Mosul: 750.000 Menschen sitzen "in der Falle"

Zerstörung In Mosul. Quelle: IS-Propagandaarm Amaq

UN-Hilfsorganisation setzt wegen der schlechten Sicherheitssituation in der Stadt Lieferungen vorübergehend aus

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Die UN hat ihre Hilfsleistungen für Mosul vorläufig eingestellt, weil die Sicherheitssituation die Fortsetzung momentan nicht zulasse, gab Lise Grande, zuständig für die Koordinierung der humanitären Hilfe im Irak, am Mittwoch bekannt.

Dabei hat die Bevölkerung Hilfe und Versorgung dringend nötig. Im dicht bevölkerten Westteil der Stadt sollen 750.000 Menschen "in der Falle sitzen", es komme kaum Nachschub durch, mahnt die Hilfsorganisation Oxfam. Deren Chef der Abteilung Irak, Andres Gonzales, fürchtet, dass demnächst alles noch viel schlimmer wird:

Die nächste Kampfphase bringt die höchsten Risiken für die Zivilisten. Der Gedanke, dass Familien inmitten schwerster Kämpfe festsitzen, besonders in den engen Straßen der Altstadt, ohne dass sie einigermaßen sicher fliehen könnte, ist eine entsetzliche Aussicht.

Andres Gonzales

Wie immer bei Städtekämpfen im Irak und in Syrien sind die Schätzungen der Einwohnerzahlen ungenau. Nicht zu übersehen ist, dass es um Leben und Leid einer sehr großen Zahl von Menschen geht. Knapp 162.000 Binnenflüchtlinge zählt der letzte Bericht der UN-Behörde OCHA. Die meisten von ihnen leben in den Lagern der Umgebung. Etwa 30.000 sollen in die Stadt zurückgekehrt sein, nachdem es hieß, dass der Ostteil Mosuls befreit worden sei.

Die Meldungen über die Befreiung Mitte Januar waren noch Top-Nachricht in der internationalen Öffentlichkeit, danach verschwand das Geschehen in Mosul wieder aus der Aufmerksamkeit. Anders als beim Kampf in Aleppo, wo Putin und Assad in einer ungeheuren Einseitigkeit als Hauptverantwortliche für den Kriegshorror geschildert wurden und genau dieses Narrativ für Spannung sorgte, ist das Interesse der westlichen Öffentlichkeit an Mosul spärlich.

Das hat sicher damit zu tun, dass die Konstellation zwar ähnlich ist - eine nationale Armee plus Verbündete plus Supermacht gegen Dschihad-Extremisten -, es diesmal aber nicht die "Achse der Bösen" ist, die ihren Feind, der sich in der Zivilbevölkerung verschanzt, mit Luftangriffen bekämpft und Zerstörungen anrichtet. Aus Mosul wird nur die Zahl der getöteten IS-Milizen bekannt gegeben, ansonsten gibt es keine Angaben zu zivilen Opfern oder Verlusten der irakischen Armee oder gar der westlichen Allierten.

Vorschnelle Behauptungen

Aktuelle Reportagen aus der Stadt, genauer aus dem Ostteil (hier und hier), die Viertel am Westufer stehen unter Kontrolle des IS, lassen erkennen, dass ein paar vorab aufgestellte Behauptungen nicht zutreffen. Von Befreiung kann nur bedingt die Rede sein. Die Bewohner, die unter mangelnder Versorgung mit Strom, Lebensmittel, Medizin, Treibstoff für Generatoren und Heizmittel leiden, leben in einer zum Teil doch sehr viel stärker zerstörten Stadt, als man dies nach der Berichterstattung hätte erwarten können und sie leben in ständiger Furcht vor Angriffen des IS.

Nicht alle Stadtteile am Ostufer des Tigris sind befreit. Im Stadtteil Rashidija hätten die Kämpfe nie aufgehört, berichtet die New York Times.

Es hieß, dass die schiitischen Milizen nicht in Mosul eingesetzt würden, sondern nur an der Peripherie. Laut der Reportage des Australian sind sie aber sehr wohl in der Stadt präsent, um von Spezialtruppen erobertes Gebiet zu sichern - zusammen mit der irakischen Armee und der irakischen Polizei.

Daraus entstehen sehr wohl Spannungen, wie die Reportage und ein Situationsbericht der Webseite Niqash deutlich machen.

Dass die Rückeroberung bei weitem nicht in dem Tempo vonstatten geht, wie die irakische Führung und auch US-Berichte voller Optimismus verkündeten, liegt zum einen daran, dass so viele Zivilisten noch in Mosul leben - und sich die IS-Milizen mit der Bevölkerung vermischt haben, anscheinend haben sich viele den Bart abrasiert -, weswegen die US-unterstützten Elitetruppen nur langsam vorankommen, trotz markiger Ansprachen der US-Armeekommandeure ("Ihr seid umzingelt, ihr habt keine Chance").

Und es liegt an der Gegenwehr der IS-Milizen, denen es mit neuen Formen des Selbstmordattentats - zum Beispiel mit Motorrädern -, mit gut platzierten Snipern und Sprengsätzen und anscheinend immer häufiger mit Drohnen ( Der Islamische Staat steigt auf bewaffnete Drohnen um) gelingt, die Eroberer zu überraschen und aufzuhalten Darüber hinaus versetzen sie die Bevölkerung in Schrecken.

Mr. Hassoun scanned the sky for drones, then shrugged and said, "No one can say when life in Mosul will ever be normal again."NYT