Nach dem Boom ist vor dem Crash

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Von New York bis Frankfurt: Die Börsenkurse brechen schon wieder ein

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Wenn, wie in diesen Tagen, die Börsenkurse einbrechen, ist es Zeit für "legendäre Investoren", auf den Plan zu treten. Ihre Aufgabe ist es, den oft irrationalen Preisbewegungen an den Märkten einen Sinn zuzuschreiben. Den Worten der Gurus lauscht die Finanzgemeinde mit großer Hingabe. Sie fungieren als Projektionsflächen der Wünsche und Ängste des Börsenpublikums.

Ein solcher Börsenversteher hat sich in dieser Woche zu Wort gemeldet: Mark Mobius, der zum Urgestein des medialen Finanzrummels zählt, hat auf dem Finanzsender CNBC mitgeteilt, dass er das Risiko der Herausbildung einer gefährlichen "Doppel-Top"-Formation im amerikanischen S&P 500-Aktienindix sieht. Investoren, so Mobius, sorgten sich zunehmend über einen unklaren Ausgang der US-Wahlen.

Während echte Profis sich bei solchen Worten wissend zunicken, sind diese für Nicht-Initiierte, die nicht fließend Börsenlatein sprechen, erklärungsbedürftig: Eine "Doppel-Top"-Formation ist in der Nomenklatur der Finanzmarktmuster eine potentiell unangenehme Sache. Denn sie signalisiert, dass die Kurse nach einem Anstieg und einem anschließenden Kursrückgang, beim nächsten Anstieg an einem Widerstand hängen bleiben - und danach die Preise purzeln werden.

Das Paradebeispiel für ein Doppel-Top ist der "Dot Com"-Crash zu Beginn des neuen Jahrtausends: Die Börsenindizes internationaler Aktienmärkte hatten zu Beginn des Jahres 2000 nach frenetischen Kursanstiegen einen Höchstpunkt erreicht. Darauf erfolgte ein heftiger Preiseinbruch, anschließend eine Erholung. Doch dieser neue Kursanstieg erwies sich als Falle, denn die Kurse legten eine Kehrtwende ein. Darauf folgte eine mehrere Jahre andauernde Börsenmalaise.

Wenn also Herr Mobius, dessen Erscheinung ältere Leute an Detective Lieutenant Kojak, jüngere Leute an Captain Jean-Luc Picard erinnern dürfte, auf dem Sender CNBC, wie nun geschehen, mitteilt, dass er ein "Doppel-Top" zu erkennen glaubt, dann will er damit folgendes sagen: dass an den Börsen Gefahr in Verzug sein könnte.

Als Wurzel des Übels hat Mobius den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden ausgemacht. "Ein Biden-Sieg wird wahrscheinlich schlecht für den U.S.-Markt und damit schlecht für andere Märkte auf der ganzen Welt sein", so der altgediente Börsenseher. "Aber es wird kurzfristig sein, denn vieles wird davon abhängen, welche Maßnahmen Biden tatsächlich ergreift." Wenn er keine neuen Steuererhöhungen vornehme, dann sei das gut für die Märkte.

Als hätten sie auf sein Kommando gewartet, rauschten die Marktindizes am Tag nach Mobius' Interview erneut in die Tiefe: Der Dax verlor am Mittwoch mit -503,06 Punkten über 4 Prozent — dies entspricht laut einschlägiger Finanzmarktforschung in etwa der Rendite, die in einem durchschnittlichen Jahr über Jahrzehnte an der Börse zu erwarten ist. Der Dow-Jones-Index verlor mit weit über 900 Punkten fast 3,5 Prozent, während die Technologiebörse Nasdaq über 3,7 Prozent abgab.

Ob Joe Biden, sollte er denn Präsident werden, auf Herrn Mobius' wenig versteckten Hinweis hören wird, er solle die Steuern nicht erhöhen, ist nicht sicher. Sicher ist jedoch, dass die Aussicht auf Börsengewinne einen erheblichen Einfluss auf das Wählerverhalten hat. So ist es ein offenes Geheimnis, dass viele Wähler, wie zum Beispiel in Florida ansässige Rentner, Donald Trump vor allem aus dem Grund wählen, dass sie sich von ihm steigende Aktienkurse erhoffen.

Nun ließe sich natürlich argumentieren, dass die Kursentwicklung zuletzt trotz Trump zu wünschen übrig ließ. Dem wiederum könnte man entgegnen, wie dies neben Herrn Mobius auch andere tun, dass es die Aussicht auf einen Wahlsieg Bidens ist, welche die Märkte in Angst versetzt. Die aktuellen Kursverluste wären damit für diejenigen Amerikaner, deren Altersversorgung an der Börse hängt, und das sind viele, als eine Aufforderung zu verstehen, nicht den Kandidaten der Demokraten zu wählen.

Doch ob die Aussicht auf einen möglichen Politikwechsel in Washington überhaupt mit der aktuellen Börsenentwicklung in Zusammenhang steht, selbst das ist nicht klar. Immerhin sind nicht nur an den amerikanischen, sondern gerade auch an den europäischen Börsen drastische Kurseinbrüche zu konstatieren. Vielleicht ist es somit nicht die US-Präsidentschaftswahl, sondern vielleicht die Aussicht auf eine weiter außer Kontrolle geratende Pandemie, der die fallenden Kurse zuzuschreiben sind.

Die Faz jedenfalls meldet, der deutsche Aktienmarkt bewege sich angesichts der neuen Corona-Maßnahmen "in einem Tempo abwärts, das schneller ist als befürchtet". Auch die Tagesschau unkt, es sei die Angst vor einem zweiten Lockdown, die zu den Kurseinbrüchen führe. Wer oder was für die Verluste wirklich verantwortlich ist, ob Joe Biden oder das Coronavirus oder das Doppel-Top, wird man, wenn überhaupt, erst hinterher erfahren. Bis dahin könnte Herr Mobius doch recht haben, selbst wenn er falsch liegt.