Nach dem Quanten-Unwetter

Wenn man einen Quantenzustand einer plötzlichen, starken Änderung unterwirft, lassen sich interessante Phänomene beobachten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine der Grundlagen der Quantenphysik bildet die Heisenbergsche Unschärferelation: Der deutsche Physiker Werner Heisenberg formulierte sie 1927, ein Jahr, nachdem Erwin Schrödinger die nach ihm benannte Gleichung aufgestellt hatte - sie lässt sich auch daraus ableiten.

Heisenberg selbst stellt sie in einem Gedankenexperiment vor. Angenommen, man möchte Ort und Impuls (oder Geschwindigkeit) eines Elektrons in einem imaginären Mikroskop feststellen. Wenn der Forscher etwas "sieht" heißt das, dass sein Auge ein von dem zu beobachtenden Objekt abgelenktes Lichtteilchen registriert. Das Lichtteilchen schubst das zu beobachtende Objekt dabei ein klein wenig an, dadurch verändern sich die Eigenschaften beider.

Wie genau man die Position eines Teilchens erkennt, ist von der Wellenlänge des Lichts abhängig. Je kürzer die Wellenlänge, desto exakter ist der Ort zu bestimmen. Allerdings wächst nach Planck mit sinkender Wellenlänge der Impuls des Lichts. Und bei der Kollision mit dem Elektron wird ein Teil dieses Impulses auf das Teilchen übertragen, wodurch sich unser Wissen über diese Eigenschaft des Elektrons verschlechtert.

Heisenbergs Argumentation ist zwar noch halb-klassischer Natur, weil er dem Elektron einen festen Ort und einen fixen Impuls zugesteht. Seine Formel, nach der das Produkt aus den Unsicherheiten bei der Messung von Impuls und Ort eines Teilchens nie kleiner als ħ/2 werden kann, ist jedoch eine prinzipielle Eigenschaft der Quantenwelt, gegen die auch das genaueste Messinstrument nichts ausrichten kann.

Solche Unschärferelationen gibt es für viele Messgrößen, nicht nur für Ort und Impuls. Sie gelten für all die Größen, bei denen es auf die Reihenfolge bei der Messung ankommt. Ein typisches Alltags-Beispiel für nicht vertauschbare Messgrößen ist der Anschlag eines Klaviers. Wenn Sie bestimmen wollen, wann und mit welcher Tonhöhe er erklang, müssen Sie für einen gewissen Zeitraum die Frequenz des Tons analysieren. Dadurch entgeht Ihnen jedoch Wissen darüber, wann genau der Ton erklang.

Als Ausrede nach dem Geblitztwerden taugt die Unschärferelation übrigens nicht. Zwar gilt sie für beliebige Objekte und nicht nur im Quantenreich. Sie macht sich aber erst bemerkbar, wenn man Ort und Geschwindigkeit eines Fahrzeugs mit 18 Dezimalstellen misst. So genau arbeitet die Polizei aber nicht. Die Unschärferelation ermöglicht aber ein interessantes Phänomen, ohne das moderne Technik nicht auskommt: den Tunneleffekt.

In seiner einfachsten Form beschreibt er die Tatsache, dass sich das Wellenpaket einen Teilchens auch über ein Hindernis hinweg ausbreiten kann. Während ein klassisches Objekt (etwa ein Radfahrer) stets genug Energie braucht, um ein Potenzial (Berggipfel) zu überwinden, kann ein Elektron auch hinter einer Potenzial-Barriere auftauchen. Das Elektron "tunnelt", was jedoch nicht wörtlich zu nehmen ist: Es hat das ihm verbotene Gebiet nicht betreten. Es ist, einfach so, auf der anderen Seite aufgetaucht, als gäbe es das Hindernis gar nicht (um mit dem Fahrrad durch einen Berg zu tunneln, ist die Masse des Radfahrers viel zu groß).

Außer in der Elektronik spielt das Phänomen des Tunneleffekts zum Beispiel auch beim Alphazerfall radioaktiver Atomkerne eine Rolle: Die aus je zwei Protonen und zwei Neutronen bestehenden Alphateilchen müssen zunächst eine Potenzialbarriere im Kern überwinden.

Auch das Rastertunnelmikroskop ist eine technische Anwendung dieser Erscheinung: Damit lassen sich Metalloberflächen mit sehr hoher Auflösung bildlich darstellen. Dazu führt man eine sehr dünne Metallspitze über die zu untersuchende Fläche. Legt man nun eine Spannung an, durchtunneln Elektronen die dünne Luftschicht zwischen Oberfläche und Messfühler - es fließt ein Strom, und zwar umso stärker, je kleiner der Abstand ist.

So schön beobachten lässt sich der Tunneleffekt leider nur bei einfachen Systemen. Doch auch bei Phänomenen wie der Suprafluidität oder der Hochtemperatur-Supraleitung ist er im Spiel. Sobald Systeme aus vielen Teilchen zu betrachten sind, haben die Physiker aber zunehmend Probleme, das Ganze experimentell nachzustellen.

Von besonderem Interesse ist in letzter Zeit dabei das Phänomen des "Quantum Quench": Man nehme ein stabiles System mit geringen Wechselwirkungen und unterwerfe es einer plötzlichen, starken Änderung. Die Folge sind Prozesse unerwarteter Natur, wie sie Innsbrucker Physiker in einem Science-Paper beschreiben.

Interessant ist dabei nicht das System an sich, sondern vielmehr die Tatsache, dass mit relativ geringem Aufwand und bei problemlos realisierbaren Temperaturen die Beobachtung verschiedener Prozesse höherer Ordnung möglich war. Die Forscher hoffen, auf diese Weise bisher noch nicht schlüssig erklärbaren Phänomenen auf die Spur zu kommen - bis hin zu der Tatsache, warum sich Systeme aus vielen Teilchen plötzlich klassisch verhalten.

Matthias Mattings eBook Die faszinierende Welt der Quanten ist bei Beam-eBooks (DRM-frei, ePub, PDF, Mobi), bei Amazon (Mobi) und Apple (iPad-Version mit Videos und Fotos) erhältlich.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.