"Mit Sozialdemokraten und Grünen geht die Zeitenwende in die falsche Richtung"
Mena Winkler und Ekkehard Lentz über die eine Friedensdemonstration in Berlin, Versionen einer Zeitenwende und weiße Fahnen in der Ukraine.
Mena Winkler ist aktiv für das Bündnis "Zivile Zeitenwende" und Mitinitiatorin einer Demonstration heute in Berlin. Ekkehard Lentz vertritt das Bremer Friedensforum in dem Bündnis. Es ist die erste bundesweite Demonstration seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine.
Sie wenden sich am heutigen Samstag mit einer Demonstration gegen die militärische Eskalation in Osteuropa, gegen Aufrüstung. Ihr Bündnis spricht auch von einer Zeitenwende. Damit greifen Sie einen Begriff von Bundeskanzler Olaf Scholz auf. Welche Zeitenwende möchten Sie denn?
Mena Winkler: Zunächst muss man dazu ja sagen, dass das Produktionsniveau hoch und die gesellschaftlichen Möglichkeiten für ein gutes Leben sehr groß sind. Beispielsweise sind die technologischen Möglichkeiten da, eine Energiewende umzusetzen. Gesundheit für alle könnte sofort realisiert werden. Wir könnten den Hunger weltweit unverzüglich beenden.
Es ist möglich, eine emanzipatorische Entfaltungsmöglichkeit für alle zu schaffen, mit guter Arbeit, mit Bildung, mit Kultur. Das verstehen wir unter einer Zeitenwende, an der alle mitwirken können.
Es hat seit der dem russischen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar eine ganze Reihe große Demonstrationen für die Ukraine gegeben. Bei den Ostermärschen der Friedensbewegung sah es ein wenig anders aus. Die Organisatoren haben zwar von einem Erfolg gesprochen, aber keine Zahlen veröffentlicht. Wie viele Teilnehmer erwarten Sie denn heute?
Mena Winkler: Angemeldet sind 5.000 Teilnehmer. Die Leute kommen aus verschiedenen Städten mit Bussen und Zügen, aus Hamburg etwa, aus Bremen und aus NRW. Und wichtig finde ich dazu, dass die Friedensbefürwortung in Deutschland, auch in Konsequenz des Faschismus, sehr hoch ist. Die schnelle Durchsetzung dieses 100-Milliarden-Euro-Pakets ist ein Anzeichen dafür, dass dieser Nachkriegskonsens von Seiten der Regierenden unterlaufen werden soll.
Wichtig ist vor diesem Hintergrund, dass die bundesweite Friedensbewegung jetzt wieder in Berlin zusammenkommt und sich auch austauschen kann. Wir haben die Unterstützung von über 130 Organisationen und 50 einzelnen Unterstützern. Und es kommen täglich neue dazu.
Das ist für mich eine gute Ausgangslage, um mehr Menschen zu überzeugen und aufzuklären.
Der Ukraine-Krieg ist schließlich nur ein vorgeschobener Anlass, um diese 100-Milliarden-Aufrüstung umzusetzen und durchzusetzen.
Herr Lentz, wie ist denn die Resonanz im sozialdemokratischen Spektrum? Unter den Unterstützern, die auf Ihrer Homepage ausgewiesen werden, finden sich keine entsprechenden Unterstützer.
Ekkehard Lentz: Das ist auch sehr schwierig, wenn die SPD in der Bundesregierung ist und eine der treibenden Kräfte hinter dem 100-Milliarden-Sondervermögen ist.
Bei unserem Ostermarsch in Bremen hat Redner Sören Pellmann bestätigt, dass dieses Sondervermögen bereits im Oktober besprochen worden war, also lange vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine.
Vor diesem Hintergrund ist klar, dass mit Hilfe der Sozialdemokraten und der Grünen eine Zeitenwende in die falsche Richtung eingeleitet wird. Und das ist ja nicht ganz neu. Wir haben 1999, nach dem Krieg gegen Jugoslawien, die Bombardements auf Belgrad erlebt. Und auch das ist damals relativ kurz nach dem Regierungseintritt von SPD und Grünen erfolgt.
Ähnlich gestaltet sich das auch in diesem Fall, in dem ein massives Rüstungsprojekt durchgepeitscht werden soll. Da hat der Einmarsch in die Ukraine natürlich eine gute Gelegenheit geboten, die alte Angst vor dem Russen zu instrumentalisieren und diese Pläne im Hau-Ruck-Verfahren durchzusetzen.
Sie haben den Linken-Abgeordneten Pellmann angesprochen. Dessen Ostermarsch-Rede ist aber von der lokalen Homepage der Linken allerdings entfernt worden. Also gibt es nicht einmal dort einen Konsens zu friedenspolitischen Fragen. Was bedeutet das für Ihre Haltung zu Parteien?
Ekkehard Lentz: Ich bin ein vehementer Befürworter von breiten Bündnissen und habe mich mein ganzes politisches Leben immer dafür eingesetzt, dass wir das Gemeinsame suchen und das Trennende beiseiteschieben. Das war auch das Erfolgsrezept der Friedensbewegung der Achtzigerjahre. Das halte ich auch nach wie vor für richtig.
Aber in solchen Situationen wie jetzt, in der die Regierungspolitik von Sozialdemokraten und Grünen verantwortet wird, ist es natürlich schwieriger, auch die kritischen Mitglieder zu erreichen. Die Gesprächskontakte sollten wir aber auf jeden Fall immer wachhalten. Das tun wir auch, zumindest in unserem lokalen Bereich.
Die Rede von Pellmann ist inzwischen übrigens auf der Website der Linkspartei in Bremen wieder drauf, mit erklärenden Ausführungen der Verantwortlichen in der Bremer Linkspartei. Es ist in der Tat so, dass der Bremer Landesverband Waffenlieferungen in die Ukraine unterstützt. Es gibt dort aber keinen Konsens in dieser Frage.
Herr Lentz hat gerade die "alte Angst vom Russen" angesprochen. Zu Sowjetzeiten sind Friedensaktivisten im Westen von politischen Gegnern ja öfter etwas gehässig aufgefordert worden, in Moskau zu protestieren. Dennoch die Frage auch heute: Müsste sich ein Protest nicht auch an die Regierung von Wladimir Putin richten? Müssten nicht auch dort die Friedensbewegung aktiv unterstützt werden, so wie es ja auch in den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts immer versucht wurde?
Mena Winkler: Nochmal kurz zur Frage davor. Es ist historisch immer so gewesen, dass auch progressive Kräfte nicht immer mit einer Stimme gesprochen haben. Das kann man sich auch bei Karl Liebknecht anschauen, der durchaus ähnlichen Debatten geführt hat, wie sie heute stattfinden.
Und aktuell gibt es ja auch in den Reihen von SPD und Grünen Neinsager, die den 100 Milliarden auch nicht zugestimmt haben. Wir sind teilweise auch mit denen in Kontakt und versuchen heute in Berlin Grußworte von diesen Personen zu bekommen. Bei den Linken ist es so, dass auf dem letzten Bundesparteitag eine Mehrheit der Mitglieder diese Demo unterstützt hat.
Es ist eben wichtig, diese Diskussionen zu führen und darauf zu setzen, immer mehr Leute zu überzeugen.
Zu der Frage der Proteste gegen Putin in Russland: Es ist wichtig, dass man weltweit als Friedensbewegung zusammenkommt und zusammenwirkt. Auf der Demo heute werden aus Griechenland und Italien Gewerkschafter zu Wort kommen, die dort Rüstungsexporte in den Häfen blockieren. Es wird auch ein Grußwort von der US-amerikanischen Friedensbewegung geben.
Bezogen auf Russland und die Ukraine werden auch Kontakte gesucht, sowohl mit der russischen als auch mit der ukrainischen Friedensbewegung. Es ist gut und wichtig, als Zivilbevölkerung eine Alternative zu den Regierenden aufzuzeigen. Da gibt es, wie ich finde, faszinierende Beispiele, wenn etwa in der Ukraine Leute Panzern mit weißen Fahnen entgegentreten oder Straßen symbolisch nach Den Haag umbenennen, um die Unvereinbarkeit dieses Krieges mit dem Völkerrecht aufzuzeigen.
Sie sagen, Sie wollen diese Kontakte ausbauen. Also es gibt noch keine Kontakte jetzt nach Kiew und Moskau?
Mena Winkler: Auf der Demo selber jetzt nicht. Aber es gibt Kontakte zu auch Aktivistinnen und Aktivisten in Russland und der Ukraine.
Die Friedensfrage immer auch eine soziale Frage. Wird die Haltung zum Krieg Russlands gegen die Ukraine im Endeffekt nicht am Ende auf einer ganz anderen Ebene entschieden werden? Wenn hier im Herbst das Gas ausgeht, wenn die Inflation weiter steigt, wenn die Energiepreise weiter steigen?
Ekkehard Lentz: Das ist gut möglich. Aber ich gehe auch davon aus, dass vielen Menschen in unserem Land noch gar nicht klar ist, was auf sie zukommt, was an Kosten auf sie zukommt und was wir letztendlich für diesen Krieg auch zu zahlen haben. Da werden sicherlich auch die Gewerkschaften eine hohe Verantwortung haben und deshalb ist der Appell „Abrüsten statt aufzurüsten“ von 2017 aktueller denn je. Ich glaube, dass da die kommenden Aktivitäten auch zum Antikriegstag eine wichtige Rolle spielen. Die IG Metall Berlin unterstützt die Demo heute übrigens.
Mena Winkler: Es stimmt, dass die Friedensfrage immer auch eine soziale Frage ist. Daher ist es wirklich positiv, wenn die Länder über die Weltwirtschaft miteinander verbunden sind, also die Bevölkerung auch auf dieser Ebene miteinander agieren kann. Es wäre der richtige Weg, diese Kooperation weiter aufzubauen, auch, um sich gegen die aufkommende Hungerkrisen zu wappnen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass dieser Krieg nicht auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird. Das meinen wir mit der notwendigen zivilen Zeitenwende.