Nach dem (Wasser)Krieg in Berg-Karabach

Bild: Reza Deghati

Der Umweltschutz im Kaukasus vor neuen Herausforderungen und Chancen

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Das am 10. November 2020 von Russland vermittelte Kriegsende in Berg-Karabach könnte trotz der weiterhin bestehenden Rivalitäten um Einflusssphären ein Aufatmen für die krisenbelastete Region bedeuten. Der Weg zu einer wirtschaftlichen Kooperation zwischen Armenien und Aserbaidschan ist zwar immer noch weit. Aber eine Vorbeugung vor weiteren Umweltschäden ist bereits abzusehen.

Die Darstellung des Konfliktes in den Medien richtete den Fokus in der Regel auf geschichtliche und kulturelle Spannungsfelder zwischen Aserbaidschan und Armenien. Hier werden dagegen die wirtschaftlichen und Umweltaspekte beleuchtet, die die Lebensgrundlagen von den Menschen im Konfliktgebiet und darüber hinaus betreffen.

Der seit 27 Jahren eingefrorene Konflikt hatte insbesondere für das Wassermanagement und die Energiewirtschaft weit außerhalb des direkten Konfliktgebiets weitreichende Folgen. Zahlreiche Gewässer in Aserbaidschan nehmen ihren Anfang in Berg-Karabach, weite Teile der Niederungen am Kaspischen Meer sind auf Wasser der Flüsse aus diesem Gebirge angewiesen. Armenien, ein Binnenstaat zwischen der Türkei und Aserbaidschan, erlangte jedoch durch die Besetzung von Berg-Karabach Kontrolle über wichtige Trinkwasserressourcen, während keine Gewässer aus unbesetzten Gebieten Aserbaidschans nach Armenien flossen. Diese geografische Gemengelage brachte mit sich, dass die armenische Besatzung des aserbaidschanischen Territoriums für dessen unbesetzte Gebiete große Auswirkungen hatte.

Der Wasserkrieg

Noch am 23. Oktober kommentierte die offizielle Zeitung des aserbaidschanischen Parlaments den Kriegsverlauf mit den Worten: Der Wasserkrieg geht zu Ende. Daraus ist abzulesen, dass sich die Dynamik der Gewalteskalation zwischen den beiden Kriegsparteien Armenien und Aserbaidschan nicht zuletzt aus der Verschärfung des ökologischen Ungleichgewichts in Aserbaidschan als Folge des jahrzehntelangen eingefrorenen Konflikts speiste.

Nach dem ersten Karabach-Krieg vom 1990-1994 verlor Aserbaidschan die Kontrolle über Berg-Karabach und sieben umliegende Provinzen. Auf Letztere erhoben die Armenier ursprünglich keinen Anspruch, sondern hatten sie als Pufferzone eingenommen. Zwei von diesen Provinzen, Cebrayil und Zengilan, liegen direkt an der Grenze zwischen Aserbaidschan und dem Iran, die entlang des Flusses Aras verläuft. Es ist kein Zufall, dass bei den Kriegshandlungen die Wiederherstellung der Kontrolle Aserbaidschans über diesen 132 km langen Grenzabschnitt zu den wichtigsten Zielen gehörte.

Gerade hier kam es mit dem Bau eines Staudamms und eines Wasserkraftwerks zu latenten Verwerfungen mit großen Folgen. Denn der Bau hatte zu erheblichem Wassermangel an der Mündung des Aras in die Kura, dem bedeutendsten Fluss Aserbaidschans, geführt. Umweltexperten warnten noch 2017, dass die Kura in 30 Jahren versiegen würde. Die ersten Anzeichen dafür traten bereits drei Jahre später, im Sommer 2020 ein, als die Kura so wenig Wasser hatte, dass das Salzwasser des Kaspischen Meeres bis zu 30 km in den Flusslauf eindrang. Betroffen war vor allem die Provinz Neftchala, wo im Sommer 2020 bei gestiegenem Wasserbedarf in der Coronakrise von einer "erschreckenden Lage" berichtet wurde.

Während in der staatlich kontrollierten Presse kein Hinweis auf den Staudamm als Grund für die Wasserprobleme zu finden war, sahen unabhängige Experten und Vertreter der Zivilgesellschaft die Gründe in dem Kontrollverlust über den Grenzfluss und forderten von der Regierung in Baku die Sicherung der Kontrolle über Wasserressourcen des Landes. Als 1998 der Iran die Baupläne über einen Staudamm an diesem Grenzabschnitt außerhalb Kontrolle Aserbaidschans angekündigt hatte, löste das heftigen Widerspruch der Regierung in Baku aus. 2016 unterzeichnete aserbaidschanische Regierung nachträglich einen Vertrag über den bereits fertigen Staudamm und beteiligte sich sogar finanziell bei den Baukosten, um die Beziehungen mit dem Iran nicht zu belasten. Eine mögliche künftige Rückgabe der sieben Provinzen um Berg-Karabach an Aserbaidschan wurde ohnehin von keiner Konfliktpartei ernsthaft infrage gestellt.

Infolge des Vier-Tage-Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien im April 2016 verhärtete sich die armenische Position. Die Verwaltung Berg-Karabachs vollzog nicht nur eine Umbenennung der Region zu Arzach im Februar 2017, sondern sah nunmehr die politische Eingliederung der sieben aserbaidschanischen Provinzen in die proklamierte Republik Arzach vor. Dem Kontrollanspruch folgte jedoch keine Intention zu einer wahrnehmbaren Administration dieser Gebiete. Die Überflutung von einigen Dörfern in Cebrayil durch den Staudamm ist ein Indiz dafür, dass das Wassermanagement der Region außerhalb des Kerngebiets von Berg-Karabach die Kapazitäten der dortigen Verwaltung überstieg. Nach der Rückgewinnung der Territorien erwarten nun die Menschen im Südosten Aserbaidschans umfassende Maßnahmen zur Lösung des Wasserproblems.

Im nördlichen Teil Berg-Karabachs sorgte das Wassermanagement um die Wasserkraftwerke am Fluss Terter ebenfalls für Spannungen. Die Menschen in der Nähe der Frontlinie konnten ihre Ackerflächen nicht regelmäßig bewässern. Sie gingen davon aus, dass ihre Ackerfelder von den Wasserbehörden Karabachs bewusst entweder der Überflutung oder Austrocknung ausgesetzt wurden. Dementsprechend war die Freude der Bauern groß, als der Fluss Terter wieder ausreichend Wasser erhielt, als Suqovushan (arm. Madagiz) am 03. Oktober 2020 unter aserbaidschanische Kontrolle kam. Extensive Nutzung der Bergflüsse für die Wasserkraftwerke erreichte auch bei anderen Flüssen Berg-Karabachs Ausmaße, die den armenischen Umweltschützern Sorge bereiteten. Denn einer bedrohten Fischart war der Zugang zu ihren natürlichen Laichstellen verhindert.

Konflikt verhinderte Umweltpolitik und Versorgung mit sicherer Energie

Nach der Demarkation der Staatsgrenze zwischen Aserbaidschan und Armenien entsteht eine Situation, die eine Zusammenarbeit unentbehrlich macht. Der Fluss Bazarchay (arm. Vorotan) z. B. nimmt seinen Anfang in Aserbaidschan, fließt durch den westlichen Teil Armeniens an der Grenze entlang und biegt wieder in das aserbaidschanische Territorium ab. Für Armenien sind die Wasserkraftwerke auf diesem Fluss bedeutend, Aserbaidschan hat Interesse an einer stabilen Wassermenge, die in den Aras mündet. Der grenzüberschreitende Fluss schafft somit eine gegenseitige Abhängigkeit, die noch vor der Rückkehr der aserbaidschanischen und kurdischen Flüchtlinge nach Lachin und Zengilan geregelt werden sollte.

Der Konflikt um Berg-Karabach verhinderte die Umweltzusammenarbeit nicht nur im Wassermanagement, sondern bremste den Übergang zu sicheren Energiequellen, bzw. die Abschaltung des armenischen Atomkraftwerkes Metsamor.

Trotz einiger Warnungen internationaler Umweltexperten verlängerte die armenische Regierung 2015 die Betriebszeit des 39 Jahre alten Atomkraftwerks Metsamor bis 2026. Nicht nur der veraltete Zustand, sondern auch die unmittelbare Nähe zu erdbebengefährdeten Gebieten bereitete allen Nachbarländern Sorgen. Bereits 2013 schrieb Christoph Kersting für den Deutschlandfunk, dass Metsamor ein "Pulverfass" sei. 2017 reagierte auch das Europäische Parlament besorgt auf die Entscheidung der armenischen Politiker. Durch den Konflikt in Berg-Karabach kam keine Zusammenarbeit Armeniens mit seinen Nachbarn in Energiefragen zustande. Die Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen zu den zwei Nachbarländern, zur Türkei und Aserbaidschan, könnte eine Diversifizierung der Energiequellen ermöglichen, um nach der Abschaltung des Atomkraftwerks den Übergang zu sicheren Energien zu schaffen.

Das Atomkraftwerk Metsamor, das zur gleichen Zeit wie dasjenige in Tschernobyl gebaut worden war, verursachte als Folgeproblem die Frage der Endlagerung der Abfälle. Bereits 2002 wiesen aserbaidschanische Experten darauf hin, dass 219 km2 der armenisch besetzten Gebiete aufgrund der Atommülllagerung radioaktiv verseucht wären, auch wenn es noch nicht zu großen Endlagerungen von Atommüll durch Armenien gekommen war. Diese Informationen konnten bisher allerdings nicht unabhängig überprüft werden.

Vom Wasserkrieg zum Wasserfrieden?

Die Beendigung der Kriegshandlungen verhindert weitere militärisch verursachte Gefahren für Natur und Biodiversität weit über Berg-Karabach hinaus. Der gezielte Raketenangriff der armenischen Streitkräfte auf den Staudamm Mingechevir im Nord-Westen Aserbaidschans sorgte für Angst vor einer Katastrophe in der Region. Die aserbaidschanischen Experten wiesen zwar auf die starken Betonbefestigungen des Staudamms hin, dennoch wurden nach den Raketenangriffen auf Gence und Berde mit Dutzenden Toten die Fragen laut, was eine Menge von 9 Milliarden Kubikmeter Wasser ausrichten könnte, wenn diese Raketen das Ziel getroffen hätten.

Die genannten Gründe erklären das Interesse Aserbaidschans an einem schnellen Ende des Krieges und an einem nachhaltigen Frieden. Für die Bevölkerung Armeniens, die den Zugang zu den Weideflächen der aserbaidschanischen Provinzen um Berg-Karabach sowie ungeteilte Kontrolle über die Wasserressourcen Berg-Karabachs verloren hat, bedeutet die neue Situation zunächst eine große Umstellung. Dennoch kann die Aufnahme der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Nachbarländern, die Regulierung des Wassermanagements an grenzüberschreitenden Gewässern sowie die Entwicklung der gemeinsamen Tourismusrouten neue Perspektiven für beide Länder bringen. Eine Perspektive, die nach dem Austausch der Kriegsgefangenen und Bestrafung der Kriegsverbrechen eine friedliche Koexistenz möglich machen würde. Die internationalen Akteure, die sich für einen nachhaltigen Frieden im Südkaukasus aussprechen, könnten Aserbaidschan und Armenien auf dem Weg vom Hydrokrieg zum Hydrofrieden begleiten.

Mitte November 2020 sorgte das Ausmaß der Abholzung durch die armenischen Siedler in den besetzten Gebieten Kalbadjar und Lachin kurz vor der Rückgabe an Aserbaidschan für Entsetzen in der aserbaidschanischen Öffentlichkeit. Gleichzeitig bewirkten diese Bilder eine erhöhte Sensibilität für die schleichende Waldrodung für private Bauvorhaben in anderen Gebieten des Landes. Die aserbaidschanischen Umweltaktivisten berichten von einem landesweit steigenden Interesse an Problemen der Umweltverschmutzung.

Ausgerechnet Ende November, als der Umweltschutz in den zurückgewonnenen Territorien das wichtigste Thema wurde, verabschiedete das aserbaidschanische Parlament das lange erwartete Gesetzesvorhaben über das Verbot der Plastiktüten und des Einweggeschirrs. Das Umweltministerium war eines der ersten Behörden in den rückgewonnenen Gebieten und leitete eine massive Wiederaufforstung ein.

Neben Wasser-, Energie- und Waldwirtschaft wird der Umweltschutz ein wichtiges Thema bei der Förderung der Bodenschätze an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze. Bekanntlich ist die Nutzung der Gold-, Kupfer- und Molybdänminen mit hoher Verschmutzung der Naturressourcen verbunden. Eine Kooperation in diesem Gebiet wird ebenfalls für beide Seiten notwendig, um die Lebensgrundlagen der Bevölkerung an der Grenze zu schützen. Diese erforderliche Zusammenarbeit kann eine Grundlage für einen nachhaltigen Frieden bilden.

Dr. Elnura Jivazada promovierte im Fach Osteuropäische Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und arbeitet als Projektleiterin zur Entwicklung des Umweltjournalismus in Usbekistan, lebt in Berlin.