Mutmaßlicher Giftgasangriff: Vorwürfe der USA und der EU gegen die Regierung Assad

Seite 2: Vorwürfe gegen die Quellen

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Sie richten sich zum einen an die Parteinahme der White Helmets, deren Führung enge Verbindungen zur bewaffneten Opposition nachgesagt werden (vgl. hierzu Die obskuren White Helmets). In den sozialen Netzwerken kursiert eine Menge Hinweise darauf, dass die White Helmets oft dort auftauchen, wo sich auch die al-Nusra-Front befindet. Eine gewisse Nähe zu den Aktionsräumen der bewaffneten Opposition wird auch von Sympathisanten der Organisation nicht zu leugnen sein. Die Frage ist, wie das motiviert ist.

Der große Vorwurf der Kritiker betrifft die Öffentlichkeitsarbeit der Organisation, die von einem ehemaligen britischen Armeeoffizier namens James Le Mesurier gegründet wurde und viel Geld von westlichen Staaten und von Golfstaaten bekommen haben soll. Vorgeworfen wird ihr, dass sie manipulativ arbeitet und mit Inszenierungen (Syrien: Inszenierte Wirklichkeit auf Video), nicht unähnlich dem, was Israel früher als Pallywood bezeichnet hat.

Im aktuellen Fall der Giftgasangriffe auf den Ort in Idlib sprechen Kritiker gar von "Fake news" oder, etwas milder, auf News-Seiten, die der Regierung in Damaskus nahestehen, von Ungereimtheiten: "something is not adding up". Dort gibt es eine ganze Reihe von "Bildkritiken", warum etwa die Helfer bei einem mutmaßlichen Sarin-Gas-Angriff mit bloßen Händen helfen.

Doch kann dies möglicherweise leicht erklärt werden. Größeres Gewicht könnte die Person einer Quelle haben: der Arzt Dr. Shajul Islam, der allem Anschein nach zu den Aktivisten gehört, die die Auswirkungen des Angriffs sehr bald publik gemacht haben (siehe auch hier).

Von Conflict News wird Dr. Shanjul Islam als erste Quelle genannt, die von einem möglichen Sarin-Angriff spricht.

Nähe zu den Dschihadisten

Der britische Arzt war 2012 im Fall der Entführung von John Cantlie und Jeroen Oerlemans durch Dschihadisten verstrickt und angeklagt, Cantlie ist seit längerem Geisel des IS. Shajul Islam wurde wegen Mangel an Beweisen freigesprochen, weil die Aussagen der beiden Entführten als Beweise nötig gewesen wären. Seinem Bruder wurden Vorbereitungen für terroristische Akte vorgeworfen.

Zu erklären bleibt die Nähe des Arztes zu militanten "Freischärlern", die sich auf syrischen Gebiet aufhalten, wie auch zu bekannten Journalisten, die sich seit langem in auffallender Nähe zu al-Qaida-Milizen bewegen wie Abdul Kareem, der Shajul Islam öfter interviewte. Abdul Kareem schilderte im vergangenen Jahr das Geschehen in Ost-Aleppo aus Sicht der dortigen Opposition. Dazu gehörte auch ein Interview mit dem al-Nusra-Statthalter.

Die Nähe ist kein Zufall, wie sich nun auch wieder herausstellt. In Chan Schaichun (Khan Sheikhoun) ist, wie auch der Spiegel berichtet, die al-Qaida-Allianz Hay'at al Tahrir al-Sham dominant. Es ist ihr Gebiet. Den Kern der Allianz bildet die al-Nusra Front, die sich aus taktischen Gründen - um leichter syrische Milizen unter ihrem Dach sammeln zu können - zwei Mal umbenannt hat.

Nun kann man Shajul Islam bei der Unschuldsvermutung nehmen und ihm glauben, dass er sich an solchen Orten nur aufhält, um als Arzt (der von der britischen Ärztevereinigung ausgeschlossen wurde) zu helfen. Man muss aber nicht so naiv sein, um zu glauben, dass al-Qaida in den Gebieten, die sie beherrscht, alle Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangen lässt. Das ist eine politische Miliz mit dem Ziel, die Regierung Assad zu stürzen, um den Dschihad in Syrien voranzutreiben.

Misstrauen

Gegenüber diesem Interesse, das bei Nachrichten aus der beherrschten Zone mit im Spiel ist und sich der nahestehenden Helfer, so gut es geht, bedient, sind dann verstörende, weil schwer zu belegende Details, wie der Vorwurf, die "Kampagne gegen den Angriff" sei sogar von einem mit der Opposition verbundenen Journalisten vorhergesagt worden, eher nebensächlich.

Was bleibt, ist das Misstrauen gegenüber allen Darstellungen, weil sie alle von Interessen geleitet sind.

Das Problem sind die Quellen, wie der US-Journalist Gareth Porter am Fall der UN-Untersuchung zum Angriff auf den Hilfskonvoi für Aleppo im September 2016 sehr detailliert dokumentiert. Auch hier spielten parteinehmende und (widersprüchliche) Aussagen der White Helmets eine relevante Rolle.

Aber: Wie erklärt man über 50 Tote, die augenscheinlich von niemandem bestritten werden?

Damit, dass laut einem Autor von al-Masdar-News (der Regierung in Damaskus nahestehend), "viele der Opfer, die durch Chemikalien getötet wurden, zuvor aus Khattab (das unter der Kontrolle der Regierung steht) entführt wurden", um sie einem Angriff der Regierung auszusetzen, von dem vorher vermutlich niemand wissen konnte, um daraufhin die Regierung anzuschwärzen? Auch hier stecken Ungereimtheiten angesichts des Versuches, ein möglichst stimmiges Bild der bösen Gegenseite zu zeichnen.

(*Hier stand eine Anmerkung zum Foto eines Kleinkinds, die der Autor gestrichen hat.)