Mit Wasserstoff zu "grünem Stahl"

Der Traum vom grünen Kapitalismus: Genauso viel auf Verschleiß produzieren wie früher, nur irgendwann klimaneutral. Grafik: akitada31 auf Pixabay (Public Domain)

Warum die Branche in Sachen Klimaneutralität mehr Zeit und staatliche Zuschüsse beansprucht

Wasserstoff gilt als großer Hoffnungsträger: Mit ihm soll die deutsche Industrie klimaneutral werden. Die Stahlbranche will ihre Produktion umstellen, weg vom Koks und hin zur Direktreduktion des Eisenerzes mittels Wasserstoffs. Die Unternehmen liefern sich ein Wettrennen, wer als erstes "grünen" Stahl in ausreichenden Mengen produzieren kann.

Angetrieben wird die Stahlbranche von ihren Kunden. So will zum Beispiel Daimler seine Lieferkette bis 2039 dekarbonisieren und seine Lieferanten auf eine CO2-neutrale Produktion verpflichten. Das gleiche wollen Volkswagen und BMW genauso wie andere Produzenten. In Sachen Klimaschutz wäre es ein erheblicher Schritt nach vorn, sollte der baldige Umstieg der Stahlbranche auf Wasserstoff gelingen. In der Bundesrepublik ist die Stahlbranche für den Ausstoß von 40 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr verantwortlich, was etwa sechs Prozent der bundesweiten Emissionen sind und fast einem Drittel der Gesamtemissionen der deutschen Industrie entsprechen.

ThyssenKrupp will nicht bis 2045

Während die Bundesregierung das Ziel festgelegt hat, im Jahre 2045 solle Deutschland klimaneutral sein, will sich die Stahlbranche noch mehr Zeit lassen. Der größte deutsche Hersteller, ThyssenKrupp, will es bis 2050 geschafft haben; der zweitgrößte, Salzgitter, will bis zum selben Jahr seine Emissionen um 95 Prozent senken.

Ein Grund dafür dürfte sein, dass sich in absehbarer Zeit gar nicht so viel "grüner" Wasserstoff auftreiben lässt, wie die Branche beansprucht. "Grüner" Wasserstoff wird durch die Spaltung von Wasser gewonnen, wofür erhebliche Mengen Strom aus erneuerbaren Quellen benötigt werden. ThyssenKrupp allein hat einen Bedarf von rund 700.000 Tonnen Wasserstoff - und sollte dieser aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden, dann müssten mehr als 3.000 zusätzliche Windkraftanlagen errichtet werden, um den Bedarf zu decken.

Wohl 12.000 zusätzliche Windräder nötig

Die IG Metall schätzte einmal, dass für die gesamte Branche rund 12.000 zusätzliche Windräder der Fünf-Megawatt-Klasse benötigt würden. Das ist kein unerheblicher Bedarf, wie der Vergleich mit der Zahl der bestehenden Anlagen zeigt: für Ende Juni 2021 gab der Bundesverband Windenergie die Gesamtzahl aller Anlagen an Land mit 29.715 an.

Bis die benötigte Infrastruktur aufgebaut ist, setzt die Stahlbranche auf Erdgas. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich über ThyssenKrupp berichtete, soll die Produktion mit Erdgas bereits die Hälfte der Emissionen einsparen. Im Salzgitter-Konzern sollen neue Anlagen zum Einsatz kommen, die sowohl mit Wasserstoff, Erdgas und Gemischen aus beiden Gasen betrieben werden können, hat das Handelsblatt erst jüngst berichtet.

Das Rad neu erfinden müssen die deutschen Unternehmen dafür aber nicht: Das Verfahren ist bereits erprobt. In den USA werden etwa zwei Drittel des Stahls unter Einsatz von Erdgas produziert. Was den deutschen Konzern allerdings fehlt ist das nötige Kapital. Allein ThyssenKrupp rechnet mit Investitionen in Höhe von zwei Milliarden Euro bis 2030. Für den Gesamtumstieg sollen rund acht Milliarden Euro nötig sein.

Deshalb lobbyieren Branchenvertreter, um Zuschüsse von der Bundesregierung zu erhalten. Offenbar sind derartige Ersuchen in den Ministerien auf fruchtbaren Boden gefallen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat laut FAZ Unterstützung zugesagt. "Die Bundesregierung wird die Stahlindustrie bei der Transformation nicht alleinlassen", hat sie demnach gesagt.