Nach United-Skandal: US-Politik beschäftigt sich mit Überfüllung als Geschäftsmodell

In Sozialen Medien führte der United-Airlines-Skandal zu einer Flut von Bildspott: Besonders viele Nutzer fühlten sich von der Suche nach einem Freiwilligen mit anschließender Gewaltanwendung an die Figur Negan aus der Serie The Walking Dead erinnert.

Auch andere Unternehmen können bereits bezahlte Beförderungen oft nicht liefern

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Der US-Kongress hatte gestern Vertreter der Fluggesellschaften United Airlines, American Airlines, Southwest Airlines, Alaska Airlines und Delta Airlines vorgeladen (wobei Delta der Vorladung nicht nachkam). Anlass dafür war der Fall eines Passagiers, den United Airlines im April mit Gewalt aus dem Flugzeug befördern ließ, nachdem dieser seinen bereits bezahlten Platz nicht freiwillig aufgeben wollte (vgl. Geschäftsmodell Überfüllung).

Bei der Befragung zeigte sich, dass viele Verbraucher, die sich an ihre Abgeordneten wandten, nicht nur Probleme mit den Überbuchungen der Fluggesellschaften haben, sondern auch unter häufigen plötzlichen Absagen, langen Wartezeiten, schwer durchschaubaren Buchungssystemen und versteckten Gebühren leiden. In der amerikanischen Populärkultur sind solche Probleme schon länger ein Topos (vgl. Götter in der Existenzkrise). Der kalifornische Abgeordnete Duncan Hunter wollte den United-Airlines-Chef Oscar Munoz sogar fragen, "warum er das amerikanische Volk hasst", zog diese Frage aber wieder zurück.

Verkehrsausschussvorsitzender droht mit "One-Size-Fits-All"-Vorschrift

Bill Shuster, der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhaus-Verkehrsausschusses, drohte den Chefs der Fluggesellschaften, wenn sie nicht selbst etwas gegen die in den letzten Wochen öffentlich gewordene schlechte Behandlung ihrer Kunden unternähmen, denn müsse der Kongress eine "One-Size-Fits-All"-Vorschrift erlassen, die nicht allen Fluggesellschaften gefallen werde.

Munoz, der den gewaltsamen Hinauswurf seines Kunden in ersten Stellungnahmen gerechtfertigt hatte, entschuldigte sich in der vierstündigen Anhörung für diesen "Fehler von epischen Ausmaßen", den er als "Wendepunkt für United und seine 87.000 Angestellten" bezeichnete. Nun wolle man Änderungen vornehmen, die sicherstellen sollen, dass man Kunden nicht wie den geschädigten David D., sondern mit "Respekt" begegne.

Southwest Airlines will Überbuchungen abschaffen

Mit D. persönlich (beziehungsweise mit dessen Anwalt) hatte sich United bereits Ende April auf einen Vergleich geeinigt, über dessen Konditionen sich der 69-jährige Asiate vertraglich zum Stillschweigen verpflichten musste. Vorher hatte D.s Anwalt geltend gemacht, dass sein Mandant durch die gewaltsamen Entfernung aus dem Flugzeug eine Gehirnerschütterung und einen Nasenbeinbruch erlitt und zwei Zähne verlor. Einem Riesenkaninchenzüchter, dessen Star "Simon" United Airlines erfrieren ließ, zahlte die Fluggesellschaft der Daily Mail unlängst zufolge eine fünfstellige Entschädigungssumme.

Bereits vor der Kongressanhörung hatte United Airlines einen Zehn-Punkte-Plan zur Serviceverbesserung verkündet, der eine Erhöhung des Entschädigungsangebots für einen freiwilligen Flugverzicht von 800 auf 10.000 Dollar und eine Nachschulung der Mitarbeiter vorsieht. Auf öffentliches Sicherheitspersonal soll zukünftig nur noch dann zurückgegriffen werden, wenn es um die Flugsicherheit geht. Überbuchungen will United Airlines nach eigenen Angaben verringern, aber nicht ganz darauf verzichten, wie Southwest Airlines das ankündigte. American Airlines möchte dagegen seine bisherige Überbuchungspraxis beibehalten - und bei Alaska Airlines prüft man die Frage noch.

"Zustände, die man bei keinem Tiertransport dulden würde"

Die Aufmerksamkeit, die der Fall David D. erregte, führte dazu, dass Verbraucher über zahlreiche andere Schwierigkeiten mit Transportunternehmen berichteten - nicht nur in Flugzeugen, sondern auch in anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, in denen vor allem mangelnder Platz zunehmend als Problem wahrgenommen wird:

Ein TP-Leser aus Berlin klagt beispielsweise, dass es auf seiner U-Bahn-Linie inzwischen "jedesmal ein Glücksspiel", ist, ob er sich "in die überfüllte Sardinenbüchse noch reinquetschen kann oder nicht". "Auf den nächsten Zug warten" bringt der Erfahrung des Lesers nach "auch nichts, weil der genauso voll ist". Im München ist die Situation ähnlich: Auch hier kommt man inzwischen auch um halb Zehn nur mehr mit mehr oder weniger Gewaltanwendung in bestimmte U-Bahnen.

Einem Leser aus Baden-Württemberg nach werden dort "voll besetzte Pendlerzüge [...] einfach ersatzlos gestrichen", was bei der Münchner S-Bahn ebenfalls Standard ist. Auch in Dortmund ist der Bahnverkehr gerade massiv eingeschränkt. Den Schaden daraus haben bislang nur die Kunden, die vor allem als Dauerkartenbesitzer kaum Ansprüche gegen Verkehrsunternehmen haben und die Zweifelsfall lieber entnervt auf das Auto umsteigen, als noch mehr Nerven in Rechtsstreitigkeiten zu riskieren.

Trotz der Überfüllung propagieren viele Politiker weiterhin den öffentlichen Nahverkehr (mit dem Dienstwagenberechtigte anscheinend selbst nicht sehr oft fahren) als Alternative, wenn sie den Autoverkehr verteuern oder Fahrverbote planen: Zum Beispiel in Salzburg, wo die rot-grüne Stadtsenatsmehrheit gerade eine 700-Euro-Pendlermaut beschlossen hat, oder in Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg und München, wo man Teile der Stadt für Dieselfahrzeuge sperren will (vgl. Grüner Fraktionschef will höhere Steuern auf Diesel).

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