NATO hat Job zu vergeben

Die Nachfolge für den scheidenden Nato-Generalsekretär de Hoop ist umstritten, eine Chance könnte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski haben

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Vom 19.-20. Februar fand im polnischen Krakau das inoffizielle Treffen der NATO-Verteidigungsminister statt. Ein Thema des Treffens, auch wenn kein offizielles, war die Nachfolge des bisherigen NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer, dessen Amtszeit am 31. Juli endet. Doch die Nachfolge von de Hoop Scheffer ist bisher höchst umstritten. Seit Monaten werden in der Presse einige Namen heiß gehandelt, doch keiner der bisherigen Anwärter bekommt aus allen Hauptstädten der Bündnisstaaten die nötige Zustimmung.

Die altehrwürdige Königsstadt Krakau ähnelte von Mittwoch bis Freitag eher einem Hochsicherheitstrakt als einer Touristenmetropole. Awacs-Flugzeuge überwachten den Flugraum. Statt Besuchern aus aller Welt, die normalerweise zu Fuß oder per Pferdedroschke die ehemalige polnische Hauptstadt erkunden, bestimmten Polizisten und Sicherheitsleute das Stadtbild. Viele wichtige Straßen in der Innenstadt wurden komplett gesperrt. Ein Umstand, der den Bewohnern der Stadt das Leben enorm erschwerte. Seit Mittwochmorgen war der öffentliche Nahverkehr in der Stadt stark eingeschränkt.

Aussichtsreiche Kandidaten: Radoslaw Sikorski, Anders Fogh Rasmussen, Peter Gordon MacKay (von rechts nachl links)

Der Grund für dieses „Theater“, wie einige Krakauer die Situation bezeichneten, war das inoffizielle Treffen der NATO-Verteidigungsminister, das vom 19. bis zum 20. Februar in der zweitgrößten Stadt Polens stattfand. Die Einsätze der Allianz in Afghanistan, dem Kosovo und an der somalischen Küste, Gespräche mit den Verteidigungsministern der Beitrittskandidaten Kroatien und Albanien sowie die Beziehungen des Bündnisses zu der Ukraine und Georgien standen im Mittelpunkt des zweitätigen Treffens.

Ein weiteres, jedoch nicht offizielles Thema im Kreise der 26 Minister, war die Nachfolge des bisherigen NATO-Generalsekretärs Jaap de Hopp Scheffer, dessen Amtszeit am 31. Juli endet. Über den neuen Inhaber des höchsten zivilen Amtes im transatlantischen Verteidigungsbündnis sollen sich eigentlich die Regierungschefs der NATO-Staaten beim Jubiläumsgipfel in Straßburg und Kehl, welches am 3.-4. April stattfinden wird, einigen. Da sich aber das Personalkarussell in der internationalen Presse heftig dreht, hat auch dieses Thema in die Gesprächsrunden der Verteidigungsminister Einzug gefunden haben. Auch deshalb, weil das Treffen der Verteidigungsminister die Möglichkeit bot, die Erfolgschancen der einzelnen Kandidaten auszuloten, bevor diese ihre Kandidatur überhaupt öffentlich machen.

Denn in der NATO ist es fast schon Tradition, dass nur derjenige Chancen auf den Posten des Generalsekretärs hat, der spät seine Ambitionen offen legt. Dieser Umstand erklärt auch, weshalb von den unzähligen Kandidaten, die von der internationalen Presse genannt werden, lediglich der ehemalige bulgarische Außenminister Solomon Passy seine Kandidatur öffentlich gemacht hat. Aufgrund seiner aussichtslosen Position, die unter anderem auch auf die kurze Mitgliedschaft Bulgariens im transatlantischen Bündnis zurückzuführen ist, hat er mit seiner frühen Kandidatur nichts zu verlieren.

Doch neben dem aussichtslosen Kandidaten Passy werden noch andere Namen mit dem Amt in Verbindung gebracht. Der ehemalige slowenische Regierungschef Janez Jansa, der tschechische Europaminister Aleksandr Vodra, dem auch Ambitionen für hohe Ämter in der Europäischen Union nachgesagt werden, die norwegische Verteidigungsministerin Anne-Grete Strom-Erichsen, ebenso wie ihr Kabinettskollege, Außenminister Jonas Gahr Störe, sowie zig andere Politiker, werden von den internationalen Medien als mögliche Kandidaten gehandelt. Dabei gibt es durchaus auch Kandidaturen, die nur von kurzer Lebensdauer sind. Während Ende November Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin noch Aleksander Kwasniewski mit dem Amt in Verbindung brachte, spielt der ehemalige polnische Staatspräsident in den aktuellen Spekulationen keine Rolle mehr.

Als ein aussichtsreicher möglicher Kandidat gilt dagegen der kanadische Verteidigungsminister Peter Gordon MacKay. Der 43-jährige konservative Politiker, dessen Vater Elmer in der Vergangenheit schon einige Regierungsposten in Ottawa innehatte, wurde 2006 zum Außenminister ernannt und übernahm im August 2007 das Verteidigungsressort von Gordon O’Connor. Und die Wahl des Kanadiers MacKay zum NATO-Generalsekretär wäre in der 60-jährigen Geschichte des Verteidigungsbündnisses eine kleine Sensation und gleichzeitig das Ende eines bis jetzt ungeschriebenen Gesetzes. Da jeder Oberbefehlshaber der NATO bisher ein US-Militär war, war im Gegenzug das wichtigste zivile Amt des Bündnisses den Europäern vorbehalten.

Zu den europäischen Topfavoriten wird der dänische Premierminister Anders Fogh Rasmussen gezählt. Der seit 2001 amtierende Regierungschef ist ein überzeugter Transatlantiker, der 2003 trotz aller Kritik im In- und Ausland die USA während des Irak-Kriegs unterstützte. Doch Rasmussen, dessen Kandidatur auch wichtige westeuropäische Staaten befürworten dürften, hat ein Makel. Aufgrund des Karikaturenstreits von 2006 könnten viele moslemische Staaten seine Wahl als eine Provokation empfinden, was die Mission der NATO in Afghanistan noch mehr erschweren könnte.

Fraglich ist aber auch, ob Rasmussen den Job in der NATO überhaupt übernehmen möchte. Der dänische Premierminister will zwar schon seit einiger Zeit nach Brüssel, aber nicht in das Hauptquartier der NATO, sondern in das Machtzentrum der Europäischen Union. Bereits im vergangenen Jahr bemühte er sich um den Posten des ständigen EU-Ratspräsidenten, den der Reformvertrag von Lissabon vorsieht. Da der EU-Reformvertrag aber in Irland und anderen europäischen Staaten noch nicht ratifiziert wurde, existiert dieses Amt bisher nur auf dem Papier. Deshalb bringen manche Journalisten Rasmussen auch als Nachfolger Javier Solanas ins Spiel.

Doch die Spekulationen um seine mögliche Kandidatur für den NATO-Generalsekretärposten sind momentan hartnäckiger. In Kopenhagen geht man sogar fest davon aus, dass Rasmussen neuer Generalsekretär der NATO werden wird. „In den nächsten Wochen wird Rasmussen von seinem Amt zurücktreten, um den Posten des NATO-Generalsekretärs zu übernehmen“, sagte Hans Engell, der ehemalige Vorsitzende der dänischen Konservativen, dem Fernsehsender TV2. Als Indiz dafür gelten die kurz aufeinander folgenden Treffen Rasmussens mit dem britischen Premier Gordon Brown und der Bundeskanzlerin Angela Merkel, bei denen er sich nach Meinung dänischer Beobachter die Zustimmung für seine Kandidatur geholt haben soll.

Ein Nachfolger für das Amt des Premierministers scheint auch schon gefunden zu sein. Wie mehrere dänische Zeitungen übereinstimmend berichten, könnte der bisherige Finanzminister, Lars Lokke Rasmussen, neuer Regierungschef in Kopenhagen werden. Dem bisherigen Amtinhaber scheinen diese Spekulationen jedoch schon zu weit zu gehen. „ Ich bin kein Kandidat für irgendeinen internationalen Posten. Und ich habe vor, so lange Premierminister zu bleiben, so lange es die Wähler wollen“, erklärte Anders Fogh Rasmussen am 17. Februar. Die Gerüchte um seine Person konnte Rasmussen damit trotzdem nicht aus der Welt schaffen. Ausgerechnet sein Verteidigungsminister Soren Gade sagte am Rande des Krakauer Treffens, dass sich die Bündnispartner nach den weiteren Zukunftsplänen Rasmussens erkundigt haben.

Wird ein Pole Nato-Generalskretär?

Der größte europäische und umstrittenste Konkurrent für Anders Fogh Rasmussen könnte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski werden. Sikorski erklärte zwar ebenfalls, er strebe nicht nach dem Posten des NATO-Generalsekretärs, und dies wiederholt, doch immer wieder fügte er auch hinzu, dass es gut wäre, wenn es ein Kandidat aus Ostmitteleuropa werden würde. Eine Hinzufügung, mit der sich Sikorski die Option offen hält, doch für das Amt des NATO-Generalsekretärs zu kandidieren.

Und die Taten Sikorskis sprechen für diese Option. In den letzten Wochen nutzte der polnische Außenminister so gut wie jede Möglichkeit, um die Werbetrommel für sich zu rühren, zuletzt natürlich auf dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Krakau. Gemeinsam mit dem noch amtierenden Generalsekretär Jaap der Hoop Scheffer referierte Sikorski über die zukünftigen Strategiekonzeptionen der transatlantischen Allianz.

Bei dem Treffen in Krakau machte aber nicht nur Sikorski für sich Reklame, sondern bekam dabei auch Unterstützung von seinem Kabinettskollegen, dem Verteidigungsminister Bogdan Klich. „Ich habe dieses Thema angesprochen“, bekannte Klich am vergangenen Freitag, ohne auf weitere Einzelheiten eingehen zu wollen, und folgte mit diesem Support der offiziellen Regierungslinie. Als eine „Herausforderung für die gesamte Regierung“ bezeichnete Premierminister Donald Tusk eine mögliche Kandidatur Sikorskis. „Dies wäre eine enorm große Chance für Polen“, sagte Tusk zu Begründung.

Und Donald Tusk ist nicht der einzige polnische Politiker, der so über eine mögliche Kandidatur des 45-jährigen Sikorski denkt. Fast aus allen politischen Lagern erfährt der Oxford-Absolvent neuerdings Unterstützung. Selbst Aleksander Kwasniewski, dem dieses Amt ebenfalls offeriert wurde, und die Kaczynski-Zwillinge, die ihrem ehemaligen parteilosen Verteidigungsminister heute noch nicht verziehen haben, dass dieser wenige Wochen vor der Parlamentswahl 2007 zu der Bürgerplattform von Donald Tusk überlief, sprechen sich für Sikorski als NATO-Chef aus. „Jeder polnische Politiker, der für so ein Amt kandidiert, kann mit der Unterstützung des Präsidenten rechnen“, sagte Präsident Kaczynski zu den ersten Spekulationen um die Nachfolge Jaap de Hoop Scheffers.

Und wie eine repräsentative Umfrage des staatlichen Fernsehens Ende Januar ergab, glauben auch 78 Prozent der Polen, dass ein NATO-Generalsekretär Sikorski das Ansehen Polens im Ausland erhöhen würde. „Hauptsache, es wird ein Pole“, wie Kwasniewski es ausdrückte, scheint der momentane nationale Konsens zu heißen.

Auf Unterstützung dürfte Sikorskis Kandidatur in Großbritannien stoßen, worauf schon die positiven Äußerungen in den britischen Medien hindeuten. Der Daily Telegraph bezeichnete eine mögliche Wahl des polnischen Chefdiplomaten zum NATO-Generalsekretär sogar als ein wichtiges historisches und strategisches Signal. Die britische Begeisterung für Sikorski ist jedoch nicht nur auf seine polnische Herkunft zurückzuführen. Bis 2007 besaß Sikorski die britische Staatsbürgerschaft. Er kam 1981 als politischer Flüchtling nach Großbritannien, studierte dort Philosophie, Politik und Wirtschaftwissenschaften und war von 1986 bis 1989 für mehrere britische Zeitungen als Kriegsreporter in Angola und Afghanistan tätig. Dafür wurde er 1988 mit dem World Press Award ausgezeichnet und schuf die gleichzeitig die Legende, dass er am Hindukusch gemeinsam mit den Mudschaheddin gegen die Sowjets gekämpft haben soll.

Neben den Briten dürften auch die meisten osteuropäischen NATO-Mitglieder eine Kandidatur Sikorskis befürworten. Als der polnische Außenminister Ende November in Washington auf die Ankündigung Medwedews, russische Bürger auch außerhalb der russischen Grenzen militärisch zu schützen, mit der Forderung nach „einer proportionalen Antwort der atlantischen Gemeinschaft“ reagierte, brachte er die Ängste der Regierungen östlich der Oder zum Ausdruck.

Dass diese so genannte Sikorski-Doktrin jedoch die Erfolgschancen mindern könnte, dessen ist sich der Außenminister und die Regierung in Warschau bewusst. In Berlin und Paris, wo auf einen Dialog mit Russland gesetzt wird, klingen die Worte Sikorskis wie eine Kampfansage an Russland. Und auch in Washington, von wo die neue Obama-Regierung eher Signale der Entspannung nach Moskau sendet, stoßen solche Forderungen neuerdings auf Unverständnis. Aus diesem Grund bekommt man in den letzten Tagen versöhnlichere Töne aus Polen zu hören. Der polnische Verteidigungsminister Bogdan Klich erinnerte in Krakau seine Amtskollegen daran, dass Sikorskis Diplomatie für die aktuelle Entspannung im russisch-polnischen Verhältnis verantwortlich ist. Sikorski selber sagte, dass man Russland die Chance geben sollte, „im weitesten Sinne ein Teil des Westens zu werden“ und sprach sich gleichzeitig für eine Zwei-Ebenen-Strategie der NATO gegenüber dem Kreml aus. „Wir müssen mit Moskau arbeiten, wenn unsere Normen geachtet werden. Zugleich müssen wir die NATO-Mitglieder verteidigen, sollten Drohungen aus Moskau kommen.“

Ob solche Aussagen ausreichen, um Paris, Berlin und vor allem auch Washington von sich zu überzeugen, ist jedoch fraglich. Denn Sikorski, der mit der amerikanischen Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum verheiratet ist, könnte im Weißen Haus auch seine Nähe zu konservativen Think Tanks, wie beispielsweise dem American Enterprise Institute, für die er von 2002 bis 2005 tätig war, zum Verhängnis werden. Dies berichtete jedenfalls die Gazeta Wyborcza bereits Ende Januar und berief sich dabei auf Quellen aus dem engsten Kreis um Barack Obama. Wie diese Quelle auch hinzufügte, setzt Barack Obama auf die Unterstützung Deutschlands und Frankreichs, weshalb Washington auch so keinen Grund hätte, für Sikorski zu stimmen und sich dadurch mit diesen wichtigen Verbündeten anzulegen.

Inwieweit diese Quellen verlässlich sind, ist jedoch fraglich. Noch Anfang Februar erklärte der US-amerikanische Botschafter bei der NATO, Kurt Volker, dass Washington nichts gegen Sikorski als Kandidaten habe. „Wir sind nicht diskriminierend.“ Gleichzeitig ließ Volker erkennen, dass Washington sich auch noch gar nicht für oder gegen einen Kandidaten entschieden hat. „Es ist egal, ob der richtige Kandidat aus Deutschland, Zentraleuropa oder Kanada kommt. Wir sind grundsätzlich offen“, sagte er in einem Interview für Bloomberg TV. Ein Hinweis darauf, dass am 1. August vielleicht doch ein anderer als einer des bisherigen Topfavoriten, NATO-Generalsekretär werden könnte.