerichtshof und das Gutachten über den Trennungszaun zwischen Israel und den Palästinensergebieten

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Gal Luft, Direktor des "Institute for the Analysis of Global Security" und ehemaliger Offizier der IDF, verglich kürzlich die "Geschichte zweier Zäune". In beiden Fällen gäbe es unüberbrückbare Streitpunkte, Anschläge gegen Zivilisten, gescheiterte Friedensverhandlungen und schließlich einen Zaun als Sicherheitsabsperrung. Während der Zaun, der Israel und die Palästinensergebiete trennt, in den Medien täglich präsent ist, ist der zweite Fall, ein Trennungszaun zwischen Indien und Pakistan im umstrittenen Kaschmir kaum bekannt. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?

Der israelische Zaun hat es nun sogar bis vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht. Auf Antrag der UN-Vollversammlung soll dort ein Gutachten über die völkerrechtlichen Konsequenzen des Trennungszaun erstellt werden. Zuvor hatte die UN-Vollversammlung den Bau des Zauns verurteilt und Israel in einer Resolution dazu aufgerufen, den Bau zu stoppen und die bereits errichteten Teile wieder abzumontieren. Das Gutachten aus Den Haag wird kein bindendes Urteil sein, es ist Aufgabe der UN daraus Konsequenzen zu ziehen, dennoch könnte es entscheidend zur allgemeinen Meinungsbildung beitragen. Neben der palästinensischen Delegation, die gestern früh als erstes gehört wurde, werden insgesamt 12 Staaten vorsprechen, Israel, die USA und die Europäische Union haben ihre Stellungnahmen bereits schriftlich eingereicht. Erstmals finden auch die "Arabische Liga" und die "Islamische Konferenz" Gehör.

Israel spricht den Richtern grundsätzlich die Zuständigkeit ab, in diesem Falle ein Gutachten zu erstellen, es handele sich um eine rein innen- und sicherheitspolitische Entscheidung. Die palästinensische Seite argumentiert dagegen, dass der Zaun dazu diene, den Grenzverlauf noch vor den Verhandlungen über die Gründung eines Staates Palästina zugunsten Israels zu verändern. Auch die Europäische Union ließ verlauten, dass sie den Verlauf des Zauns zwar nicht billige, der Konflikt ließe sich jedoch nur politisch lösen. Aus Washington hieß es sogar, dass die richterliche Begutachtung kontraproduktiv sein und die Friedensbemühungen behindern könnte.

Beständige Diskussionen in Israel

Die Anhörung behandelt die "Rechtlichen Konsequenzen des Baus einer Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten". Im Zentrum des Gutachtens wird dabei vermutlich der Verlauf des Zauns stehen, denn die Legitimität eines Grenzschutzes kann nicht in Zweifel stehen. Israel hat den Zaun jedoch nicht auf der so genannten "Grünen Linie", also auf dem Grenzverlauf vor 1967, errichtet, sondern größtenteils auf palästinensischem Gebiet, wodurch an mehreren Stellen Enklaven entstehen, die ihren Bewohnern den Zugang aus allen Richtungen verwehren.

Die Kritik am Zaun ist daher durchaus gerechtfertigt und damit konsequenterweise auch die Anhörung in Den Haag. Wie immer, wenn es um israelische Belange geht, stehen jedoch in der öffentlichen Meinung nicht die Fakten zur Diskussion, die Fakten werden vielmehr als Anlass zu einer breiten antiisraelischen und antijüdischen Propagandafront genutzt. Der Vergleich von den zwei Zäunen, in Israel und Indien, ist verlockend, aber er lässt genau jenen entscheidenden Faktor außer Acht, den Antisemitismus. Antisemitismus ist es auch, was die meisten Israelis hinter der Anhörung und den Unterstützern dieses Gutachtens vermuten.

Selbstverständlich, das sei in aller Deutlichkeit gesagt, sollen weder den Richtern in Den Haag noch den Vereinten Nationen antisemitische Absichten unterstellt werden. Sie haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Israel von neutralem Standpunkt aus gerecht und den Fakten nach zu beurteilen. Kritik an der Politik Israels ist nicht per se antisemitisch. Es gibt keine "Antisemitismus"-Keule, die geschwungen wird, sobald jemand es wagt, etwas Negatives gegen Ariel Scharon zu sagen.

Es geht vielmehr darum, was in den Medien, in der Öffentlichkeit, in den Köpfen der Fernsehzuschauer und der Zeitungsleser daraus gemacht wird. Israel wird zum Besatzungsmonster, Israel kann endgültig der Opferstatus abgesprochen werden: Wie können die Juden anderen das antun, was man ihnen angetan hat? An dieser Stelle soll jedoch der Frage des Antisemitismus/Antizionismus nicht weiter nachgegangen werden, denn dies ist ein Regale füllendes Thema für sich. Anstatt also Israel als ganz "normalen" Staat mit ganz "normalen" Argumenten zu beurteilen, wird mit historisch abstrusen Vergleichen um sich geworfen, Rassentrennung und Holocaust sind die Schlagwörter, die bemüht werden, die Palästinenser leben im "Ghetto" und der Zaun ist eine "Apartheids-Mauer".

Immer wieder frappierend ist die Tatsache, dass Israel in den Medien als scheinbar homogene Einheit dargestellt wird. Selbstverständlich gibt es auch in Israel Gegner des Trennungszauns bzw. seines Verlaufes. Seit dem Baubeginn gibt es beständige Diskussionen über den Zaun, die Abendnachrichten berichteten immer wieder von besonders umstrittenen Stellen, die den Palästinensern den Alltag unmöglich machen, so beispielsweise auch vom Tod eines Kleinkindes, das durch den Umweg, den der Zaun erzwingt, schwerkrank erst nach 45 Minuten beim Arzt ankam. Die verschiedenen Friedensinitiativen (vgl. Die Mauer des Schweigens überwinden) demonstrieren seit Monaten immer wieder, wie beispielsweise in "Abu Dis". Die oppositionelle Arbeitspartei, die den Zaun grundsätzlich befürwortet und für legitim erklärt, betont immer wieder, dass der Verlauf des Zaunes auf der Linie von 1967 liegen müsse.

Davon abgesehen, gibt es ja tatsächlich auch Argumente, die für den Zaun sprechen, gesetzt den Fall, dass er auf israelischem und nicht besetztem Gebiet verläuft. Ob er helfen kann, weitere Selbstmordanschläge zu verhindern, wird immer wieder angezweifelt, dass die Anschläge weniger geworden sind, ist jedoch auch Tatsache. Nach dem gestrigen Attentat auf einen Bus in Jerusalem, bei dem 8 Menschen starben und über 60 zum Teil schwer verletzt wurden, betonte Justizminister Josef Lapid, der Anschlag hätte nicht ausgeführt werden können, wäre die Barriere schon fertig gebaut. Es gibt kein besser überwachtes Land als Israel, überall muss man die Taschen öffnen, wird gescannt, befragt, an jeder Ecke stehen Polizei und Militär, die Busse werden von speziellen Sicherheitskräften überwacht. Der Anschlag gestern konnte trotzdem nicht verhindert werden, der Sicherheitsmann war gerade ausgestiegen, als der Attentäter seine Bombe zündete. Die einseitige Abschottung erscheint für viele die einzige Antwort, denn auch ein palästinensischer Staat wird den Hass der Selbstmordattentäter nicht mindern.

Die Hasbarah

Damit ist ein weiteres Problem Israels angesprochen, die Hasbarah. Hasbarah ist das hebräische Wort für Propaganda im Sinne von Aufklärung. Trotz des urisraelischen Wortes, ist Israel relativ schlecht in der eigenen Umsetzung. Ungeschickte Aktionen der Politik, unklare Aussagen der Armee, in der Zeit seit der zweiten Intifada gibt es zahlreiche Beispiele, man denke nur an Jenin, wo die Hasbarah gründlich gescheitert ist. Im Falle des palästinensischen Terrors sollte die Sache einfacher darzustellen sein, deswegen hat sich die israelische Regierung auch dazu entschlossen, keine offizielle Abordnung nach Den Haag zu schicken, sondern stattdessen eine Gruppe von 18 Terroropfern. Sie zeigten bei einer stillen Kundgebung gestern Morgen die Bilder von 926 israelischen Opfern des palästinensischen Terrors und standen bereits gestern den Medienvertretern aus aller Welt Rede und Antwort. Zusätzlich wurde ein Autobus, der vor zwei Wochen im Zentrum Jerusalems explodierte und für neun Menschen den Tod bedeutete, von der Organisation Zaka nach Den Haag gebracht.

Doch wie weit darf die öffentliche Darstellung der Opfer zu Hasbarah-Zwecken gehen? Beim letzten Anschlag Ende Januar stellte das Außenministerium im Hinblick auf die Anhörung in Den Haag auf seinen Internetseiten ein Video zum Download zur Verfügung (vgl. Die Macht der (grausamen) Bilder), das den Bus unmittelbar nach dem Anschlag zeigte. Grauenvolle Bilder von zerfetzten Menschen waren da zu sehen, Innereien auf den Sitzbänken, Körperteile auf der Strasse. Die Maßnahme wurde in Israel stark kritisiert, zum einen weil die Bilder derart grauenvoll waren, zum anderen da das Andenken der Opfer gewahrt werden sollte. Die Hasbarah-Abordnung in Den Haag ist also "nur" mit Hochglanzbroschüren ausgestattet, die den Terror und das Leid seiner Opfer verdeutlichen sollen. Mit den Bildern von Opfern lässt sich nur begrenzt ein "Hasbarah-Feldzug" organisieren, das wird in Den Haag klar, zumal es doch der anderen Seite darum geht, Israel genau diesen Opferstatus abzusprechen.

Dass der internationale Druck trotz allem durchaus nötig ist, um den Verlauf des Trennungszauns zu ändern, hat der gestrige Tag bereits bewiesen. Kurz vor der Anhörung hat Israel damit begonnen, eine acht Kilometer lange Strecke abzureißen, um sie fünf Kilometer weiter nach Westen, direkt auf die "Grüne Linie", zu verlegen. Das Teilstück wurde seit langem diskutiert, da es das Gebiet von einigen palästinensischen Dörfern durchschnitt. Die Bewohner zeigten sich gestern zufrieden, da der Verkehr zwischen den Orten nun wieder fließen kann, doch war man sich auf palästinensischer Seite sicher, dass der Abriss als taktischer Schachzug Israels vor der Anhörung zu werten sei. Tatsächlich ist der Zeitpunkt reichlich ungeschickt gewählt, wenn es denn so ist, dass die Entscheidung schon seit längerem gefallen war, wie beispielsweise Minister Usi Landau gestern betonte. Damit wären wir wieder beim Thema Hasbarah, denn auch die schönste Aufklärungskampagne nutzt nicht, wenn die Regierung hinterher durch ungeschicktes Taktieren die Wirkung zunichte macht.

Letztendlich wird dies alles jedoch keine Einwirkungen auf die 15 Richter in Den Haag haben. Dieser Meinung kann man zumindest sein, wenn man den Internationalen Gerichtshof ernst nimmt. Das Gericht wird ein Gutachten erstellen, das Israel zwar ignorieren kann, nicht jedoch seine Auswirkung auf die öffentliche Meinung, egal welcher Art sie sein wird. Doch auch in Israel sollte man das Gericht ernst nehmen und in Zukunft auf Stellungnahmen solcher Persönlichkeiten wie Alan Dershkowitz verzichten. Der bekannte Harvard-Professor sagte den Reportern des ersten israelischen Fernsehens, die Richter in Den Haag seien lediglich Puppen und am ehesten mit den drei Affen zu vergleichen, nur leider wäre es nur so, dass sie nicht sehen und hören, wohl aber sprechen.