Nach Bombergate und Molligate
Piratenbasis im Wahlkampfstreik
Einer in dieser Woche veröffentlichten Umfrage zufolge liegt die Piratenpartei in der Wählergunst mittlerweile bei nur mehr einem Prozent. Das könnte noch weniger werden - denn viele Mitglieder kündigen öffentlich an, keine Plakate zu kleben und andere ehrenamtliche Aktivitäten für die Partei ruhen zu lassen. Darunter befinden sich auch prominente Piraten wie die Berliner Abgeordnete Susanne Graf. Inzwischen gibt es sogar einen eigenen Hashtag dafür: #keinhandschlag. Damit ist offenbar das gemeint, was man in Süddeutschland als "keinen Handstrich mehr tun" kennt.
Anlass für den Wahlkampfstreik ist der Umgang der Parteiführung mit Skandalen wie #Bombergate und #Molligate: Nachdem die Berliner Europaparlamentskandidatin Anne Helm in Dresden brustnackt und gesichtsvermummt mit dem Slogan "Thanks Bomber Harris" posierte, wurde sie vom Bundesparteivorstand in Schutz genommen. Ihr Berliner Landesvorstand brachte es sogar fertig, in ein und derselben Stellungnahme zu kritisieren, die Presse würde Helm die Tat ohne Grundlage zuschieben, und sich darüber zu beklagen, dass der nackte Körper der Schweinchen-Babe-Synchronsprecherin in Zeitungen zur Schau gestellt wird. Auch gegen Mercedes Reichstein, die für den Berliner Landesvorstand kandidierte und von der Polizei dabei erwischt wurde, wie sie einen Molotow-Cocktail vor die russische Botschaft schleuderte, wurde bislang kein Parteiausschlussverfahren angestrengt.
Ein Warnstreik der Systemadministratoren und öffentliche Distanzierungen mehrerer Landesverbände von Gewalt und Extremismus erzeugten zwar etwas Medienaufmerksamkeit, führte aber nicht zu einem Positionswechsel der Bundesführung: Die drohte der Taz noch am Montag wegen ihrer Berichterstattung über Helm, während die Kandidatin in der Hauspostille der "Antideutschen" schon offen zugab, dass sie die Busenherzeigerin mit dem Bomber-Harris-Slogan war. Vorher hatten Blogs auf mehrere biometrische Merkmale aufmerksam gemacht, anhand derer man sie eindeutig identifizieren konnte.
Ob ein Europwawahlrückzug Helms den Konflikt beenden würde, ist fraglich: Im Zentrum der Kritik stehen zunehmend nicht mehr nur sie und Reichstein, sondern immer mehr der angeblich svengalihaft agierende Berliner Fraktionsvorsitzende Oliver Höfinghoff1 und dessen Netzwerk. "Das Problem heißt Höfinghoff!" heißt es mittlerweile in einer Abwandlung einer seiner eigenen Parolen.
Julia Schramm, die sich ebenfalls an der Twitterdemo für Anne Helm beteiligte, wird dagegen weniger ernst genommen: Sie, so heißt es an der Basis, hänge sich ohne viel Nachdenken in immer kürzeren Abständen neue Ideologien über wie Modeaccessoires: Junge Liberale, Post-Privacy, Radikalfenimismus, antideutsche Bomber-Harris-Verehrung. Und man fragt sich, ob sie "im nächsten Jahr vielleicht die [Terrorgruppe] RAF toll findet, und im übernächsten dann die NPD, so wie Horst Mahler".
Schramms Ehemann, der Berliner Abgeordnete Fabio Reinhardt, gehört zu denjenigen in der Parteielite, die den Wahlkampfstreik als "billige und durchschaubare Drohung" werten. Seine Begründung: "Wer nichts macht, braucht dafür kein [sic] Hashtag". Damit dürfte er allerdings die Intention der Streikenden verkennen, die unter anderem mit der folgenden Bemerkung reagierten: "Wenn die, die sagen #keinhandschlag, alle so irrelevant sind, warum ziehen sich dann andere so an dieser Bedeutungslosigkeit hoch?"
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