Mit der dritten Welle in den Oster-Lockdown?

RKI-Chef Wieler und Gesundheitsminister Spahn vor dem Problem der politischen Balance zwischen Corona-Fallzahlen, die sich "auf einem zu hohen Niveau eingependelt" haben, und dem Unmut der Bevölkerung

Das "große Problem des langsamen Anstiegs der Ansteckungen" und die Hoffnung, die mit den Impfungen verknüpft sind, dominieren die gegenwärtige Corona-Lage in Deutschland.

"Die Lage bleibt angespannt, die Fallzahlen steigen wieder, langsam zwar, aber sie steigen und die Mutationen breiten sich aus", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn zum Auftakt der freitäglichen Presskonferenz mit RKI-Chef Lothar Wieler: "Wir müssen uns noch auf einige sehr herausfordernde Wochen einstellen."

"Als hätte sich eine Bremse gelöst"

Den Anstieg verzeichnet auch der Spezialist für Corona-Zahlen bei der Welt, Olaf Gersemann, dessen Arbeit man nicht vorwerfen kann, dass er sich damit zum Regierungssprecher macht. Auch Gersemann verzeichnet einen Aufwärtstrend bei den Corona-Fallzahlen in Deutschland. Gemessen am 7-Tage-Schnitt und an der Zahl der aktiven Fälle im Vorwochenvergleich, sei der Anstieg der Fallzahlen über Wochen vergleichsweise verhalten gewesen, aber jetzt nehme er Fahrt auf.

"Es ist, als hätte sich eine Bremse gelöst". Schaut man sich die dazugehörige Grafik, so sieht man, dass die aktiven Fälle seit Mitte Februar ansteigen. Allerdings liegt der Anstieg noch weit unter den hohen Ausschlägen im Oktober letzten Jahres.

Von einmaligen Ausreißern, so Gersemann, könne man anhand der Dynamik der jüngsten Zeit nicht sprechen. Man findet bei ihm noch ein paar Zahlen, die einen gewissen Trend bestätigen: Die Zahl der freien Intensivbetten in Deutschland sei mit 3608 auf ein Zwei-Wochen-Tief gesunken und die Zahl der Covid-19-Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden, gehe "nur noch sehr langsam zurück".

Das große Problem des langsamen Anstiegs führe dazu, dass unsere Alarmglocken nicht klingeln, warnt die Physikerin Viola Priesemann, spezialisiert auf Ausbreitungsprozessen in komplexen Systemen. Sie wurde in der Diskussion zur Null-Covid-Strategie einer größeren Öffentlichkeit über ein Wissenschaftspapier bekannt, das eine Strategie rigider Maßnahmen empfahl (Ist eine "Null-Covid-Strategie" sinnvoll, aber nicht durchführbar?).

Die Diskussion über solche Strategien, die die Inzidenzen radikal weit nach unten treiben wollen, ist erstmal vom Tisch. Wobei ein Oster-Lockdown, wie er sich gerade in Italien ankündigt, nicht unwahrscheinlich ist.

Es geht angesichts des wachsenden Unmuts der Bevölkerung politisch um eine Balance, wie Spahn erklärte - und darum, an das Durchhaltevermögen zu appellieren. Das übernahm Lothar Wieler vom RKI.

Pandemie als Marathon

Wieler beschwor das Bild eines Marathons. Die Pandemie verglich er mit dem letzten anstrengenden Drittel des olympischen Dauerlaufes. Dort befinde man sich jetzt.

Der RKI-Chef mahnte wie immer zur Vorsicht. In Deutschland stehe man am Anfang der dritten Welle, die man so flach halten solle wie möglich. Das Gesundheitssystem sei stark belastet, die Fallzahlen hätten sich seit einiger Zeit "auf einem zu hohen Niveau eingependelt". Bei den Unter-60-Jährigen steige die Inzidenz sogar wieder an und seit Mitte Februar auch die Inzidenz bei den Unter-15-Jährigen - "und zwar sehr rasant".

Wir sehen auch wieder mehr Kita-Ausbrüche. Sogar noch mehr als vor Weihnachten. Es könnte sein, dass hier die ansteckendere Variante B.1.1.7 eine Rolle spielt. B.1.1.7 breitet sich ja insgesamt sehr rasch in Deutschland aus.

Lothar Wieler

Wieler nahm den Faden des Gesundheitsminister auf, der als Hoffnungsbotschaft verkündete, dass in den Pflegeheimen die meisten geimpft seien. "Viele der Über-80-Jährigen sind geimpft oder haben einen zeitnahen Impftermin", sagte Spahn und: "In einigen Bundesländern bereits auch die ersten Über-70-Jährigen."

"Die Zahlen der Infektionen, Krankenhausbehandlungen und Todesfällen der Höchstbetagten und Älteren gehen deutlich zurück."

Wieler bekräftigte: "Die Impfungen weisen uns den Weg aus der Pandemie." Sie seien neben "unserem verantwortungsvollen persönlichen Verhalten" das mächtigste Werkzeug.

Söder: In Dauernähe zum jeweils neuesten Startblock

Das hat die große Spürnase unter den Landespolitikern mit Drang zum bundespolitischem Glanz, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, längst ausfindig gemacht. In der südlichen Provinz Deutschlands, die trotz der Söderschen Sorgfalt immer wieder mit ziemlich hohen Corona-Fallzahlen beeindruckt, machte er am Freitag Schlagzeilen mit den nächsten Ankündigungen: Schon ab April soll in Bayern die Hausärzte mit dem Impfen anfangen, lautet eine.

Es fehle zwar im Augenblick noch an Impfstoff, man wolle aber mit dem Vorstoß, über die niedergelassenen Praxen gegen Corona zu impfen, auch als "Vorbild für die anderen Bundesländer dienen", wird Söder in Presseberichten zitiert.

Angemerkt wird dort, dass der Inzidenzwert in Nürnberg zwar über 100 liege, Söder die Lage dennoch gut bewerte: "In Nürnberg läuft alles super."

Hellhörig macht die andere Ankündigung. Sie ist eine Wiederholung früherer Andeutungen, eine Idee, die schon länger am Startblock ist: Söder betonte, dass es zwar keine Impfpflicht geben werde. Aber er sprach erneut davon, "dass Geimpfte durchaus mehr Rechte und mehr Freiheiten haben sollen".