Muss die Geschichte von der globalen Erwärmung neu geschrieben werden?
Von mehreren Seiten kommen wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich mit dem Bild der globalen Erwärmung nicht in Einklang bringen lassen
Glaubt man dem amerikanischen Präsidenten G.W. Bush, dann ist an der globalen Erwärmung nur Schlechtes dran, weil der Finger auf die Wirtschaft der USA zeigt. Deshalb kommt der Artikel von Chris Forest und Mitarbeitern vom Massachusetts Institute of Technology in Science veröffentlicht, gerade recht.
Die Wissenschaftler haben versucht, die Einflüsse der bisher bekannten Komponenten gegeneinander abzuwägen. Grundlage für ihre Beurteilung sind deshalb nicht neue Untersuchungsergebnisse, sondern aufwändige Simulationen unter Verwendung der bisher vorliegenden Daten. Ihre Modellbetrachtungen ranken sich um die drei wichtigsten Einflussgrößen, nämlich den Treibgaseffekt, die Erwärmung der Ozeane und die Ozonbildung. Kein Zweifel besteht darin, daß die mittlere Temperaturkurve seit 50 Jahren stetig nach oben strebt. Was bedeuten Mittelwerte, wenn zusätzlich erhebliche Höhen und Tiefen auftreten, deren Ursache unklar ist? Forest und Kollegen sehen im Verhalten der Meere den größten Unsicherheitsfaktor.
Ocean heat uptake remains one of the least understood large-scale processes in climate change studies. Although many mechanisms are known to affect heat uptake in the ocean, the sensitivity of the global heat uptake to changes in model parameterizations for these mechanisms is poorly understood. Our result suggests that more research is required,
so die Wissenschaftler.
Aha, das Wasser ist die große Unbekannte. 2/3 der Erde liegt unter Ozeanen. Der Wasserkreislauf, von der Quelle bis zu den Wolken so romantisch von J.W. Goethe beschrieben, zählt deshalb nicht, weil Berechnungen, die sich auf die Oberflächenverhältnisse beschränken, oberflächlich sind. Diesen Eindruck vermitteln die neuesten Ergebnisse aus der kalten Westantarktis. Viele Jahre war getönt worden: die größte zusammenhängende Eismasse wird dahinschmelzen und den Wasserspiegel in allen Meeren um mehrere Meter ansteigen lassen. Daraus wird nichts. Die Berechnungen von zwei Spezialisten des NASA Jet Propulsion Laboratory und des California Institute of Technology, ebenfalls in Science abgedruckt, versprechen wieder mehr Eis. Die Eiskruste, die wir im Satellitenbild sehen, ist keineswegs homogen, sondern durchzogen von Eisflüssen. Umfangreiche Messungen im Whillans Ice Stream, der zum offenen Meer (Ross Ice Shelf) hin zieht, lassen die Wissenschaftler Joughin und Tulaczyk vermuten, dass die Schmelze gegen Ende dieses Jahrhunderts zum Stehen gekommen sein wird. Nach ihrer Einschätzung hat dieser Prozess etwas mit der letzten Eiszeit zu tun und nicht mit der gegenwärtigen Erwärmung an der Oberfläche. Der feine Unterschied in der Betrachtung zur aktuellen globalen Erwärmung liegt in der zeitlichen Dimension. Der Höhepunkt der letzten Eiszeit bestand nämlich vor etwa 10.000 Jahren. Möglicherweise befinden wir uns gegenwärtig am Umschlagspunkt der interglazialen Epoche, will heißen: von nun an wird es wieder kälter.
Einen anderen Rhythmus haben Effekte, die in Lichtjahren gemessen werden. Solarzyklen haben das Wetter nachhaltiger beeinflusst als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommen Gerald Bond und seine internationale Arbeitsgruppe in Science von Anfang Januar. Diesmal stammen die Daten aus den Verhältnissen an der Nordhalbkugel. Die Ermittlungen fußen auf diversen Staubeinschlüssen sowie dem Vorhandensein von markiertem Kohlenstoff und Beryllium im grönländischen Eis.
Die Ergebnisse der Forscher vermitteln den Eindruck, dass es in den letzten 10.000 Jahre insgesamt neun Zyklen gab, in denen sich der nördliche Nordatlantik sowohl erwärmte wie auch abkühlte. In den Worten von G. Bond:
The results of this study demonstrate that Earth's climate system is highly sensitive to extremely weak perturbations in the Sun's energy output, not just on the decadal scales that have been investigated previously, but also on the centennial to millennial time scales documented here.
Folglich können die kurzzeitige Abkühlung im 17. Jahrhundert ebenso wie die gegenwärtige Erwärmung durch die Ereignisse auf der Sonne ausgelöst und unterhalten werden. Die Wetterfrösche mit ihrem Klimapuzzle sind in voller Aktion. Zum Klimagipfel schien noch alles klar. Die neuen Erkenntnisse verweben nun mittel-, langfristige und ultralange Effekte. Dagegen stehen die mühsam zusammengetragenen Zeitreihen aus 5-10 Jahrzehnten, die nur unzureichend aus den physikalischen Verhältnissen der Erdoberfläche begründet werden können. Rechnerisch gibt es also noch viel Unwägbares, bisher ohne überzeugende Synthese. Wir sehen: je tiefer die Wissenschaftler bohren, um so mehr zerrinnt die Wärme, auch und obwohl das Thermometer steigt.