Nach dem Lockdown ist vor dem Lockdown
Am 18. November will die Bundesregierung das angepasste Infektionsschutzgesetz verabschieden lassen, das Corona-Sondermaßnahmen verewigt
Im November Wasser auf Menschen zu werfen, ist nicht gesund. Trotzdem so geschehen letzten Samstag in Frankfurt/Main gegen Teilnehmer von Demonstrationen, verantwortlich: die Polizei. Erst traf es welche, die sich Antifaschisten nennen und meinen, wer gegen die Corona-Verordnungen demonstriere, sei Faschist. Dann traf es diejenigen, die gegen die Corona-Verordnungen auf die Straße gehen und sich zum Beispiel "Querdenker" nennen.
Wasserwerfer gegen Demonstrationswillige - so viel nebenbei zum Thema Gesundheitsschutz, den die Träger des Gewaltmonopols seit März regelmäßig vorbringen, um Demonstrationen zu unterbinden und selbst gegen Solo-Demonstrationswillige vorzugehen. Gesundheit und Leben stehe über dem Demonstrationsrecht, proklamiert die Polizei immer wieder, Artikel 2 Grundgesetz über Artikel 8. Zur Not setzt man das eben mit Gewalt durch.
Wir sind mitten im gesellschaftlichen Corona-Kulturkrach, und die Mittel und Möglichkeiten, mit denen er geführt wird, sind Teil der Auseinandersetzungen.
Oder anders gesagt: Wenn nicht mehr demonstriert werden kann, kann auch nicht mehr gegen Nazis demonstriert werden.
Dabei gibt es derzeit Gründe mehr als genug, öffentlich seine Meinung kund zu tun. Denn das Corona-Kabinett will die im März durchgesetzten Corona-Sondervollmachten in ein eigenes Gesetz integrieren und damit verewigen. Die Maßnahmen, die Anfang des Jahres ins Infektionsschutzgesetz hineingeschrieben wurden, sind bis zum 31. März 2021 befristet. Jetzt sollen sie in ein reguläres Gesetz überführt werden und damit unbefristet gelten.
Das Gesetz wird euphemistisch "Bevölkerungsschutzgesetz" genannt, dahinter verbirgt sich das Infektionsschutzgesetz, streng genommen handelt es sich aber um ein eigenes Epidemiegesetz. Am Mittwoch, 18. November, soll es im Bundestag behandelt und gleich beschlossen werden. In Corona-Zeiten fallen politische Entscheidungen besonders schnell, bevor sie möglicherweise auffallen. Erst letzte Woche führte der Gesundheitsausschuss eine Sachverständigenanhörung zum sogenannte "dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" (BevSchG) durch.
Die Ermächtigung des Gesundheitsministers, "zur Bekämpfung des Sars-Cov 2-Virus" Verordnungen zu erlassen oder sogar Gesetze ohne Beteiligung des Bundesrats zu verändern, bleibt bestehen. Das ist in der deutschen Nachkriegsgeschichte bisher einmalig.
Paragraph 28a mit Corona als Regelbeispiel
Diese Verordnungen, die "besondere Schutzmaßnahmen" genannt werden und der Bevölkerung inzwischen zur Genüge bekannt sind, werden in einem eigenen § 28a in das Gesetz eingefügt. Als da sind: Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum; Abstandsgebot; Maskenpflicht; Untersagung des Betriebs von Einrichtungen, die der Kultur- oder Freizeitgestaltung zuzurechnen sind, von Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen; Untersagung von Übernachtungsangeboten; Schließung von Einzel- oder Großhandel; Untersagung oder Erteilung von Auflagen für Veranstaltungen, Versammlungen oder religiöse Zusammenkünfte; Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums; Untersagung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen; Reisebeschränkungen.
Vor allem der als Gängelungsinstrument kritisierten Maskenpflicht kommt in diesem Regime eine besondere Rolle zu, sie sei der "zentrale Baustein" zur Virus-Eindämmung, heißt es.
Dieser Paragraph 28a ist zunächst zwar bezogen auf Corona. Das Virus und die Krankheit gelten aber als ein "Regelbeispiel" für die Möglichkeiten exekutiven Handelns, sprich: perspektivisch kann es auch für andere Fälle gelten. Festgezurrt werden soll die politische Festlegung einer bestimmte Anzahl von Neuinfektionen bezogen auf 100.000 Einwohner, ab der die Maßnahmen greifen sollen. Nicht mehr Krankheit ist das entscheidende Kriterium, sondern potentielle Infektion.
Wie in die Reisefreiheit und das Recht auf Freizügigkeit eingegriffen werden kann, wird in § 36 des Gesetzes konkretisiert. Personen, die aus einem Risikogebiet nach Deutschland einreisen, müssen nachweisen, dass sie geimpft oder nicht krank sind. Wenn nicht, sollen Reiseunternehmen diese Personen nicht befördern. Das gilt auch für deutsche Staatsbürger, die in Deutschland wohnen - "sofern deren Rückreise weiterhin möglich sei", heißt es in dem Passus am Ende etwas rätselhaft. Wird man von der Beförderung ausgeschlossen, wenn man selbständig an seinen Wohnsitz zurück kann - per Auto, Anhalter, zu Fuß oder wie?
Im geänderten Infektionsschutzgesetz (IfSG) vom 27. März 2020 waren die Maßnahmen befristet bis zum 31. März 2021. Sie werden durch das neue Gesetz ersetzt, damit unbefristet verlängert und in gewisser Weise normalisiert. Das Recht des Ausnahmezustandes würde neue BRD-Normalität werden, zu einer neuen Rechtswirklichkeit, wie kritische Juristen sagen.
Die Anhörung im Gesundheitsausschuss dokumentierte, dass Kritik an dem Gesetz inzwischen in vielfältiger Weise geübt wird, selbst von Leuten, die es im Grundsatz richtig finden. Diese Kritik beinhaltet medizinische, soziale, wirtschaftliche oder rechtliche Aspekte. Die größten Einwände kommen auf dem rechtlichen und dem demokratischen Feld.
Der Verein Mehr Demokratie beispielsweise fordert u.a., die Datenbasis der Regierungsentscheidungen zu veröffentlichen, einen interdisziplinären Expertenbeirat für die Regierung einzurichten, regelmäßige Debatten im Bundestag zu führen sowie die Folgewirkungen der Bekämpfungsstrategie klar zu benennen und sorgfältig abwägen. Eine angebliche Alternativlosigkeit sei meist ein Indikator, dass man nicht tief genug in diesen Abwägungsprozess eingestiegen ist.
Politisches Setting
Fundamentalkritiker oder Dissidenten unter den Experten, wie etwa der Lungenarzt und ehemalige Leiter eines Gesundheitsamtes, Wolfgang Wodarg, oder AnwältInnen des sogenannten Corona-Ausschusses, die seit Sommer Fachleute und Betroffenen zu verschiedenen Aspekten des Corona-Komplexes befragen, waren nicht geladen.
Stattdessen war der Platz des Fundis bei der Anhörung mit einem Rechtsanwalt besetzt, der sich zum Teil im extrem rechten Spektrum bewegt, Tobias Gall. So lässt sich Fundamentalkritik gleich denunzieren. Solcherart politisches Setting ist eine beliebte Methode, die regelmäßig auch bei den diversen TV-Talkshows Woche für Woche praktiziert wird, gerne auch umgekehrt, wenn kritische linke Positionen mit ehemaligen Parteigängern der DDR besetzt werden.
Justus Hoffmann, Anwalt für Medizinrecht und Mitglied im selbstorganisierten Corona-Ausschuss, kritisiert das Gesetz ebenfalls grundlegend. So sei nicht einmal geregelt, auf welcher Grundlage überhaupt die epidemische Lage nationaler Tragweite auszurufen sei. Die Sondermaßnahmen, die bei Sars-Cov 2 eingeführt wurden, seien bei ebenfalls potentiell gefährlichen Krankheiten, wie Masern, bisher nicht verfügt worden. Wird Corona also zur Vorlage für viele andere Krankheiten?
Hoffmann sieht außerdem die Gefahr, dass das Gesetz zu einem neuen Ermächtigungsgesetz in Bezug auf die Aufhebung des Datenschutzes werde. Weil man mit Gesundheitsschutz alles rechtfertigen könne, führe über die Gesundheitsdaten der erste Schritt hin zum gläsernen Bürger. Generell befürchtet er eine Untergrabung demokratischer Gesetzgebungsprozesse.
Wie verhält sich die parlamentarische Opposition von Linkspartei, Grünen oder FDP?
Die Oppositionsparteien haben im März an der Selbstentmachtung des Bundestags mitgewirkt und die Regierung zu ihren Corona-Maßnahmen ermächtigt. Bei genauem Hinsehen muss man sagen: Dabei ist es geblieben. Was diese Parteien lediglich geändert haben, ist ihre Rhetorik. Das Spiel war schon Ende Oktober in der Bundestagsdebatte um den zweiten Lockdown light zu erkennen. Hinter ihren lautstarken Lamentationen, sie wollten als Parlament beteiligt werden, versteckten sie lediglich ihre Zustimmung. Und auch jetzt widersprechen sie im Prinzip dem Corona-Sonderrecht nicht, sondern tragen es mit.
Dazu wird erneut die Methode Schall und Rauch angewandt. Wie das funktioniert, kann man am Beispiel der Linkspartei studieren. "Nein zum Bevölkerungsschutzgesetz!" - heißt es zwar in Fraktionsverlautbarungen, streng genommen aber Etikettenschwindel. Denn tatsächlich sagt man "Ja" zu den Corona-Maßnahmen. Man will nur, dass sie in ein sichereres Fundament einbetoniert werden. Mit Sorge hat die Linkspartei nämlich registriert, dass Verwaltungsgerichte Corona-Verordnungen immer wieder aufheben und dass die Erfolgsquote von Klagen steige. In ihren Augen ist das nicht etwa ein Pluspunkt für den Rechtsstaat, sondern ein "Problem", aus dem sich "erhebliche Gefahren für den Gesundheitsschutz" ergeben.
Gerichte als "Gefährder" - das hatten wir noch nicht. Die Denunziation traf bisher vor allem Anti-Corona-Demonstrationen und deren Teilnehmer. Doch damit die Covid-Maßnahmen durch die Gerichte nicht weiterhin "gefährdet" werden können, müsse man ihnen eine hinreichende gesetzliche Grundlage geben, erklärt Niema Movassat, der für die Linksfraktion auch im Gesundheitsausschuss sitzt.
Nebenbei: Diese Positionierung ermöglicht es der AfD, eigentlich eine Partei des starken Staates, sich als Verteidigerin des Parlaments und der Grundrechte zu inszenieren.
"Wann ist die Pandemie zu Ende?"
Lockdown 2 hat Lockdown 1 in gewisser Weise Lügen gestraft, und Lockdown 2 hat sich selbst widerlegt. Die Strategie der ultimativen Virus-Eindämmung funktioniert nicht. Sie führt nur zu repressiver Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Motto: Nach dem Lockdown ist vor dem Lockdown, ein Lockdown löst den anderen ab. Ob bezweckt oder weil die Krisenmanager in der selbst gebauten Falle sitzen, lassen wir an dieser Stelle mal offen.
Welche Alternativen gibt es? Stefan Padberg vom Verein Mehr Demokratie formulierte gegenüber dem Gesundheitsausschuss des Bundestags beispielsweise Folgendes:
Geht es darum, das Virus auszurotten? Oder geht es darum, mit ihm leben zu lernen? Geht es darum, auf den rettenden Impfstoff zu warten und bis dahin die Gesellschaft in einer Art demokratisch grenzwertigen Ausnahmezustand zu halten? Oder geht es darum, den Impfstoff als ein Mosaiksteinchen in einer umfassenderen Strategie einer resilienten Gesellschaft zu begreifen? Geht es darum, sich einseitig nur an der Zahl der Neuinfektionen oder an der 7-Tages-Inzidenz auszurichten?
Oder geht es darum, durch einen klugen Mix aus Kennziffern den Blick auf die realen Gefährdungszonen in den Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie auf die Risikogruppen in der Gesellschaft zu richten? Geht es darum, jeden, der über 60 ist, pauschal zur Risikogruppe zu zählen, die unbedingt geschützt werden will? Oder geht es darum, einen Dialog in der Gesellschaft über unterschiedliche Ängste, Risikowahrnehmungen und Erwartungen zu führen und gemeinsam Wege zu finden, die für alle einigermaßen gut sind? Was ist das Ziel der Maßnahmen, wann ist es erreicht? Wann ist die Pandemie zu Ende?
Stefan Padberg
Dieser Widerspruch und diese Fragen sind es, die nicht öffentlich werden sollen. Daher das Tempo der Gesetzgebung, für das keinerlei Not besteht. Bereits für den 18. November, 12 Uhr, steht das Bevölkerungsschutz- bzw. Infektionsschutz- bzw. Epidemiegesetz auf der Tagesordnung des Bundestags.