Mittelmeer: Türkei droht mit "Grund zum Krieg"
Die nächste Machtprobe: Was kann die EU bewirken?
Aus der türkischen Regierung kommen kriegerische Töne. Sollte Griechenland seine Territorialgewässer in der Ägäis ausweiten, wäre das "ein Grund für einen Krieg", wurde der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu am Wochenende zitiert; auch Vizepräsident Fuat Oktay sprach von einem "Kriegsgrund" (Tagesschau).
Am gestrigen Sonntag legte Präsident Erdogan nach. Er warf den Regierungen in Griechenland und Frankreich "Geldgier" und "Inkompetenz" vor und drohte mit höchstem Einsatz: "Wenn es ums Kämpfen geht, sind wir bereit, Märtyrer zu werden." Ob diejenigen, "die sich gegen uns im Mittelmeer auflehnen, zu den gleichen Opfern bereit" seien?
"Akzeptiert das griechische Volk das Risiko, in dem es wegen seiner geldgierigen und inkompetenten Anführer ist?" und "Weiß das französische Volk um den Preis, den es wird zahlen müssen, wegen seiner geldgierigen und inkompetenten Anführer?" (Spiegel).
Ist es nur Rhetorik? Auf jeden Fall ist es eine Machtprobe, der mit bisherigen Lösungsmechanismen offenbar nicht beizukommen ist: diplomatisches Neuland. Weder die EU noch die Nato lassen gegenwärtig ein tragfähiges Konzept erkennen, um der Krise beizukommen.
"Blue Homeland"
Im Fall der Türkei ist aufgrund der Erfahrungen, die in Syrien, im Irak und in Libyen gemacht wurden, nicht auszuschließen, dass den Drohungen und Ankündigungen militärische Aktionen folgen können. Dass im Mittelmeer militärische Manöver abgehalten werden - von Frankreich, Griechenland und Zypern einerseits und andererseits von der Türkei, Italien und den USA (!), dass sich auch im Himmel über dem Mittelmeer aggressive Szenen abspielen, sind keine entspannenden Signale, sondern Zeichen eines Trends zur Militarisierung im Mittelmeer.
Das Problem ist, dass es sich nicht bloß um einen "Gasstreit" handelt, wie die Konfrontation zwischen der Türkei, Griechenland und Zypern öfter bezeichnet wird, bei der sich Frankreich innerhalb der EU und der Nato als stärkster Widersacher der türkischen Mittelmeerpolitik positioniert. Der türkische Anspruch geht über den Streit über Ressourcen hinaus. Der ist eingebettet in ein nationalistisches Großprojekt, das einen Führungsanspruch im Mittelmeer reklamiert, der mit der "Blue Homeland"-Doktrin überschrieben (ausführlicher hier) wird.
In dieses Projekt, das zur neo-osmanischen Politik Erdogans gehört, ist auch Libyen eingebunden und sogar die Sahelzone, was mit den regionalen Machtinteressen Frankreichs kollidiert. Beobachter aus Think Tanks ziehen angesichts der Ambitionen Ankaras, wo man bisher gültige Verträge revidieren will, einen großen Rahmen auf: Die Türkei dränge in einen politischen Freiraum, der sich durch die abnehmende Dominanz der Supermacht USA aufgetan hat. Die Karten werden neu beschrieben.
Die Türkei hat sich militärisch mit ihrer Drohnentechnologie, dem Einsatz von kriegserfahrenen Söldnern und der Bereitschaft, Angriffskriege zu führen, um nationale Interessen durchzusetzen, zu einer einschüchternden Macht entwickelt, mit der sich Gegner wie auch Partner schwertun. Die Nato wäre da als Beispiel zu nennen, aber auch Russland in Syrien.
Die EU in der Klemme
Die EU sitzt beim Streit zwischen Griechenland, Frankreich und der Türkei besonders in der Klemme, da sie über den Flüchtlingsdeal mit Ankara einer fortwährenden Drohung ausgesetzt ist, dass Erdogan die "Schleusen" neu öffnen könnte, worauf er immer wieder zurückgreift.
Dazu kommen, vor allem in Deutschland, auch Wirtschafts- und Handelsinteressen und die ganz eigenen Beziehungen über die Deutschtürken. Dass aus Deutschland Waffen und technologisches Know-how etwa für die Entwicklung von Drohnen, in die Türkei exportiert werden, fügt dem noch einen weiteren brenzligen Aspekt und ein Hemmnis, mit größerer Strenge gegen Ankara vorzugehen, hinzu.
Bislang droht die EU - unter der Ratspräsidentschaft Deutschlands - eher halbherzig mit Sanktionen (und offeriert "ein paar Karotten" bei Zollvereinbarungen und Flüchtlingshilfen) gegen die Türkei, sollte sie im Streit mit Griechenland nicht einlenken. Erdogan gibt sich wenig beeindruckt von der Ankündigung. Er rechnet augenscheinlich nicht damit, dass der politische Wille in der EU stark genug ist, um empfindlichen Sanktionen zu verhängen. Die EU hätte dazu wirtschaftliche Mittel, würde damit aber ein Risiko eingehen, das sie scheut.
Griechenland und Zypern (…) klagten über deutsche "Doppelstandards". Dass Maas und Kanzlerin Merkel harte Kante gegen Lukaschenko und Zar Putin zeigen wollen, nicht aber gegen den türkischen Sultan Erdogan, können sie nicht verstehen. Es paßt ja auch nicht zusammen. Denn bei Erdogan geht es um aggressive Politik gegen zwei EU-Mitglieder, die neuerdings sogar mit kaum verhohlenen Kriegsdrohungen verbunden wird. Bei Lukaschenko hingegen geht es um ein Land, das der EU (bisher) nichts getan hat und nicht einmal um Annäherung bemüht ist. Um den Widerspruch aufzulösen, haben die Außenminister nun auch der Türkei mit Sanktionen gedroht. Allerdings dürfte sich Erdogan von dem "Ultimatum" am 24. September nicht beeindrucken lassen.
Eric Bonse
Anderseits sieht es derzeit auch nicht danach aus, als ob die EU dazu bereit oder fähig wäre, ihre Mitgliedsländern Griechenland und Frankreich dazu zu bewegen, im Streit über Seerecht und territoriale Ansprüche den türkischen Forderungen nachzukommen. Nach dem Motto klein beigeben, heißt der nächsten türkischen Forderung Vorschub leisten.
Das bedeutet nach Stand der Dinge, dass sich der Streit über territoriale Ansprüche, ausschließliche Wirtschaftszonen und das Seerecht im Mittelmeer weiter fortsetzen wird. Auch aus der Nato kommen keine Signale, die einen Lösungshorizont aufmachen. Aber vielleicht zeichnet sich beim EU-Ratstreffen am 24./25. September doch ein Lösungsansatz ab.